News Bild Pater Martin Barta berichtet über Projekte des Hilfswerks „Kirche in Not“
Pater Martin Barta berichtet über Projekte des Hilfswerks „Kirche in Not“

Der Mensch muss als geistliches Wesen gesehen werden

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Regensburg, 24.08.2022

 

„Wenn ich in Deutschland soziale Projekte vorlege, finde ich sofort offene Türen. Aber wenn ich mit einem Evangelisierungsprojekt komme, stoße ich eher auf Zurückhaltung.“ Diese Feststellung afrikanischer Bischöfe zitierte der damalige Papst Benedikt XVI. in einer Predigt bei seinem Deutschlandbesuch im Jahr 2006. Der Papst wies damit auf die Gefahr auch innerhalb der katholischen Kirche hin, die Evangelisierung der sozialen Hilfe unterzuordnen. Das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die menschliche Entwicklung gerade durch die Evangelisierung zu fördern. Volker Niggewöhner sprach mit Pater Martin Barta, dem Geistlichen Assistenten von „Kirche in Not“ International (Aid to the Church in Need, ACN), über die Schwerpunkte in der Arbeit des Hilfswerks.

 

Volker Niggewöhner: Pater Martin, warum sind soziale Hilfsaktionen – auch im kirchlichen Spektrum – leichter zu vermitteln als seelsorgliche Notlagen?

Pater Martin Barta: Die Schwierigkeit, von der der emeritierte Papst Benedikt sprach, hängt zusammen mit einer begrenzten Sicht des Menschen. Oft wird der Mensch nur als ein physisches, kulturelles, soziales oder wirtschaftliches Wesen, nicht aber als ein geistliches Wesen gesehen. Es fehlt das Bewusstsein, dass der Mensch erschaffen ist von Gott und für Gott. Es fehlt das ganzheitliche Bild vom Menschen.

Pater Martin Barta, internationaler Geistlicher Assistent von „Kirche in Not“ (ACN). © KIRCHE IN NOT

Wie drückt sich dieser Ansatz in der Projektarbeit von „Kirche in Not“ aus? Was muss ein Projektantrag beinhalten, damit das Hilfswerk ihn unterstützt?

Es muss die Sorge um den Menschen mit Leib und Seele im Mittelpunkt stehen. Im Evangelium heißt es: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt“ (Mt 4,4). Das Geistliche, das Göttliche ist der erste Reichtum des Menschen. Man kann nicht zuerst die sozial-wirtschaftlichen Probleme lösen und dann den Menschen etwas Geistliches bringen. Der Reichtum des Glaubens muss einhergehen mit der menschlichen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung.

 

„Kirche in Not“ verlangt bei Projektanträgen grundsätzlich die Empfehlung des zuständigen Ortsbischofs. Warum ist Ihnen das wichtig?

Die Empfehlung eines Bischofs ist für uns wie ein Gütesiegel, dass das Projekt im Geiste der Kirche getragen und verwirklicht wird. Es geht nicht nur darum, was gemacht wird, sondern auch, wie es gemacht wird. Die Menschen sollen spüren, dass das, was sie empfangen, aus einem Herzen kommt, das den anderen Menschen etwas schenken möchte - nicht nur, weil wir sie sozial und menschlich fördern, sondern weil wir sie als Brüder und Schwestern im Glauben unterstützen. Ein Projekt soll nicht nur seinen irdischen Zweck erfüllen, sondern den Glauben vertiefen und den Blick weiten auf das Himmlische.

Priester in Georgien bei der Feier der heiligen Messe. © Ismael Martinez Sanchez/KIRCHE IN NOT

Die Schwerpunkte von „Kirche in Not“ sind sehr vielfältig. Das Hilfswerk fördert die Ausbildung von Geistlichen und Laien, unterstützt Ordensgemeinschaften, es geht um Familienseelsorge, Flüchtlingshilfe, Fahrzeughilfe, Medienarbeit und anderes mehr. „Kirche in Not“ engagiert sich außerdem für den Bau von Gotteshäusern. Nun gibt es immer wieder die Forderung, lieber in „lebendige Steine“ als in Bauwerke zu investieren. Warum ist „Kirche in Not“ der Bau von Kirchen und Kapellen so wichtig?

Es ist wichtig, in die „lebendigen Steine“ zu investieren, denn der erste Tempel des Heiligen Geistes ist der Mensch selbst. Aber Kirchengebäude sind keine „toten Steine“. Man vergisst oft, dass Gott sich auch eine Wohnung auf dieser Erde bereitet hat. Schon im Alten Testament wird das Bild des Zeltes verwendet, um die göttliche Gegenwart in der Welt zu beschreiben. So ist auch eine Kirche nicht zuerst eine Initiative des Menschen, es ist die Initiative Gottes, der zu uns kommt, der bei uns wohnt. Und darum ist eine Kirche zuerst ein Haus Gottes. Es ist ein lebendiges Haus, es sind lebendige Steine, weil der Tabernakel das schlagende Herz der Kirche ist. In einer Kirche begegnet der Mensch Gott. Das ist das Einzigartige, was eine Kirche von allen anderen Gebäuden unterscheidet.

 

Verstehen das die Gläubigen in ärmeren Ländern besser als wir im reichen Europa?

Ich würde sagen, dass man in den ärmeren Ländern zumeist einen lebendigeren Glauben findet. Die Menschen kommen zur Kirche, weil sie wissen: Da ist Gott. Das wirkt sich oft auch äußerlich aus, wenn sie trotz der Armut alles daransetzen, damit die Kirche schön geschmückt und der Gottesdienst feierlich gestaltet wird. Es gibt dort auch ein großes Gemeinschaftsgefühl. Man erfährt in dieser Einheit im Glauben, dass 3 wir zusammen dem Herrn gehören. Das Wort Kirche leitet sich ab von dem griechischen Wort „kyriakos“, was „zum Herrn gehörig“ bedeutet. Wir gehören dem Herrn: Das bedeutet Kirche.

 

Die Unterstützung von Bildungsmaßnahmen, sei es die Ausbildung von Priestern und Ordensleuten, sei es die Arbeit katholischer Schulen und Universitäten, zieht sich wie ein roter Faden durch die Projektarbeit von „Kirche in Not“. Warum sehen Sie das als Aufgabe für ein katholisches Hilfswerk?

Bildung bedeutet Suche nach Wahrheit. Der Mensch hat Sehnsucht, die Wahrheit zu erkennen: Wahrheit über sich, Wahrheit über die Welt, Wahrheit über Gott. Wenn man die Wahrheit erkennt, erfährt man Befreiung. Viel Not entsteht, weil der Mensch frei und autonom sein möchte. Oft wird versucht, diese Befreiung durch Gewalt zu erlangen. Bildung ermöglicht dem Menschen die Chance, zu erkennen, dass nicht Gewalt, sondern Liebe der Weg ist, die Welt vom Bösen und von der Not zu befreien. Folglich muss Bildung auf die Liebe ausgerichtet sein.

 

Welche Projekte genießen für „Kirche in Not“ höchste Priorität?

An der Spitze stehen Länder, in Christen unter direkter Verfolgung leiden oder diskriminiert werden, in denen sie ihr Leben riskieren, wenn sie ihren Glauben öffentlich leben. Für diese Menschen ist zunächst einmal eine Existenzhilfe nötig, damit sie überhaupt in ihren Ländern bleiben und Zeugnis geben können. Gerade aus diesen Ländern kommen auch die schönsten Zeugnisse des Glaubens. Das erinnert mich an eine Begebenheit, die mir ein irakischer Priester erzählt hat: Als nach dem Überfall des „Islamischen Staats“ auf die Dörfer der Ninive-Ebene die Christen über Nacht fliehen mussten und dann in einem Flüchtlingslager zusammen waren, fragte ein Junge seine Großmutter: „Wieso konnte Gott das zulassen? Die Großmutter antwortete ihm: „Aber mein Junge, was sagst du? Wir haben alles verloren, aber wir haben uns immer noch das Größte bewahrt: den Glauben an Gott.“ Dieser Glaube ist der größte Schatz, den wir haben.

 

Text: Kirche in Not / (jw)

Titelbild: © Ismael Martinez Sanchez/KIRCHE IN NOT

Menschen in Syrien beten vor eine Ikone inmitten von Trümmern © KIRCHE IN NOT



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