Online-Tagung der Ackermann-Gemeinde beschäftigte sich mit der Lebensqualität im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet
Wie misst man Lebensqualität?
Regensburg, 7. Mai 2024
Die seit 2020 federführend von der Ackermann-Gemeinde (AG) im Bistum Regensburg initiierte Veranstaltungsreihe „Quo vadis, Grenzland“ widmete sich heuer als Zoom-Veranstaltung der Frage „Nichts wie hin! Oder: Nichts wie weg? - Lebensqualität im Grenzland beiderseits der bayerisch-tschechischen Grenze.“ Über 30 Personen aus Bayern und Tschechien waren zugeschaltet. Mitveranstalter waren das Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) und die Katholische Erwachsenenbildung der Stadt Regensburg.
Der AG-Vorsitzende im Bistum Regensburg, Prof. Dr. Bernhard Dick, würdigte das mit vielen Aspekten gespickte Programm. Im einleitenden Vortrag referierte die CeBB-Leiterin Dr. Veronika Hofinger zum Thema „Lebensqualität im Grenzland“. Insbesondere durch soziale Kontakte oder unterhaltsame Veranstaltungen könne die Lebensqualität gesteigert und eine konstruktive Grundhaltung zum Nachbarland erreicht werden. Anhand einer Auswahl von Begriffen beschrieb Hofinger „Lebensqualität“ und machte deutlich, dass diese aufgrund subjektiven Empfindens nur schwer mess- oder steuerbar sei. Beim Ranking zur Lebensqualität rangieren die zwei Länder mit nur wenigen Punkten Unterschied auf Rang 16 (Deutschland) und Platz 18 (Tschechien), relativ schwache Werte wurden jedoch – im Vergleich zum Innenland oder auch Ballungsgebieten – in anderen Untersuchungen für die Grenzregionen ermittelt. Andererseits wurden erst jüngst die Städte Eger, Karlsbad und Krumau an der Moldau als Aufsteiger gekürt.
Glaube, Hoffnung und Liebe als Basis
„Erfolgsrezepte jenseits der Grenze“ war das Thema, zu dem sich Václav Chroust, 2. Bürgermeister der Stadt Klattau und Direktor der dortigen Katakomben, äußerte. Von Bedeutung ist für ihn auch, den Weg zu ebnen – durch Glaube, Hoffnung und Liebe. „Das ist ein Weg, der in die Zukunft führt“, nannte er die Grundlagen seines Erfolgsrezeptes. Verbunden damit seien die weiterzugebenden Werte. Für heute freut er sich über das Leben in einer demokratischen Welt, mit offenen Grenzen und der Tatsache, dass „Tschechien ein voller Bestandteil des Westens ist“, auch wenn dieser Aspekt im Westen oft anders eingeschätzt wird. Als Erfolgsrezept nannte er die Aspekte Treffen, Freunde, Zusammenarbeit mit Empathie, miteinander reden, alles auch auf die Zukunft bezogen. Also: „Den Blick auf die Zukunft richten als Tschechen, Deutsche und Europäer.“
„Grenzland ist lebenswert“
„Erfolgsrezepte diesseits der Grenze“ beschrieb Bernd Sommer, seit 2008 1. Bürgermeister der Stadt Waldsassen. In der grenzüberschreitenden Arbeit sind für ihn gegenseitiges Vertrauen und Respekt sowie aufeinander zugehen die Basis. „Das bayerisch-tschechische Grenzland ist lebenswert, es fehlt uns fast an nichts. Wir haben geringe Lebenshaltungskosten und eine hohe Lebensqualität. Wir sind bereit für weitere Zuzüge“, beendete Sommer seine Ausführungen.
Als Hausarzt in die Grenzregion
Über den Wiederaufbau der St.-Nikolaus-Kirche in Šitboř/Schüttwa informierte Ingenieur Ivo Dubský, Vorsitzender des 2010 gegründeten Vereins für den Wiederaufbau dieses Gotteshauses. Das Thema „Lebensqualität aus der Sicht von Bürgern der Grenzregion“ beleuchteten aus unterschiedlichen Perspektiven Deutsche und Tschechen, die in der Grenzregion tätig waren, sind oder sein wollen. So plant Dr. Maximilian Bolch, derzeit Arzt in Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin, eine spätere Praxistätigkeit als Hausarzt in Waldsassen mit Wohnort Eger. „Ich bin wahnsinnig gerne in Tschechien. Ich habe Land und Leute kennengelernt, ich kann mir dort ein gutes Leben vorstellen“, erläuterte er.
Grenzpendler – Rolle der Sprache
Das Thema „Grenzpendler“ erörterte Miloslav Sláma aus Klattau, der bei der Personalservice-Firma „Aaquila“ in Regen tätig ist. Aktuell pendeln rund 33.000 Tschechen zur Arbeit nach Deutschland, etwa 7800 davon (ein Viertel) in die Grenzland-Landkreise Cham (4750), Regen (1680) und Freyung-Grafenau (1370). Ein Hauptgrund ist laut Sláma der Mindestlohn, der 2023 in Tschechien zirka 4,30 Euro und in Deutschland zwölf Euro betrug. Die Pendler aus Tschechien fänden in Deutschland eine stabile Arbeit, darüber hinaus entstünden oftmals auf der Berufs- und Arbeitsebene freundschaftliche Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen. Im privaten Bereich erweise sich hingegen die Sprachbarriere als Hindernis.
Probleme bei der Verkehrsinfrastruktur
Im Jahr 2018 verbrachte Marcus Reinert, heute Grundschullehrer in Kelheim, sechs Monate in Pilsen. Und bis Sommer 2023 war er für einige Zeit dann in Waldmünchen – auch aufgrund der Nähe nach Tschechien. „Land, Leute, der Zauber der Natur – viele Erwartungen haben sich bestätigt“, war Reinerts erster Eindruck. Doch bald wurden auch die Nachteile deutlich, vor allem infrastruktureller Art: lange Wege etwa nach Cham, Taus oder Regensburg und Pilsen. „Auf Dauer war mir das dann zu viel. Den Lebensdeal auf dem Lande habe ich mit allem Licht und dem erwähnten Manko erfahren. Ich kann mir aber vorstellen, zu einem späteren Zeitpunkt wieder ins Grenzland zu ziehen. Denn es gibt hier viele Attraktionen, die ich schätze und von denen ich schwärme. Ich habe auch Menschen kennengelernt, die ursprünglich aus Prag oder großstädtischen Regionen stammten. Aber die Rahmenbedingungen müssen eben passen“, fasste Reinert zusammen.
Schnelle Integration im Ort
Die Verkehrsanbindungen sind auch für Zuzana Verešová, die an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden arbeitet, die Hauptherausforderung. Denn die aus Pilsen stammende Frau wohnt mit ihrer Familie in Flossenbürg. „Trotz Covid wurden wir im ländlichen Raum gut angenommen, die Integration verlief schrittweise. Aber mindestens ein Auto – meistens sogar mehr – ist nötig“, schilderte sie. Andererseits sei die Einbindung in die örtlichen Strukturen sehr schnell gegangen, prägend sei die überregional bekannte KZ-Gedenkstätte.
„Der Böhmerwald ist meine Heimat“
Ein Urgestein in Sachen bayerisch-tschechischer Aktivitäten ist der frühere DB-Fahrdienstleiter und bis heute als Wanderführer aktive Rudi Simeth aus Eschlkam-Stachesried. „Mit der Grenze bin ich schon als Vorschulkind in Verbindung gekommen. Ich wollte nie weg, weil ich mich hier in der ganzen Grenzregion wohlfühle. Für mich ist der Böhmerwald, auch auf der bayerischen Seite, meine Heimat“, so Simeth. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs bietet er grenzüberschreitende Wanderungen zu unterschiedlichen Themen, wobei oft auch die verlassenen Orte im Grenzgebiet, die in den 1950er Jahren dem Erdboden gleichgemacht wurden, einbezogen sind.
Mit mehreren Musikstücken an der Harfe umrahmte die 14-jährige Pia Pfeiffer, die zweimal den Bezirkspreis beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ gewonnen hat, die Veranstaltung. Unterstützt wurde die Tagung auch durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds.
Text: Markus Bauer
(kw)