Koalition der Gottesfürchtigen - Bischof Voderholzer im Interview mit „Der neue Tag“
Im Interview mit der Zeitung <link http: www.oberpfalznetz.de onetz _blank external-link-new-window neue tag>Der neue Tag spricht Bischof Rudolf Voderholzer über die christliche Verantwortung für Flüchtlinge, vor allem für Kinder und Jugendliche, die ohne Begleitung nach Bayern kommen. Eine klare Meinung äußert der Bischof zum Umgang der Religionen untereinander.
Von Jürgen Herda / © Der neue Tag.
Regensburg. „Wir sind kein monolithischer Block“, sagt Bischof Rudolf Voderholzer im Interview. Kirche ist auch die Vielfalt der Initiativen, die sich für Flüchtlinge einsetzt. Einzelne Pfarrer, die Gemeinden und natürlich die Caritas. „Wer sollte helfen, wenn nicht wir Christen?“, appelliert er an das Gewissen jedes Einzelnen.
Herr Bischof, wie politisch soll und darf Kirche sein – Historiker und Theologen sind sich nicht ganz einig, ob Jesus’ Appell, auf Gewalt zu verzichten, auch bedeutet, Ungerechtigkeiten von Regimen hinzunehmen. Welches Dilemma stellt eine Entscheidung wie die Lieferung von Waffen an die irakischen Kurden angesichts des Vernichtungsfeldzugs der IS dar – Frau Käßmann kritisiert jedes kriegerische Eingreifen.
Voderholzer: Waffenlieferungen können jedenfalls auf Dauer keine hinreichende Lösung sein. Sie werden den Frieden nicht stiften. Im akuten Notfall schützen Waffen vielleicht bedrohte Menschen. Die katholische Moraltheologie hat die bewaffnete Abwehr von Gefahren als Ultima Ratio nie ausgeschlossen, die Bischofskonferenz berief sich darauf. Die Waffen aber, die heute in der Region die Verfolgten schützen, können schon morgen ganz neue Konfliktherde befeuern und weitere blutige Spiralen aus Hass und Gewalt in Schwung bringen. Wie viele Regionen der Welt wurden auf diese Weise nicht bereits in über Jahrzehnte brodelnde Strudel des Terrors und des Krieges gerissen?
Also: Waffen mögen vielleicht für einen kurzen Moment die Lage entspannen. Verantwortlich eingesetzt sind sie aber nur dann, wenn wir diese Entspannung nutzen, um den Frieden voranzubringen. Mit dem Gebet. Mit unserem klaren und laut vernehmbaren Bekenntnis zu den Verfolgten, Misshandelten und Ermordeten. Mit unserer konkreten und spürbaren Solidarität. Mit einer politischen Strategie, die die politisch Verantwortlichen in Europa und anderswo zu entwickeln haben.
In diesem Sinne dürfen wir sehr wohl auf eine Wirkung hoffen, wenn die ganze christliche Welt und alle Menschen guten Willens auf die Straße gehen.
Wir berichten seit Wochen ausführlich über die Situation in unseren Asylheimen. Welche Verantwortung tragen Christen für die Verfolgten der Krisen?
Voderholzer: Man muss die Ängste der Menschen ernst nehmen. Gefragt sind gangbare Wege, die niemanden überfordern. Wir können darauf hinweisen, dass wir große Erfahrung bei der Integration von Flüchtlingen haben. Wir haben nach dem Krieg ja Millionen von Vertriebenen aufgenommen. Sie wissen, dass auch meine Familie dazu gehörte.
Diese Menschen haben manche vielleicht zu Beginn als Belastung wahrgenommen, aber sie leisteten einen wesentlichen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes. Ganz wichtig ist, dass man nicht eine unüberschaubare Masse vor sich sieht, sondern einzelne Menschen und Familien mit ihren oft unfassbar bitteren Erfahrungen.
Einen großen Dienst leisten die Pfarreien und katholischen Verbände bei der Betreuung der Flüchtlinge. Wir haben erst heute intern darüber gesprochen, wie man noch mehr Unterkünfte anbieten kann. Das wollen wir weiter verstärken, aber natürlich besitzen wir keine Kasernen, sondern eher kleinteilige Möglichkeiten. Wenn in einem Kloster 20 Ordensfrauen statt früher 35 leben, heißt das ja nicht, dass auf einen Schlag 15 Zimmer frei sind.
Ich freue mich, dass wir jetzt sehr eng mit den staatlichen Behörden zusammenarbeiten. Wenn eine Pfarrei oder ein Verband Wohnraum zur Verfügung stellen kann, dann können wir das unbürokratisch und schnell weiterleiten, und prüfen lassen, ob die Räume geeignet sind.
Was sagen Sie den Gläubigen, wie sie mit den Flüchtlingen umgehen sollen?
Voderholzer: Die Flüchtlinge sind unsere Nächsten. Sie leiden, sie sind verletzt, sie mussten Gewalt, Terror, Erniedrigung und Todesangst erdulden. Und jetzt sind sie da. Jeder Mensch guten Herzens sollte bereit sein, ihnen zu helfen. Für Christen ist dies eine Selbstverständlichkeit.
Ich will die Hilfe der Kirche nicht an die große Glocke hängen, aber um deutlich zu machen, worauf es jetzt ankommt, nenne ich vielleicht einige Beispiele: In Weiden boten die Katholiken das alte Pfarrheim an, im Gästezimmer des dortigen Pfarrhofs wohnt eine Familie, in Viechtach leben Flüchtlinge im Mesnerhaus, in Wörth an der Isar sorgt die Pfarrei für Sprachkurse, Begleitung und ein herzliches Willkommen für die Geflüchteten.
In Ostbayern übernahm die Caritas fast flächendeckend diese Hilfe. Die Kirche ist Ansprechpartner für die Menschen, begleitet sie zu Ärzten, Behörden, beim Einkauf, sorgt für Sprachunterricht, hilft mit psychotherapeutischer Betreuung, wenn die Menschen unter den Folgen von Krieg, Terror und Gewalt leiden. Für die Flüchtlinge ist es wichtig, sich menschlich angenommen zu fühlen und Menschen zu begegnen, die ihnen Nähe, Zeit und liebevolle Zuwendung schenken.
Wo sehen Sie die drängendste Herausforderung?
Voderholzer: Vielleicht am drängendsten ist die Not der minderjährigen Flüchtlinge. Die Staatsregierung rechnet damit, dass heuer bis zu 3000 Kinder und Jugendliche allein und ohne Begleitung in Bayern ankommen. Die Kinder waren bis zu zwei Jahre unterwegs, bevor sie hier eine Zuflucht finden.
Deshalb errichtete das Bistum Regensburg in wenigen Monaten eine sogenannte Inobhutnahmestelle, einschließlich des notwendigen Personals. Dort finden die minderjährige Flüchtlinge Aufnahme. Mir ist es sehr wichtig, dass diese Menschen nicht nur unterkommen und psychologische und medizinische Betreuung erhalten. Sie sollen auch einen Beruf lernen. Was soll aus den Jugendlichen werden, wenn sie nach Jahren des Ausharrens ohne jede Ausbildung verbleiben? Deshalb sorgt die Kirche dafür, dass die Jugendlichen vom ersten Tag an Deutsch lernen und vermittelt sie an die Berufsbildungswerke der Kirche, wo sie in verschiedenen Berufen ausgebildet werden und Anschluss finden an andere Gleichaltrige.
Europa schottet sich ab, Deutschland ist durch die Drittstaatenregelung immer schwerer zu erreichen. Die große Mehrheit der Flüchtlinge kommt in ebenfalls armen und oft instabilen Nachbarländern unter. Das Mittelmeer wird zur Flüchtlingsfalle. Ist aus Ihrer Sicht Armut ein legitimer Grund zu fliehen?
Voderholzer: Es scheint sich in der Politik endlich der Gedanke durchzusetzen, dass Rausekeln durch möglichst unhaltbare Zustände keine Lösung ist. Die Menschen, die jetzt zu uns kommen, sind durchaus auch ein Geschenk für uns. Sie sind eine Chance für das schrumpfende Europa, wenn wir sie gewinnen können: Für Europa, für unsere abendländische Tradition und für den freiheitlichen Rechtsstaat. Das aber kann nur gelingen, wenn wir nicht selbst unsere eigenen Wurzeln und deren Fundamente preisgeben. Ich glaube nicht, dass Europa Angst haben muss vor dem Islam oder Menschen aus anderen Kulturen. Angst habe ich davor, dass wir unser geistiges Erbe verlieren und unsere Lebensordnung von innen heraus zerstören. Nur ein Baum mit Wurzeln hat auf Dauer Bestand.
Lessings Ring-Parabel zeigt die gemeinsame Wurzel von Judentum, Christentum und Islam: Was kann die Kirche dazu beitragen, die religiösen Konflikte zwischen den Weltreligionen abzubauen?
Voderholzer: Wir brauchen eine Koalition der wirklich gottesfürchtigen Menschen aller Religionen. Jemand, der zum Schöpfergott, dem Vater aller Menschen betet, der kann in dem anderen nur seine Schwester und seinen Bruder sehen. Im Licht des Glaubens gehören alle Menschen zur großen und ewigen Familie Gottes.
Papst Benedikt stieß den Dialog in diesem Sinne mit dem Islam ja hier in Regensburg an. Ihn müssen wir fortführen. Alle sollen sich verständigen: Gewaltsame Bekehrung widerspricht der Vernunft, Gewalt im Namen Gottes beschmutzt seinen heiligen Namen. Gräueltaten sind Verbrechen, immer und überall und gleich mit welcher „Begründung“.
Wenn es wirklich stimmt, was wir derzeit aus Syrien hören, nämlich dass die IS nicht nur Enthauptungen, sondern auch Kreuzigungen durchgeführt hat, dann ist das ein ungeheurer Skandal, eine antichristliche Provokation, die Rückverwandlung des Kreuzes von einem Symbol der Befreiung in ein Marterwerkzeug.
Das ist die Perversion von Religion, Gottesfurcht und Glaube.
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