Straubing, 11. Februar 2025
Parteiprogramme können mitunter kompliziert sein… Gerade Menschen mit Beeinträchtigung sind auf verständliche Informationen angewiesen, um sich eine Meinung bilden zu können und ihre Wahlentscheidung zu treffen. Vor der anstehenden Bundestagswahl haben die Straubinger Werkstätten St. Josef deshalb eine Podiumsdiskussion in Leichter Sprache organisiert, um ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit zu bieten, sich über für sie interessante Themen und Positionen aus erster Hand zu informieren. MdB Alois Rainer (CSU), Marvin Kliem (SPD), Feride Niedermeier (Grüne), Jörg Henzen (FDP) und Helmut Muhr (Freie Wähler) stellten rund 120 Beschäftigten der Werkstätten ihre Positionen vor.
„Im Grundgesetz steht, ,Die Würde des Menschen ist unantastbar‘. Das bedeutet, jeder Mensch hat Respekt und Wertschätzung verdient. Dafür stehen die KJF Werkstätten“, sagte Evi Feldmeier, Geschäftsführerin der KJF Werkstätten gGmbH. „Das bedeutet auch, dass wir uns ganz klar gegen Ausgrenzung und Diskriminierung stellen. Deshalb haben wir auch nur Kandidatinnen und Kandidaten von demokratischen Parteien eingeladen, die diese Grundsätze verkörpern.“
Die Vorsitzenden der Werkstatträte in Mitterfels und Straubing, Erika Stelzl und Michael Händel, moderierten die Diskussionsrunde. Sebastian Müller, Leiter des Büros für Leichte Sprache der KJF Regensburg, lieferte ergänzende Erklärungen zu komplexen Themen und Fachbegriffen in Leichter Sprache.
Antworten auf die Fragen der Menschen liefern
Holger Kiesel, der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, hatte die Schirmherrschaft der Veranstaltung übernommen. Er freute sich sehr über die große Zahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern: „Wir leben in aufgeregten und angespannten Zeiten. Umso wichtiger ist diese Podiumsdiskussion, um den Menschen Antworten auf ihre Fragen zu liefern.“
Elisabeth Kienel, die Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte Bayern e. V., und ihre Stellvertreterin Bianca Hanselmann gaben in ihrem Eingangsstatement die Richtung der Diskussionsrunde vor: „Wir wollen, dass alle Beschäftigten in Werkstätten frei von Grundsicherung leben können. Wir gehen jeden Tag arbeiten und möchten nicht mehr auf Sozialleistungen angewiesen sein. Dafür braucht es einen steuerfinanzierten Baustein, der die Sozialleistungen ersetzt. Das wäre eine echte Wertschätzung unserer Arbeitsleistung. Außerdem müssen Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf, die in Tagesförderstätten tätig sind, mitgedacht werden. Ihre Interessen wurden bisher im gesamten Prozess nicht ausreichend berücksichtigt.“
Die Kandidaten im Überblick
MdB Alois Rainer: „Ich bin 60 Jahre alt, gelernter Metzgermeister, verheiratet und habe zwei Kinder. 1996 wurde ich zum Bürgermeister der Gemeinde Haibach gewählt. Seit 2013 bin ich Mitglied im Deutschen Bundestag. In meiner Zeit als verkehrspolitischer Sprecher habe ich mich für Barrierefreiheit eingesetzt, zum Beispiel für unseren heimischen Bahnhof in Straubing.
Von den Werkstätten habe ich eine sehr hohe Meinung, denn ich weiß, dass die Menschen hier qualitative und wertvolle Arbeit leisten. Wir brauchen die Werkstätten auch in Zukunft als geschützten Raum für Menschen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Chance bekommen. Ich hoffe, dass sich die kommende Regierung schnell darauf einigt, die Bedingungen zu verbessern, der ganz große Wurf wird aber auf sich warten lassen. Ganz oben auf der Liste sollte auch stehen, dass die Menschen in den Werkstätten einen auskömmlichen Lohn bekommen. Grundsätzlich brauchen alle Menschen mehr netto vom Brutto.
Wir setzen uns für einen inklusiven Arbeitsmarkt ein, indem wir den Zugang zu Ausbildung und Arbeit erleichtern und sowohl den allgemeinen Arbeitsmarkt als auch Inklusionsbetriebe und Werkstätten stärken. Zudem wollen wir eine integrierte Leistungsplanung einführen, das Gesundheitssystem barrierefreier gestalten und bürokratische Hürden für Hilfsmittel abbauen. Schließlich fordern wir mehr Achtsamkeit im öffentlichen Raum, die Inklusion von Menschen mit Behinderung im Sport, schnellere Beseitigung von Barrieren in Verkehrsmitteln und setzen uns für Bildungsvielfalt ein, einschließlich der Förderung der Gebärdensprache und des Erhalts von Förderschulen.
Ich finde, wir sind ein tolles Land mit tollen Menschen. Das müssen wir wieder in den Vordergrund stellen und aufhören, immer alles schlecht zu reden, dann können wir wieder optimistisch in die Zukunft blicken.“
Marvin Kliem: „Ich bin 27 Jahre und komme aus Straubing. Politik ist für mich sehr wichtig, weil ich die Welt gerechter machen möchte. Alle Menschen sollen die gleichen Chancen haben.
Ich bin schon seit meiner Kindheit ehrenamtlich aktiv und engagiere mich beim Bayerischen Roten Kreuz. Dort leite ich die Jugendarbeit im Kreisverband Straubing-Bogen. Außerdem bin ich Rettungssanitäter. Dabei habe ich oft erlebt, wie wichtig Barrierefreiheit und Unterstützung für Menschen mit Behinderung sind.
In den letzten Jahren ist das Bundesteilhabegesetz in Kraft getreten. Damit haben wir mehr Teilhabe und Selbstbestimmung geschaffen. Außerdem haben wir ein Gesetz zum inklusiven Arbeitsmarkt beschlossen, damit mehr Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt und gleichberechtigt am Arbeitsleben teilnehmen können. Dazu sollen Unternehmen in der freien Wirtschaft mehr Abgaben zahlen, wenn sie keine Menschen mit Behinderungen einstellen. Wir haben auch dafür gesorgt, dass Leistungen der Integrationsämter schneller genehmigt werden.
Aber es gibt noch viel zu tun: Wir wollen, dass die Barrierefreiheit weiter ausgebaut wird und dass mehr Menschen auch in der freien Wirtschaft arbeiten können. Wir finden, dass alle Menschen, die in Werkstätten arbeiten, den Mindestlohn bekommen sollten. Menschen mit Behinderung leisten wichtige Arbeit und verdienen auch eine faire Bezahlung.
Viele Dinge sind teurer geworden – vor allem Lebensmittel. Damit sich alle ein gutes Leben leisten können, muss der Mindestlohn steigen. Menschen mit wenig Geld brauchen mehr Unterstützung. Deswegen müssen wir die Steuern auf Lebensmittel senken. Wir müssen aber dafür sorgen, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kommt.“
Feride Niedermeier:„Ich bin Celle geboren und wohne seit 1989 in Straubing. Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zur Bürokauffrau gemacht. Schon seit über 25 Jahren arbeite ich bei einer Krankenkasse. Ich bin verheiratet und habe zwei erwachsene Kinder. Politisch bin ich seit gut zehn Jahren aktiv. Seit 2014 sitze ich auch im Straubinger Stadtrat für die Grünen. Inhaltlich liegen mir vor allem die Themen soziale Gerechtigkeit und Gesundheit am Herzen.
Deswegen setz ich mich für Chancengerechtigkeit ein. Denn nicht alle Menschen sind gleich, aber alle sollten die gleichen Möglichkeiten haben. Dafür habe ich mich als stellvertretende Vorsitzende im Ausländer-Migrationsbeirat stark gemacht. Persönlich habe ich vor allem durch meine Mutter Berührungspunkte zum Thema Behinderung. Sie ist stark sehbehindert und muss gepflegt werden.
Für die Inklusion ist in den letzten drei Jahren, nicht genug gemacht worden. Kleine Schritte sind die höhere Ausgleichsabgabe für Unternehmen, um die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung zu verbessern und die Anhebung der Vermögens- und Einkommensgrenze. Tatsächliche Fortschritte müssen in den nächsten Jahren durch eine einfachere Frühförderung in der Bildung, einheitliche Standards in der Barrierefreiheit und einkommensunabhängige Unterstützungsleistungen vorangetrieben werden.
Die Werkstätten für Menschen mit Behinderung sehe ich sehr zwiespältig, das Wichtigste ist jedoch, dass die Menschen, die dort arbeiten dies aus freien Stücken tun. Natürlich steht außer Frage, dass sich in Werkstätten an Mindest- oder Tariflohn gehalten werden muss.
Um das Leben wieder bezahlbar zu machen, müssen die Lebenshaltungskosten runter. Dafür muss die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und auch andere Produkte des täglichen Bedarfs entfallen, da dies die ungerechteste Steuer ist. Darüber hinaus müssen Sozialabgaben sinken, indem Hochverdienende mehr zahlen.
Für die Zukunft geht es darum, gemeinsam mit Menschen mit Behinderung die Bedingungen zu verbessern. Lokal bedeutet das, das Pflaster am Stadtplatz in Straubing barrierefrei zu gestalten.“
Helmut Muhr: „Ich bin 37 Jahre alt und komme aus Bogen. Zur Politik bin ich gekommen, weil ich Verantwortung für die Allgemeinheit übernehmen will. Mein Ziel ist werteorientierte Politik für alle Bürgerinnen und Bürger. Ich möchte Politikpraktiker statt Parteitaktiker sein.
Bereits jetzt ist erkennbar, dass der Bedarf der Einzelpersonen die Leistungsfähigkeit der Gesellschafft übersteigt. Nur mit positiven Wirtschaftszahlen können wir unsere Anliegen für Inklusion umsetzen.
Die Werkstätten sind unverzichtbar als Bindeglied in der Gesellschaft und zur Wirtschaft. Sie sind auch ein Mittel, um Menschen mit Behinderung Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen und sie noch mehr in die Gesellschaft zu integrieren. Deutschland braucht eine positive wirtschaftliche Entwicklung, um allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Arbeit muss sich lohnen. Hochqualifizierte Arbeitsplätze bieten gute Verdienstmöglichkeiten und sind Basis von Einkommen und Lebensqualität für alle Menschen.“
Jörg Henzen: „Ich bin 61 Jahre alt und arbeite als selbständiger Interim Manager. Ich wohne seit 40 Jahren in Bayern, seit mehr als zwei Jahren in Straubing. Vor fünf Jahren habe entschieden, mich wieder aktiv in der Politik zu engagieren. Ich finde es wichtig, etwas gegen Extremismus und für Demokratie zu tun.
In meiner Schulzeit habe ich in der achten Klasse die Diskussion miterlebt, ob eine Schülerin mit Behinderung im Rollstuhl auf die Schule aufgenommen werden soll. Diese Diskussionen haben mich sehr betroffen gemacht. Ich war damals mit ihrem Bruder befreundet. Die Schülerin wurde trotz vieler Bedenken aufgenommen.
Die nächste Regierung muss die Barrierefreiheit mit pragmatischen Lösungen weiter vorantreiben und die Integration von Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt unterstützen. In den Werkstätten sollte der Mindestlohn der Maßstab als Untergrenze sein. Jeder der arbeiten kann, soll die Chance haben von seiner Arbeit zu leben. Die nächste Bundesregierung sollte sich weiter für Barrierefreiheit einsetzen und dafür sorgen, dass der ganze Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung offensteht, bei angemessener Entlohnung.
Viele Dinge sind teurer geworden. Die Ursachen sind vielfältig: Der Umbau der Energieversorgung, der Klimawandel, gestiegene Löhne, die Kriege in der Ukraine und in Gaza… Die Wirtschaft muss wieder angekurbelt werden, damit wieder mehr Menschen Arbeit bekommen, Steuern und Sozialabgaben zahlen. Produkte wie Strom sollten mit niedrigeren Steuern belegt werden.“
ach der eigentlichen Diskussionsrunde hatten die anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werkstätte die Möglichkeit, ihre Fragen an die Kandidatin und die Kandidaten zu stellen. Dabei kam auch die nach der jüngsten Abstimmung im Bundestag zur Verschärfung der Migrationsgesetze auf, bei der CSU und CDU die Stimmen der AfD in Kauf genommen haben. „Wir haben nicht zur AfD gehalten. Alle anderen Parteien hätten auch für unseren Antrag stimmen können. Das haben sie aber nicht getan“, erklärte Alois Rainer. Feride Niedermeier und Marvin Kliem vertraten eine andere Meinung. Sie kritisierten, dass es vor der Abstimmung keine ausreichenden Gespräche gab: „Wir hatten keine Möglichkeit zur Mitbestimmung. Es lief nach dem Motto friss oder stirb.“ Deshalb konnten ihre Parteien nicht zustimmen.
In ihrem Schlusswort dankte Evi Feldmeier allen, Kandidatinnen und Kandidaten, die sich an der Diskussion beteiligt hatten: „Wir haben viel Informationen für die kommende Bundestageswahl bekommen. Ich würde mir wünschen, dass wir auch nach der Wahl wieder zu einer Diskussionsrunde zusammenkommen.“
Text und Bild: Sebastian Schmid/KJF
(to)