Interview mit Weihbischof em. Dr. Klaus Dick, Köln, vom 11. April 2012
In Gedenken an den verstorbenen Weihbischof
Regensburg/Köln, 1. März 2024
Der emeritierte Weihbischof Dr. Klaus Dick verstarb am 25. Februar 2024 im Alter von 95 Jahren kurz vor Vollendung seines 96. Lebensjahres. Dick war von 1975 bis 2003 Weihbischof in Köln. Die Exequien für den verstorbenen Weihbischof em. Dr. Klaus Dick werden am Samstag, 2. März 2024, im Kölner Dom gefeiert. Das Pontifikalrequiem wird zelebriert vom Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki. In Gedenken an den Verstorbenen veröffentlichen wir an dieser Stelle ein Interview, das Prof. Dr. Peter Hofmann (Augsburg) im April 2012 mit Weihbischof em. Dr. Klaus Dick führte. Das Gespräch wurde auch 2014 in den Mitteilungen des Institut Papst Benedikt XVI. (MIPB 7 /2014, 137-142) publiziert.
Klaus Dick (* 1928), Promovend von Gottlieb Söhngen und emeritierter Weihbischof des Erzbistums Köln, gehört zu den wenigen Zeitzeugen, die aus unmittelbarer Erfahrung belegen können, welche Rolle Joseph Ratzinger als Peritus von Kardinal Frings für das II. Vatikanische Konzil und seine Rezeption spielte. Der im Folgenden abgedruckte Text gibt ein Interview vom 11. April 2012 wieder.
Wo und wann haben Sie Joseph Ratzinger kennengelernt?
Joseph Ratzinger habe ich kennengelernt, als ich im Sommersemester 1949 nach München kam, im sogenannten Freisemester. Wie auch heute noch üblich, erhielten wir für das dritte Studienjahr, fünfte und sechste Semester, den dringenden Rat, eine andere als die Bonner Fakultät kennenzulernen, und damit auch außerhalb des Konviktes zu wohnen - letzteres war damals eine wichtige Erfahrung, weil wir bei allen zeitbedingten Mängeln doch verwöhnt waren mit Unterkunft und Verpflegung. Wir brauchten uns, anders als die anderen Studenten, um nichts in der Bewältigung des Alltags zu kümmern. Dass nicht wenige von uns für die Zeit der Freisemester München wählten, lag nahe. Denn die dortige Fakultät hatte den Vorteil, dass sie sich nach dem Krieg völlig neu aufstellen musste, weil sie - ich meine, es war 1938 - von den Nazis geschlossen worden war. Kardinal Faulhaber hatte sich geweigert sein Placet zu geben für die Berufung von Hans Barion, einem Kirchenrechtler, der den damaligen Machthabern ziemlich nahe stand. (Er hat nach dem Krieg seinen Lehrstuhl in Bonn, wo er nach dem Münchener Vorkommnis angenommen war, nicht weiter behalten können.) München war für uns Kölner Theologen auch deshalb anziehend, weil ein Kölner Diözesanpriester, Gottlieb Söhngen, als Fundamentaltheologe nach München berufen worden war. So war es für uns Kölner auch selbstverständlich, dass wir in sein fundamentaltheologisches Seminar gingen. Ich erzähle immer gerne, dass ich bei einer der ersten Seminarsitzungen zum ersten Mal den Namen des Heiligen Vaters gehört habe, den ich bis dahin noch nicht kannte. Denn Professor Söhngen, der immer Hochdeutsch mit kölnischem Akzent sprach, sagte einmal in einem Zusammenhang, den ich nicht mehr weiß: „Also, der Joseph Ratzinger: eine einmalije Bejabung!"
Damals war, weil die Universitätsgebäude in der Stadt noch die Kriegsschäden trugen, die theologische Fakultät mit den Professoren und den Theologiestudenten im Schloss Fürstenried untergebracht; wir „Auswärtigen" fuhren von unseren Privatquartieren dorthin. Auf engem Raum konnten sich Lehrende und Lernende, „Einheimische" und von Ferne Kommende, begegnen - vor allem in den Vorlesungspausen.
Als ich ein Jahr später nach Bonn zurückging, hatte mir Professor Söhngen eine Lizentiatsarbeit mitgegeben, die ich nach der zweiten Abschlussprüfung fertigstellen sollte, indem ich für ein Jahr, ehe ich ins Kölner Priesterseminar ging, nach München beurlaubt würde. So war es mit dem Direktor des Bonner Theologenkonviktes und mit Professor Söhngen abgesprochen; letzterer hatte dabei in Aussicht gestellt, die Lizentiatsarbeit später zur Dissertation erweitern zu können; promovieren konnte man damals erst nach der Priesterweihe.
Es kam anders: Bei Skrutinium, das Kardinal Frings am Ende der Bonner Zeit hielt, fragte der Erzbischof mich, ob ich Bedenken hätte, ins Seminar zu gehen. Ich konnte ganz klar verneinen - es fiel mir nämlich auch nicht leicht, mich von meinen Studiengenossen trennen zu müssen! Daraufhin sagte der Kardinal: „Dann lassen wir das mit dem Lizentiat - das ja doch nur eine halbe Sache sei -: Sie gehen ins Seminar, und nach einer Zeit in der Seelsorge stelle ich Sie frei zum Doktorieren.“ Söhngen war mit dieser Umplanung voll einverstanden. Er hat sich dann wohl vor meiner Priesterweihe brieflich an den Erzbischof gewandt und gebeten, dass ich möglichst bald eine Stelle zugewiesen erhalten möchte, an der ich mit der Doktorarbeit weiterkommen sollte. Dem wurde entsprochen. Ich erhielt eine „Studierstelle“, eine Gemeinde in der Nähe von Bonn, die kirchenrechtlich eine „Expositur“ war, d.h. formal unterstand ich dem zuständigen Pfarrer, war aber für meinen Bereich selbständig - ich wäre heute noch dort, hätte mich nicht der Erzbischof nach zwei Jahren als Repetent ans Theologenkonvikt Albertinum nach Bonn berufen - wieder mit der Möglichkeit, neben der Haupttätigkeit mich meiner Dissertation widmen zu können.
Wiederum nach zwei Jahren änderte sich für mich die Situation gründlich: Der Erzbischof wollte mich zum Studentenpfarrer in Bonn ernennen; allerdings sollte ich vorher freigestellt werden, um meine Doktorarbeit beenden zu können. Vom Frühjahr 1957 bis zum Beginn des Wintersemesters 1957/58 habe ich in München - im Nebenamt Hausgeistlicher in einem Altersheim - meine Dissertation fertig gestellt. Der Kontakt zu meinem Doktorvater, der bis dahin durch Besuche seinerseits in Bonn und meinerseits in München aufrechterhalten wurde, konnte nun intensiviert werden. Über mangelnde Betreuung seitens des Professors Söhngen konnte ich mich wirklich nicht beklagen! Selbstverständlich erfuhr ich, vor allem in den Gesprächen mit ihm, auch immer über den anderen Promovierten, Joseph Ratzinger, wie es mit ihm weiterging. Im November 1957 begann ich meinen Dienst als Studentenpfarrer, fuhr zu den zwei Phasen des Rigorosums und zu Disputationen jeweils nach München.
Meine Beziehung zum Hl. Vater Benedikt erfuhr dann eine besondere Steigerung, als Joseph Ratzinger mit Beginn des Sommersemesters 1959 als Professor für Fundamentaltheologie nach Bonn kam. Er hat ja selbst in seinen Erinnerungen geschildert, dass ihm zwei Priester - beide Doktorschüler von Professor Söhngen - im Rheinland, seiner neuen Wirkungsstätte, bekannt waren: Außer mir war es Hubert Luthe, jetzt Alt-Bischof von Essen, damals Sekretär von Kardinal Frings. Papst Benedikt hat ja bei seinem letzten Zusammentreffen mit dem römischen Klerus vor seinem Rücktritt ausführlich geschildert, wie über Kaplan Luthe der Kontakt mit Kardinal Frings zustande kam, der dann wirklich kirchengeschichtlich hoch bedeutsam wurde! Darüber gibt es nachher noch etliches zu sagen.
Für mich als Studentenpfarrer war über den persönlichen Kontakt hinaus, der selbstverständlich auch theologische Gespräche mit sich brachte, die Einbeziehung des jungen Professors in die Studentenpastoral eine großartige Möglichkeit. Noch heute erinnern sich Studenten von damals an die Vorträge, aber auch an die Wanderungen mit Professor Ratzinger im Siebengebirge. Nicht zu vergessen ist, dass schon damals die Reputation des jungen Fundamentaltheologen sehr groß war!
Wie schon erwähnt, war in der Bonner Zeit die Begegnung mit Kardinal Frings am folgenreichsten! Der Kardinal hat in seinen Erinnerungen - ohne zu ahnen, dass der Professor, über den er schrieb, einmal Papst werden möge - geschildert, dass ihm der neu in Bonn wirkende Professor in einer Konzertpause von Sekretär Luthe vorgestellt wurde. Dass der schon fast erblindete Erzbischof die Qualität seines Gegenübers sogleich erkannte, ist erstaunlich und bewundernswert! In Rom hat ja Papst Benedikt den Geistlichen erzählt, dass er für den Kölner Kardinal einen Vortragsentwurf erstellt hat, der von Frings nahezu wörtlich übernommen und dann in Genua in einer großen Vortragsreihe über das kommende Konzil gehalten wurde. Wie es dann weiterging, hat Benedikt XVI. ja erzählt: Der Kölner Kardinal wurde zu Papst Johannes XXIII. gerufen, der seinen Dank aussprach für den Vortrag; er, der Papst, habe ihn in der Nacht vorher gelesen, und eben das sei es, was er mit dem Konzil wolle. Wohl aus Bescheidenheit hat Papst Benedikt bei seinem Bericht vor den römischen Geistlichen nicht erwähnt, dass der Kölner Kardinal nach den Lobesworten des Papstes diesem gesagt habe, ein Professor Ratzinger habe ihm den Vortrag entworfen. Das war typisch für den Erzbischof: er ließ nie Andere unerwähnt, wenn er gelobt bzw. gerühmt wurde.
Seinerseits hat Benedikt XVI. mehrfach betont, dass für ihn der Kölner Kardinal geradezu das Muster eines Konzilsbischofs gewesen sei, dem er viel verdanke. Man könnte also auch sagen, dass indirekt ja schon Ratzinger durch Papst Johannes XXIII. als ein wesentlicher Stichwortgeber anerkannt worden ist und dass diese Anerkennung mit der Rolle von Kardinal Frings auf dem Konzil sicherlich eng zusammenhängt. Ja, und zwar indirekt. Ich glaube nicht, dass der Papst den „Stichwort-Geber“ einmal persönlich gesprochen hat, die Anerkennung der Frings-Rede hat sicher mit dazu beigetragen, dass der Kardinal den Professor gebeten hat, ihn als theologischen Berater zum Konzil zu begleiten. Das bedeutet aber: Joseph Ratzinger musste einem fast blinden Konzilsvater zur Seite stehen. Schon bei der Vorbereitung bedeutete das, auch sub secreto zu behandelnde Schriftstücke mussten dem Kardinal vorgelesen werden. Dazu hatte übrigens Dr. Hubert Luthe, der ebenso wie Professor Ratzinger dem Kardinal zur Seite stand, eine besondere päpstliche Genehmigung. Sicher kann man sagen, dass kein Wort in den Äußerungen des Konzils nicht vorher unter den Augen des Professors war. Die Wortmeldungen des Kölner Erzbischofs wurden selbstverständlich von seinem Berater intensiv vorbereitet; dankenswerterweise ist dies nun alles dokumentiert in den „Gesammelten Schriften" Band 7.
Einen kleinen, aber intensiven Eindruck vom Konzilsgeschehen und der Arbeit von Kardinal Frings konnte ich gewinnen, weil ich in der dritten und vierten Session jeweils für ein paar Tage in Rom sein konnte. Kardinal Frings hatte mich eingeladen und mir die Genehmigung verschafft, bei den Sitzungen des Konzils dabei zu sein. Es traf sich gut, dass ich beide Male eine Rede von dem Erzbischof miterlebte. Wegen seiner Erblindung bat er darum, dass sein Beitrag vorgelesen wurde - einmal war es Dr. Luthe, das andere Mal trug der Generalsekretär die Intervention vor.
Da ich in diesen Tagen in der Anima wohnen konnte, erlebte ich auch gleichsam den Alltag außerhalb der Konzilsaula. Am Morgen zelebrierten Professor Ratzinger, der Sekretär Luthe und ich abwechselnd in der Kirche der Anima (es gab ja noch keine Konzelebration), dann konnte ich mitfahren nach St. Peter. Wenn der Kardinal im Konzil gesprochen hatte, diktierte er auf der Rückfahrt den Text seiner Rede - natürlich auswendig! -, da es für alle Konzilsväter vorgeschrieben war, nach einer mündlichen Intervention den Text schriftlich nachzureichen. Nachmittags, so konnte ich es miterleben, war dann für den Kardinal die Zeit, etwa beim Kaffee, sich mit den anstehenden Konzilsthemen zu beschäftigen. Ich konnte einmal miterleben, dass er den Bischof Schroffer zu Besuch hatte und mit diesem bestimmte Texte der Konzilsvorlagen besprach. Man konnte nur staunen, wie er genau Stellen in den Vorlagen im Kopf hatte und darlegte, ob man vielleicht den einen oder anderen Ausdruck wählen müsse.
Natürlich gab es auch Erholungszeiten; dann konnte ich nachmittags mit Professor Ratzinger und Dr. Luthe Ausflüge in die Umgebung machen oder in Rom spazieren gehen. Über Inhalte der Konzilstexte bzw. der Interventionen haben wir dabei nicht gesprochen, erst recht nicht über die Überlegungen und den Austausch zwischen dem Kardinal und seinen Beratern. Nach dem Abschluss der einzelnen Sessionen habe ich dann immer mit großem Interesse die Rückblicke gelesen, die Joseph Ratzinger veröffentlichte. Übrigens hat auch Kardinal Frings, wie er selbst sagte, wenn er auf das Konzilsgeschehen zurückblickte, die Ausführungen von seinem Berater hilfreich gefunden.
Wie waren Ihre weiteren Kontakte mit Joseph Ratzinger?
Markant waren in der Zeit nach dem Konzil die Treffen, die der spätere Weihbischof und dann Bischof von Essen veranstaltete. Einmal im Jahr trafen sich interessierte Theologen und Studenten in Bierbronnen, dem Sitz der Gustav-Siewerth-Akademie, um einige Tage ein bestimmtes theologisches Thema zu behandeln. Die Vorträge vor den Diskussionen wurden im systematischen Teil von Professor und einmal auch noch vom Erzbischof Ratzinger gehalten, im exegetischen Teil von Professor Heinrich Schlier. Beide waren theologisch „auf der gleichen Wellenlänge“ und persönlich befreundet. Ich kannte Professor Schlier etwas näher, weil er mein „Pfarrkind“ war, als ich 1969-1972 Pfarrer von St. Michael in Bonn war. Ich habe damals den Professor, der evangelischer Pfarrer und Exegese-Professor an der evangelisch-theologischen Fakultät gewesen war, ehe er im Alter von 53 Jahren konvertierte, sehr schätzen gelernt. Er hat mir in den damaligen Turbulenzen der 68-er Vorgänge viel geholfen, z.B. bei Diskussionen im Pfarrgemeinderat, in den er immer mit den meisten Stimmen gewählt wurde, obwohl er keine große Wertschätzung für diese Institution hegte. Bezeichnend für ihn war seine Reaktion, als er von Kardinal Höffner die Erlaubnis erhielt, in der Kirche zu predigen. (Damals war die Beschränkung der Messpredigt auf die Geweihten noch nicht festgelegt.) Als ich dem Professor das Schreiben überbrachte, sagte er: „Ich weiß diese Wertschätzung des Herrn Kardinals sehr zu würdigen, aber bitte, nehmen Sie es mir nicht übel, ich möchte von dieser Erlaubnis keinen Gebrauch machen; denn die Predigt im Gottesdienst ist Sache der Geweihten. Wenn es nötig wäre - was jetzt nicht der Fall ist - einzuspringen, damit gepredigt wird, dann würde ich nicht an den Ambo gehen, sondern nur aus der Bank in den Gang treten und von dort aus sprechen.“ Gerne wolle er aber seine Kenntnisse auch der Gemeinde zugutekommen lassen; so bot er eine Vortragsreihe über die Passionsberichte im Markusevangelium an.
Was Kardinal Frings betrifft, muss man feststellen, dass er, ähnlich wie der Konzilskenner Professor Hubert Jedin - der ja auch theologischer Berater gewesen war - über die nachkonziliare Entwicklung äußerst betrübt war. In seiner fast skrupulösen Gewissenhaftigkeit fragte er sich, ob eine Mitschuld der Konzilsväter vorliege angesichts der Vorfälle, die nicht zuletzt in der Liturgie einen Bruch mit der gewachsenen Form des gottesdienstlichen Lebens markierten. Es war ja nicht zuletzt der Professor und dann der Kardinal Ratzinger, der die Gefahr und - man kann schon sagen: die Katastrophe - dieser Fehlentwicklung aufzeigte. „Haben wir Wind gesät und Sturm geerntet?“ - so drückte es der ehemalige Konzilsvater wörtlich aus. Er sah sich in einer Verantwortung, die man sicher nicht ihm aufbürden konnte! Wenn Joseph Ratzinger als Papst deutlich gegensteuerte, nicht zuletzt durch das Motu proprio „Summorum Pontificum“, so mag er im Ohr gehabt haben, was uns Studenten 1950 der bedeutende Liturgiewissenschaftler Josef Pascher in München zur Frage der damaligen Vorschriften zum Empfang der hl. Kommunion sagte: „Meine Herren, Sie dürfen nie Zeichen der Ehrfurcht abschaffen, sonst schaffen Sie die Ehrfurcht ab!“
Besonders schwierig gestaltete sich ja die innerkirchliche Lage im Zusammenhang mit der päpstlichen Enzyklika Pauls VI. „Humanae vitae“ 1968. Als bei einer Priesterversammlung hier in Köln der damalige Bonner Moraltheologe Professor Böckle die päpstliche Entscheidung gegen künstliche Empfängnisverhütung kritisierte, griff Kardinal Frings scharf ein und betonte, so dürfe man nicht gegen eine päpstliche Entscheidung Stellung nehmen. Für ihn war der Gehorsam gegenüber dem Lehramt absolut selbstverständlich; aber nicht nur das: auch Vorschriften weitaus geringerer Relevanz wurden selbstverständlich beachtet. Als der Erzbischof einmal einen jungen Priester traf, der einen hellgrauen Mantel trug, sagte er spontan: „Aber ich habe Sie doch zum Priester geweiht!“ Typisch war es für ihn auch, dass er einmal nach einem sorgenschweren Gespräch über die Zustände in der Kirche mit den Worten schloss: „Aber wir müssen die Kirche lieben!“
Wie stand Kardinal Frings zu Söhngen?
Was ich beobachten konnte: Das Verhältnis beider zueinander war von echter Hochachtung geprägt. Deutlich wurde das, als der Kardinal beim Goldenen Priesterjubiläum assistieren wollte; der Professor feierte dieses Fest 1967 in der Kölner Kirche „Maria vom Frieden“; das war auch seine Primizkirche gewesen. Ich persönlich konnte diese Wertschätzung auch erfahren, als in meiner Stellenzuweisung nach der Weihe Professor Söhngen darum bat, man möge mir - entgegen der Praxis, erst einige Zeit nach der Weihe einen Doktoranden für die Promotion freizustellen - sogleich die Möglichkeit geben, daran weiterzuarbeiten. Der Kardinal sagte: „Ich möchte Herrn Professor Söhngen diese Bitte nicht abschlagen.“
Hatte Kardinal Frings Lieblingsthemen und bevorzugte Theologen?
Ich weiß nicht, ob der Kardinal Lieblingsthemen hatte. Gerade seine Interventionen auf dem Konzil zeigen m. E., dass er sich sehr breit interessierte und in die theologische Thematik einbringen konnte. Sicher war das Neue Testament ihm besonders vertraut; er hatte sich ja für ein neutestamentliches Thema als Dissertation entschieden. Vielleicht aber ist in diesem Zusammenhang interessant, dass er bei der Feier seines Goldenen Doktorjubiläums - 1967 in Freiburg - in seiner Dankesansprache auf die Theologen hinwies, die von Rom gemaßregelt worden waren. Er betonte, dass deren Ärger nie zu einer öffentlichen Kritik an der Kirche geführt habe!
Hat sich der Kardinal auch gelegentlich über die Periti anderer Bischöfe geäußert?
Das habe ich nie erlebt. Kardinal Frings war überhaupt sehr diskret, wenn es um andere Personen ging. Wenn ich als Direktor des Albertinums mit ihm zu telefonieren hatte, nannte er nie Namen, sondern allenfalls umschrieb er die Personen, über die zu sprechen war. Übrigens hat er sich nie über seine fortschreitende Erblindung beklagt.
Man kann den Versuch einer Charakterisierung von Kardinal Frings nicht abschließen, ohne auf eine besondere Begabung hinzuweisen, die nach der Beerdigung des Kardinals vom jetzigen Heiligen Vater Benedikt in kleiner Runde betont wurde. Er sagte, man müsse unbedingt die Aussprüche des Verstorbenen sammeln, mit denen er auf Worte oder Vorkommnisse reagierte; das würde nicht nur die Person des Kardinals charakterisieren, sondern auch die jeweilige Situation kennzeichnen. Zwei humorvolle Zitate mögen hier als Beispiel dienen: Als bei einer Sitzung des Erzbischöflichen Rates einer der Prälaten Klage führte über die oft schamlosen Plakate an den Litfaßsäulen, entgegnete der Kardinal seinem Duzfreund: „Siehst Du, diese Belastungen habe ich nicht, denn ich kann solche Plakate ja nicht sehen!“ Und bei der Fahrt zu einer Pfarrei fragte der Visitator Frings den neben ihm im Wagen sitzenden Dechant, ob dieser keinen Wagen fahre. Der farbenblinde Priester sagte „Ich darf gar nicht fahren, denn ich kann Rot und Grün nicht unterscheiden.“ Darauf der Kardinal: „Dann halten Sie mich wohl für einen grünen Jungen?!“
Ich kann über den Kölner Kardinal, der meinen Weg als Priester wesentlich geprägt hat, nicht sprechen, ohne als bewundernder Lobredner zu erscheinen. Aber mein großer Trost dabei ist es, dass sein Konzilsberater, der jetzige Heilige Vater Benedikt, ebenfalls den Erzbischof, der 1942-1969 die Kölner Kirche regierte und im hohen Alter 1978 starb, für eine großartige Persönlichkeit hält!
Das Gespräch führteProf. Dr. Peter Hofmann (Augsburg) am 11. April 2012
Foto: Boecker / Erzbistum Köln
(jas)