News Bild Interview mit Günter Jehl: Kirchliche Schulen müssen bei der Personalgewinnung kreativer reagieren
Interview mit Günter Jehl: Kirchliche Schulen müssen bei der Personalgewinnung kreativer reagieren

Für die Schule werden die Sozialen Medien immer wichtiger

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Mit dem Direktor der Schulstiftung, Günter Jehl, sprachen wir über die Zukunft der katholischen Schulen, über Neuevangelisierung und warum die Hauskirche eine größere Rolle spielen wird.

Sehr geehrter Herr Jehl, was hat sich in den letzten Jahren in den katholischen Schulen verändert? Sie betonen, dass Schule immer ein Abbild der Gesellschaft ist.

Schule ist – unabhängig von der Trägerschaft – ein Abbild der Gesellschaft, weil alle Entwicklungen, Strömungen, Probleme und Fragen, die man in der Gesellschaft im kirchlichen, weltlichen, politischen oder ideologischen Bereich beobachten kann, in der Schule präsent sind. Von daher stehen wir als Träger von katholischen Schulen in der Pflicht, diese Entwicklungen stets kritisch zu hinterfragen sowie zu reflektieren, ob unsere Schulen „nur“ besonders gut geschützte Bildungs- und Lebensräume mit spürbar guter Atmosphäre sind. Wir werden einen noch stärkeren Beitrag dazu leisten müssen, u. a. das Glaubenswissen in den Familien und in den Kollegien zu vermehren. Hier sind überzeugende und überzeugte Vorbilder gefragt, die authentisch zu den grundsätzlichen Sinnfragen unseres menschlichen Lebens Stellung nehmen können und damit eine echte und tragfähige Hilfe für die mitunter großen Nöte insbesondere der uns anvertrauten jungen Menschen anzubieten.

Woran liegt es, dass es sowohl in der Familie als auch bei den Jugendlichen immer weniger katholisches Glaubenswissen gibt?

Die Weitergabe von katholischem Glaubenswissen erfolgt vorrangig in der Familie, in der Pfarrei und in der Schule. Eine nüchterne Analyse zeigt, dass in allen drei Bereichen z. T. dramatische Veränderungen eingetreten sind: In den jüngeren Elterngenerationen ist in der Regel nicht mehr viel Glaubenswissen zur Weitergabe vorhanden. Die Versuchung, eher auf sich bzw. den Menschen als auf Gott zu schauen, ist auch in der Kirche sehr groß. Das Thema „Verweltlichung“ mit seinen Folgen wurde ja eindrucksvoll von Kardinal Ratzinger / Papst em. Benedikt XVI. schon vor/seit vielen Jahren erörtert. Wir können uns auch nicht allein auf einen (katholischen) Religionsunterricht verlassen, der vieles transportieren soll, aber nicht unbedingt katholisches Glaubenswissen. Zudem kann man den omnipräsenten Einfluss der Medien im Grundsatz wohl nicht als kirchenfreundlich bezeichnen, was natürlich nicht ohne Auswirkung bleibt.

Günter Jehl

Foto: ©St. Marien-Schulen der Schulstiftung der Diözese Regensburg

Welches sind die größten Vorbehalte, mit denen Sie es bei Ihren Schulen zu tun haben?

Ich erfahre eigentlich keine Vorbehalte bzgl. unserer Schulstiftungsschulen, zumal deren Arbeit sehr geschätzt wird. Tatsächlich ist natürlich das Schulgeld, das sich im Vergleich zu anderen privaten Schulträgern auf deutlich niedrigerem Niveau bewegt, immer wieder ein Thema – gerade in Zeiten von Preissteigerung und Inflation. Ein Missverständnis ist auch oft, dass die Menschen meinen, man könne nur als römisch-katholisch getaufter Christ unsere Schulen besuchen. Selbstverständlich gehört das tägliche Morgengebet oder die Feier der kirchlichen Hochfeste im Jahreskreis zum Schulleben dazu.

Die Gesellschaft verändert sich zunehmend und immer schneller – auch traditionelle Wertebilder werden modifiziert. Inwieweit strahlen Konfliktthemen wie Lebensschutz oder Genderideologie in den Schulalltag hinein und wie kann man da noch katholische Werte vermitteln?

Es ist ganz klar, dass vor dem Hintergrund von Liberalismus und Relativismus immer mehr junge Menschen das Gefühl haben, dass das, was sie täglich in den Mainstreammedien zu diesen Themen erfahren, die Wahrheit ist. Zudem vermitteln ja die aktuell Regierenden mit ihrer Einstellung und ihrer Gesetzgebung auch deren Überzeugung, dass das Leben erst mit der Geburt beginne, im besten Fall vielleicht ein paar Monate früher, und dass Abtreibung wie die Entfernung eines entzündeten Blinddarmfortsatzes zu werten sei. Am Ende stellen führende Politiker weltweit das Recht auf Abtreibung als ein Menschenrecht dar. Dieses Unwissen ist schon erstaunlich in unserer sog. „Wissensgesellschaft“, in der jedoch scheinbar nicht überall wissenschaftliche Erkenntnisse ankommen. Hier hat Schule echte Bildungsarbeit zu leisten, frei von Ideologie. Die Genderideologie stellt sich als Ausdruck einer vermeintlich modernen, offenen und freien Gesellschaft dar. Letztlich gilt auch hier: Die meisten Menschen wissen überhaupt nicht, was sich hinter dieser Ideologie verbirgt. Langsam beginnen sie jedoch zu begreifen, wie uns Stück für Stück unsere Freiheit – bis hinein in die Rechtschreibung und Sprache – entzogen wird und wie unsinnig die auf dieser Ideologie basierenden Regelungen sind. Insofern haben gerade unsere Schulen den schwierigen Auftrag, klar und auf der Basis der kirchlichen Lehre Stellung zu beziehen. Ich wiederhole mich: Wir brauchen authentische Vorbilder!

Wie ist eine Neuevangelisierung innerhalb des Lebensraums Schule möglich – und wer kann hier aktiv mit unterstützen?

Grundsätzlich kann jeder Christ, der mit jungen Menschen in Verbindung steht, durch sein persönliches (Glaubens-)Zeugnis zur (Neu-)Evangelisierung beitragen. In erster Linie sind natürlich die Lehrkräfte und die Schulleitungen gefragt, die im Idealfall selbst in der Nachfolge Christi leben: Stichwort Vorbild! Wir können nur kleine Schritte tun, Samenkörner säen und dürfen nicht davon ausgehen, die Früchte selbst ernten zu dürfen. Insofern sind wir gut beraten, u. a. entsprechende Angebote wie z. B. Wahlfächer oder Vorträge anbieten.

Was ist ihrer Meinung nach zu tun, damit die neue Generation weiter den katholischen Glauben in die Welt trägt und welche Rolle spielt dabei die Hauskirche?

Nachdem immer größere Teile der katholischen Kirche in Deutschland auf dem Weg zu einer „zweiten evangelischen Kirche“ (Papst Franziskus) sind, und nachdem wohl die Zeit der großen Volkskirche auf der Basis des Kirchensteuersystems einem Ende zugeht, werden wir umdenken müssen. Es stimmt mich sehr zuversichtlich, dass es viele sehr gute Neuanfänge gibt, im Kleinen, in katholischen Gemeinschaften usw. Ich denke, dass es an der Zeit ist, diese Neuanfänge sehr gut zu begleiten sowie den engagierten und gläubigen Christen Mut zu machen, weil sie die Zukunft des katholischen Glaubens sein werden. Hauskirche bzw. „Kirche im Kleinen“, die sich treu und ohne Verwässerung zu Jesus Christus bekennt, wird immer wichtiger. Nur wenn für jeden von uns selbst Jesus Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, dann werden wir in Deutschland den katholischen Glauben weitergeben können.

Mit welchen Maßnahmen könnte man die neue Schulgeneration wieder stärker in den Glauben einbinden? Müssen da neue Angebote, beispielsweise in den Sozialen Medien geschaffen werden? Wäre ein Aufbau eines Bildungszentrums für Glaube und Volksfrömmigkeit ein Mittel dazu?

Für jegliche Form von Lehre gilt, dass die Lernenden da abgeholt werden müssen, wo sie stehen. Insofern müssen die sog. Sozialen Medien – ein Begriff, der mir übrigens nicht gefällt, weil ich diese Medien oftmals als sehr unsozial erlebe – eine Rolle spielen, weil sie wichtige Informationskanäle für junge Menschen darstellen. Es gibt ja bereits viele katholische Angebote und „Apps“, die leider noch viel zu unbekannt sind. Persönlich halte ich ein Bildungszentrum für Glaube und Volksfrömmigkeit für enorm wichtig. Es wäre eine äußerst sinnvolle und dringend benötigte Investition in die Zukunft!

Staat und Kirche haben einen gemeinsamen Bildungsauftrag. Die Kirche will daran festhalten, fühlt sich aber von einem starken Staat, der sogar Lehrer abwirbt, oft in die zweite Reihe gedrängt. a. Was wünschen Sie sich vom Staat, b. was bedeutet das für kirchliche Schulen?

Bzgl. der (finanziellen) Rahmenbedingungen spreche ich gerne von einer Asymmetrie zwischen Staat und Kirche. Staatliche Schulen haben von vorneherein mehr Personal zur Verfügung (z. B. die integrierte Lehrerreserve bzw. die vielen Budgetzuschläge). Zwar erhalten private Schulen – übrigens gewinnorientierte Träger in gleicher Höhe wie die Kirche mit ihrem verhältnismäßig niedrigen Schulgeld – für die Personalkosten eine Refinanzierung. Diese müsste aber dringend erhöht werden, weil sie auf einem veralteten Modell basiert und definitiv nicht ausreichend ist. Letztlich ist nicht einsehbar, warum der Staat an dieser Stelle massiv einspart. Zudem dauert es oft viele Jahre, bis der Staat zugesagte Fördermittel für Sanierung und Neubau von Schulen an die privaten bzw. kirchlichen Träger überweist. Damit werden weitere Baumaßnahmen massiv erschwert. Fazit: Kirchliche Schulen müssen u. a. bei der Personalgewinnung wesentlich kreativer und flexibler reagieren.

Warum sind Ihrer Meinung nach die kirchlichen Schulen voll, die Kirchen aber nicht?

Ich kenne einige Kirchen, die stets gut gefüllt sind – sogar die Beichtstühle! Natürlich haben sich die Zeiten geändert. Unsere Kirche ist mystischer Leib Christi, unsere Priester bringen uns in menschlich unvorstellbarer Weise vor allem in der Hl. Eucharistie mit Christus real in Verbindung – bei jeder Heiligen Messe! Die Priester schenken uns das Sakrament der Vergebung. Wenn diese Schätze der Kirche wieder in den Vordergrund und zugleich betriebswirtschaftliche sowie soziale (Management-) Fragen – bei aller Bedeutung – in den Hintergrund rücken, werden die Menschen auch wieder in die Gotteshäuser strömen.

Kirchliche Schulen stellen für viele Eltern einen besonderen Schutzraum für ihre Kinder dar. Einige unserer Schulen nutzen auch die Möglichkeit pädagogischer Freiräume z. B. beim Marchtaler Plan. Natürlich gibt es auch Eltern, für die das katholische Profil eher zweitrangig ist. Insgesamt soll in unseren katholischen Schulen der Mensch als Geschöpf Gottes mit einer lebendigen Beziehung zu seinem Schöpfer im Zentrum stehen. Fast alle unserer kirchlichen Schulen wurden von Ordensgemeinschaften gegründet, denen diese vertikale Verankerung des Menschen bei Gott, bei Jesus Christus, ein wesentliches Anliegen war. Und das ist heute noch spürbar.

Worauf sollten katholische Schulen ihren Schwerpunkt setzen, um sich mehr von staatlichen abzuheben? Viele katholische Schülerinnen und Schüler wissen nicht, wie eine Heilige Messe aufgebaut ist, woran liegt das?

Viele Kinder, die an unsere Schulen kommen, wissen tatsächlich nicht wie eine Heilige Messe aufgebaut ist, weil oftmals – wie in vielen Familien – nicht einmal regelmäßig die Sonntagsmesse besucht wird. Wenn dem aber so ist, frage ich mich, warum nicht verstärkt in Predigt oder Katechese und vor allem im Religionsunterricht solche Themen im Sinne einer Grundwissensvermittlung aufgegriffen werden. Viele Verantwortliche müssten sich selbstkritisch solche Fragen stellen. Es gibt aber wieder Keimzellen im Privaten und auch in kirchlichen Kreisen, die genau hier kreativ und erfolgreich ansetzen. Für unsere katholischen Schulen gilt, dass wir mit guten Angeboten über Fächergrenzen hinweg den jungen Menschen deutlich machen, was eine lebendige Beziehung zu Gott bedeutet. Gott hat eben nicht nur den Impuls für unsere Existenz gegeben, um dann in unserem Leben keine Rolle mehr zu spielen außer der des Sündenbocks, wenn Leid oder Misserfolg eintritt. Gerade in unseren katholischen Schulen müssen die Verantwortlichen glaubwürdig vermitteln, dass der Mensch sein Leben MIT Gott führt, von Anfang bis zum Ende, durch Freude und Leid – wie mit seinem besten Freund! Zur Hilfe haben wir die großen Heiligen bis herein in die Neuzeit, die es uns vorgelebt haben. Leider wird viel zu wenig über diese Menschen gesprochen. Dabei wäre z. B. ein Jugendlicher wie der 2020 selig gesprochene Carlo Acutis (1991 – 2006) vermutlich DER Internet-Heilige schlechthin!

Was könnte die christliche Schulbildung in Deutschland vielleicht von anderen Ländern lernen?

Ich denke, dass wir durch unseren jahrzehntelangen Wohlstand sowie unser auf Sicherheit bedachtes Agieren in eine gewisse Unbeweglichkeit gekommen sind. In Deutschland muss in der Regel alles bis ins letzte Detail durchgedacht und vor allem finanziert sein, bevor man den ersten Schritt macht, was oftmals Jahre dauern kann. Das Vertrauen auf Gott bzw. auf seine Vorsehung ist ganz schnell verschwunden, wenn es überhaupt da ist. Vielleicht sollte man kirchliche Projekte zukünftig zuerst „durchbeten“ bzw. im Gebet vorbereiten und begleiten – für manche vermutlich ein Gedanke aus uralter Vorzeit!

Gerade in ärmeren Ländern wird in katholischen Schulen eine große Begeisterung für Jesus Christus glaubwürdig vermittelt. Darüber sollten wir nachdenken! In anderen Ländern gibt es wohl auch einen größeren Mut zu mehr Exklusivität. Bei uns fallen hier schnell Schlagworte wie Extremposition, Traditionalismus oder ganz modern: Diskriminierung etc. Ich denke, wir befinden uns gesamtgesellschaftlich – bildlich gesprochen – auf einer Autobahn und fahren mit Höchstgeschwindigkeit zur Mittelmäßigkeit.

Die Geschichte zeigt, dass Veränderungen viel Geduld brauchen und das Gleichnis vom Weizenkorn verdeutlicht eindrucksvoll, dass es sterben muss, bevor in Fülle die Frucht erblüht.

 

Fragen: Stefan Groß
Titelbild: (c) Christian Schwier - stock.adobe.com



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