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Generalvikar Dr. Roland Batz in der katholischen Wochenzeitung "Die Tagespost"

Kirche als Kontrastprogramm

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Regensburg/Würzburg, 15. September 2022


Wir veröffentlichen hier einen Beitrag von Generalvikar Dr. Roland Batz in der katholischen Wochenzeitung "Die Tagespost".


Eine Institution, die Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit verkündet und bezeugt, muss jeder Form von Willkür entgegentreten. Ein Plädoyer für eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit. Von Dr. Roland Batz  – Teil I


Die gesellschaftlichen Transformationsprozesse der Pluralisierung, Individualisierung sowie der Entnormativierung und Entsakralisierung haben nicht nur nachhaltige Risse in der Gesellschaft bewirkt, sondern insbesondere die Erosion kirchlicher Bindungen enorm beschleunigt. Neben diesen Säkularisierungsschüben waren es vor allem die sexuellen und geistlichen Missbrauchsfälle durch Priester sowie die Vertuschungsversuche, die zu einem dramatischen Ansehens- und Bindungsverlust geführt haben. Um die Kirche vor einem Imageschaden zu bewahren, sind über Jahrzehnte hohe moralische Maßstäbe unterlaufen und letztlich ad absurdum geführt worden. Studien und Gutachten bringen nun sukzessive die erschreckenden Taten ans Licht und verweisen auf das von Priestern und kirchlichen Mitarbeitern verursachte seelische, psychische und körperliche Leid zahlreicher Opfer.

Verdunsten kirchlicher Glaubensvorstellungen

Diese Verdunkelung des lebensbejahenden Zeugnisses der Kirche beschleunigte den sich ohnehin vollziehenden religiösen Wandel, der mit einem massiven Verlust an Kirchlichkeit einhergeht. Im Kern handelt es sich dabei um eine Absetzbewegung der neuzeitlichen Kultur von der Kirche sowie umgekehrt um eine Abgrenzung der Kirche zur Moderne. Wesentliches Phänomen dieser neuzeitlichen Kultur ist eine geistesgeschichtliche Strömung, die das Leben ausschließlich horizontal betrachtet. Im Zuge dieses innerweltlichen Denkansatzes werden die maßgeblichen Antworten auf die existenziellen Fragen des Lebens kaum mehr von der Religion, sondern von den Naturwissenschaften erwartet.

Der Fokus ist somit auf innerweltliche Prozesse und auf Funktionalität bezogen, wodurch es zwangsläufig zu einem Verblassen und Verdunsten kirchlicher Glaubensvorstellungen und Verhaltensnormen sowie einem schwindenden Einfluss kirchlicher Vorgaben in den dominierenden gesellschaftlichen Institutionen von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Erziehung kommt. Vorbei ist die Zeit der Volkskirche und einer mehrheitlich christlich geprägten Gesellschaft. Dass Glaube und Ethik ins Private und Individuelle abgedrängt werden, ist aber nicht nur für die Kirche, sondern auch für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung als äußerst problematisch zu bewerten.

Kirchensteuer verliert an Akzeptanz

Quantitativ erkennbar wird dieser einschneidende Veränderungsprozess durch die zahlreichen Kirchenaustritte. Da die Kirchensteuer für die Kirche die maßgebliche und sichere Finanzquelle zur Wahrnehmung ihrer vornehmlichen Aufgaben in Seelsorge, Bildung, Sozialwesen und Gebäudeunterhaltung ist, mindern die Kirchenaustritte die Finanzkraft der Diözesen in nachhaltiger Weise. Mit der zunehmenden Zahl von Kirchenaustritten verliert die Kirchensteuer auch innerhalb kirchlicher Kreise mehr und mehr an Akzeptanz; dass aber mit der Abschaffung des Kirchensteuersystems auch die Qualität der kirchlichen Verwaltung leiden und mit einem enormen Arbeitsplatzabbau einhergehen wird, sollte in der Gesamtbetrachtung der Konsequenzen nicht fehlen.

Im Zuge rückläufiger Kirchenmitgliedszahlen nimmt zudem sowohl die Spendenbereitschaft der Gläubigen ab, als auch der Legitimationsdruck auf die staatlichen Finanzleistungen zu. Für diese altrechtlichen Staatsleistungen bringen viele Bürger und Bürgerinnen immer weniger Verständnis auf. Dies führt seinerseits wiederum zwangsläufig zu einer Abschwächung der Akzeptanz von historischen Rechtstiteln auf Seiten einer säkular orientierten Politik.

Glauben an Jesus Christus überzeugend-argumentativ erschließen

Will die Kirche in einer veränderten, überwiegend nicht-christlich geprägten Gesellschaft jedoch als relevante Institution – und nicht als Sekte! – wahrgenommen werden, ist sie gehalten, neben der Offenlegung eines transparenten Finanz- und Finanzierungssystems sowie einer geordneten Rechtlichkeit auch den Glauben an Jesus Christus und ihr Selbstverständnis den Menschen zeitgemäß und überzeugend-argumentativ zu erschließen. Die Kirche ist zwar auf Petrus, den Fels (Matthäus 16,18), gegründet, sie darf in ihrem Denken und Handeln aber nicht versteinern.

In einer Zeit zunehmender Funktionalisierung, Rationalisierung und Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens kann die christliche Botschaft aber durchaus eine Alternative bieten und verdeutlichen, dass nicht alles Markt, Nutzbarmachung und Optimierungsdruck sein muss. In einer Gesellschaft, in der vielfach das zählt, was quantitativ messbar, zählbar und auf Wachstum ausgelegt ist, bietet die Botschaft Christi mit ihrer Option für das Menschsein und die menschliche Würde ein Kontrastprogramm; werden doch gerade die lebensbejahenden Werte (Respekt, Sinn, Liebe, Fairness, Freiheit, Frieden, …) nicht vom Markt und von Nützlichkeitserwägungen getragen. Insofern kann die Kirche auch unter veränderten Rahmenbedingungen deutlich machen, dass sie Anwältin des Unverzweckbaren ist sowie für Hoffnung auf Gerechtigkeit und Rettung steht.

Menschen wissen nicht, wofür die Kirche steht

Die säkulare Öffentlichkeit nimmt die Kirche meist nur mehr als eine „altväterlich und antiquierte“ Institution wahr, die sich obsessiv gegen bestimmte Themen in Stellung bringt, wie beispielsweise Abtreibung oder gleichgeschlechtliche Beziehungen. Viele Menschen wissen, gegen was die Kirche ist, sie verstehen aber nicht mehr, wofür sie steht. Nicht zuletzt haben die dramatischen Missbrauchszahlen, die extrem zurückgehenden geistlichen Berufungen und das schwindende Interesse von Ehrenamtlichen diese Einschätzung verstärkt.

Dies war der Anstoß für den sog. „Synodalen Weg“ in der katholischen Kirche in Deutschland. Seit dem ersten Advent 2019 befassen sich 230 Delegierte in vier verschiedenen Foren mit den Themen (1) Macht in der Kirche, (2) priesterliche Existenz und Amt des Priesters in Zukunft, (3) die Rolle der Frau in der Kirche und (4) kirchliche Sexualmoral. Aber kann der „Synodale Weg“, der den sexuellen Missbrauch von Priestern als Dreh- und Angelpunkt für Veränderungen in der Kirche begreift und der mit der möglichen Abschaffung des sakramentalen Priestertums auch am sakramentalen Selbstverständnis der Kirche rührt, tatsächlich einen Ausweg aus der Glaubens- und Glaubwürdigkeitskrise initiieren?

Schablonenhafte Charakterisierung des Priesteramtes 

Wenn im Kontext des „Synodalen Weges“ sehr pauschal von „Überhöhung“ und „Sakralisierung“ des Priesteramtes die Rede ist, dann ist kritisch zurückzufragen: Wo und in welcher Weise der hier gezeichnete, unangefochtene, beherrschende und achtungsgebietende „Hochwürden“ allgemein noch in Erscheinung tritt. Die Erfahrung zeigt doch, dass diese zu schablonenhafte Charakterisierung der gesellschaftlichen und kirchlichen Wirklichkeit in unserem Land vielfach entgegensteht. Der „Abschied von Hochwürden“ (Josef O. Zöller, Frankfurt a. M., 1969) ist seit einigen Jahrzehnten im Gange und hat zu einschneidenden Veränderungen im Blick auf das eigene Rollenverständnis der Priester, die Rollenzuschreibungen und Rollenerwartungen geführt. Selbstredend bleiben auch Priester in ihrem Leben von inadäquaten Selbsteinschätzungen, Brüchen und Versagen nicht verschont.

Und zweifelsohne haben die katastrophalen Missbrauchstaten die Krise des Priestertums verschärft und verlangen ein neues Durchdenken der Rolle des Priesters und des Verhältnisses zwischen Priester und Weltchristen. Obwohl sich viele Priester durch geistliche Kompetenz und ehrliche Verbundenheit mit den Menschen auszeichnen, ist aber seit Generationen ein deutlicher Rückgang an geistlichen Berufungen und eine massive Krise des Sakramentenempfangs – vor allem des Bußsakramentes – unübersehbar. Kann die Krise daher tatsächlich allein von einer weltentrückten „Überhöhung“ oder einer „Sakralisierung“ des Amtes herrühren?

Priesteramt wird nur noch funktional begriffen

Ein maßgebliches Indiz für diese krisenhafte Entwicklung liegt vielmehr in dem bereits erwähnten horizontalen Verständnis, das gerade auch den priesterlichen Dienst als eine rein pragmatische und funktionale Aufgabe begreift. Im Horizont dieses Denkens gerät freilich die sakramentale Dimension des priesterlichen Dienstes und letztlich die Sakramentalität der Kirche insgesamt leicht aus dem Blick. Neben dieser pragmatisch-funktionalen Geisteshaltung hat sich in weiten Kreisen der akademischen Theologie überdies die Positionierung festgemacht, dass die Kirche nur mittels demokratischer Strukturen und  verstärkter Beteiligungsformen der Gläubigen an der kirchlichen Leitung zukunftsfähig sei.

Darüber hinaus leuchtet in diesem engagierten Einsatz für „mehr Synodalität“ die Ambition auf, die wissenschaftliche Forschung von römischen Vorgaben zu „befreien“, um letztlich sowohl den Exklusivismus als auch den Inklusivismus zu ersetzen. Dass die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung im Kontext einer bekenntnisgebundenen Theologie aber in anderer Weise zu begreifen ist als in anderen Wissenschaftsbereichen, weil „der schuldige Gehorsam gegenüber dem Lehramt der Kirche zu wahren“ ist, wie es im kirchlichen Gesetzbuch (c. 218 CIC) heißt, wird im Kontext der aktuellen Debatten entweder nicht beachtet oder als anachronistisch zurückgewiesen.

Synodaler Weg verschiebt Machtverhältnisse

Die Mehrheit der Diskussionsbeiträge und die Voten des „Synodalen Weges“ zeigen deutlich: Es geht eigentlich um den Anspruch der akademischen Theologie, die Entscheidungen, was authentische Glaubensüberlieferung ist und was nicht, in die Hände von Theologinnen und Theologen zu legen und damit die „Machtverhältnisse“ zu verschieben. Dem bischöflichen Lehramt soll nur noch die Aufgabe zukommen, den von der wissenschaftlichen Theologie festgestellten Glauben zu bezeugen.

Damit zeichnet sich eine gewaltige Kompetenzverschiebung mit erheblichem Konfliktpotenzial ab, weil auf diesem Weg die Selbstmodernisierung der katholischen Kirche gegen das katholische Selbstverständnis durchgesetzt werden solle. Bei der katholischen Kirche handelt es sich nicht um einen Zusammenschluss unabhängiger Nationalkirchen, sondern um eine Weltkirche, die in und aus Ortskirchen – Diözesen – besteht und von der weltweiten Gemeinschaft der Bischöfe in der Einheit mit dem Papst geleitet wird.

Machtfrage stellt sich immer wieder

Wenngleich die Anstöße der „synodalen“ Reformagenda keine allzu großen Hoffnungen auf Einmütigkeit erwarten lassen, ist und bleibt es für das Selbstverständnis der Kirche essenziell, neben ihrer veränderbaren sozialen Gestalt auch ihre beständige sakramentale Verfasstheit nicht aus dem Blick zu verlieren und beide Konstanten in rechter Weise zu wahren. Die Kirche ist sowohl sakramental-geistlich als auch funktional-organisatorisch geordnet. Von daher stellt sich zu Recht die Frage: Wo muss unterschieden werden zwischen geistlich-sakramentaler Ermächtigung und rechtlich-struktureller Macht?

Die Frage nach der Macht stellte sich im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder und ist auf je unterschiedliche Weise beantwortet worden. Es wäre naiv, zu meinen, wenn Geistliche Macht abgeben, dass sich diese dann in Luft auflösen wird; das Gegenteil ist der Fall, die Macht wird stets in andere Hände fallen. Insofern beschäftigt sich der „Synodale Weg“ zu Recht mit der Frage nach einem kompetenten und verantwortlichen Umgang mit Macht und Rechtlichkeit in der kirchlichen Organisation und deren Verwaltung.

Reine Strukturdebatte ist nicht zielführend

Diese durchaus brisante Fragestellung, wem die Macht zuzusprechen ist, verlangt daher eine ernsthafte Diskussion und eine Antwort, die sich allerdings von einer funktionalen Vorstellung von Macht unterscheiden muss. Die „Erneuerung“ der Kirche in Deutschland sollte deshalb, neben den Überlegungen zu kompetenten Initiativen zur Neuevangelisierung, auch unter dem Aspekt einer zeitgemäßen Rechtskultur und eines verbesserten Rechtsschutzes diskutiert werden.

Eine Strukturdebatte, die die sakramental-geistliche Dimension der Kirche infrage stellt, ist nicht zielführend und kann die Kirche nicht erneuern. Da die sakramentale Grundgestalt der Kirche in Gott gründet, können Reformbemühungen nur auf der Ebene der funktionalen Gestalt der Kirche vollzogen werden. Angesichts der vielfachen Kritik im Hinblick auf Missbrauch und mangelnder Finanztransparenz sollte die kirchliche Erneuerung entschieden auch auf die Etablierung einer konsequenten Rechtspraxis abzielen, die der heutigen Rechtskultur entspricht.

Sakrament und Recht dürfen nicht getrennt werden

Die Akzeptanz der kirchlichen Institution wird in einer funktionalistisch organisierten Gesellschaft wesentlich auch an ihrer korrekt geübten Rechtlichkeit gemessen. Dabei bleibt aber festzuhalten, dass das Bischofsamt für alle Ebenen der Kirchenverfassung konstitutiv ist.

Wird doch das Bischofsamt nicht in einem formalen Rechtsakt übertragen, sondern in einer sakramentalen Handlung. Daraus wird ersichtlich, dass Sakrament und Recht nicht getrennt werden dürfen, sondern eine innere Einheit bilden. Die bischöfliche Leitungsvollmacht innerhalb einer Ortskirche vereinigt Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung in sich und ist als eine „ordentliche, eigenberechtigte und unmittelbare Vollmacht“ zu bestimmen“, wie es im kirchlichen Gesetzbuch (c. 381 § 1 CIC) dargelegt ist.

 

Dr. Roland Batz, Generalvikar des Bistums Regensburg
 

Teil II des Beitrags erscheint in der Print-Ausgabe der Tagespost vom 15. September.

 

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