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Gebetswoche für die Einheit der Christen

Benedikt XVI. und die evangelischen Christen

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Regensburg, 24. Januar 2023

In der Woche vom 18. bis 25. Januar (Woche vor dem Fest „Bekehrung des hl. Apostels Paulus“) begehen die christlichen Konfessionen die „Gebetswoche für die Einheit der Christen“. Im Hinblick auf dieses ökumenische Gebetsanliegen ist es überaus lohnend, noch einmal einen Blick zu werfen auf jene Ansprachen und Predigten, die Papst Benedikt XVI. anlässlich seines Besuches in Deutschland im September 2011 bei seinen Begegnungen mit den evangelischen Mitchristen gehalten hat.

Die Einheit vertiefen

Im Interview während seines Flugs nach Deutschland sagte Benedikt XVI., ihm sei klar, dass „die Ökumene mit unseren evangelischen Freunden ... ein zentraler Punkt dieser Reise“ (Apostolische Reise Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. nach Berlin, Erfurt und Freiburg 22.-25. September 2011. Predigten, Ansprachen und Grußworte, Bonn 2011, 19) sein müsse. In einer Zeit des Säkularismus haben die Christen gemeinsam die Aufgabe, die Botschaft Gottes gegenwärtig werden zu lassen. Deshalb ist es „ein grundsätzliches Element für unsere Zeit, dass Katholiken und Protestanten sich zusammentun, selbst wenn wir institutionell noch nicht vollkommen eins sind, selbst wenn Probleme bleiben, auch große Probleme“ (ebd.). Im Fundament des Glaubens an den dreifaltigen Gott und bezüglich des Menschen als Ebenbild Gottes „sind wir einig. Und dies der Welt zu zeigen und diese Einheit zu vertiefen, ist wesentlich in diesem geschichtlichen Moment“ (ebd.).

Ökumenische Begegnung im Augustinerkloster Erfurt

Bei der Begegnung mit Vertretern des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Augustinerkloster Erfurt brachte Papst Benedikt XVI. die Überzeugung zum Ausdruck, dass „unsere Begegnungen auch als das Fest der Gemeinsamkeit des Glaubens begangen werden“ (ebd., 71). Für ihn als Bischof von Rom ist es ein „tief bewegender Augenblick“, im alten Augustinerkloster zu Erfurt mit den evangelischen Mitchristen zusammenzutreffen. Hier hat Luther Theologie studiert; hier wurde er – in der Ordensgemeinschaft des heiligen Augustinus – zum Priester geweiht. Luther wurde von der Frage nach Gott umgetrieben, die „die tiefe Leidenschaft und Triebfeder seines Lebens und seines ganzen Weges gewesen ist“ (ebd.). Die Würdigung Luthers durch Benedikt XVI. wurde von evangelischer Seite vorbehaltlos anerkannt. Der damalige Ratsvorsitzende der EKD, Präses Nikolaus Schneider, sagte, ihm bleibe vor allem im Gedächtnis, wie sehr der Papst die Grundfrage der Reformation nach Gott gewürdigt hat. Die Frage „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ hat Luther – so Benedikt XVI. – ins Herz getroffen und stand hinter all seinem theologischen Ringen. Theologie war für Luther das Ringen um sich selbst, und dies wiederum war ein Ringen um Gott und mit Gott.

Die Gottesfrage steht im Zentrum

Die Tatsache, dass die Frage „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ die bewegende Kraft des ganzen Weges Luthers war, trifft mich – so der Papst – „immer wieder ins Herz“. Denn wen kümmert diese Frage eigentlich heute noch – auch unter Christen? Sofern man überhaupt an ein Jenseits und ein Gericht Gottes glaubt, setzen wir doch praktisch fast alle voraus, dass Gott großzügig sein muss und mit seiner Barmherzigkeit über unsere kleinen Fehler hinwegsehen wird. Aber sind – so fragt Benedikt XVI. – unsere Fehler „eigentlich so klein“? Wird nicht die Welt verwüstet durch die Korruption der Großen, aber auch der Kleinen, die nur an ihren eigenen Vorteil denken? Wird sie nicht verwüstet durch die Macht der Drogen, die von der Gier nach Leben und nach Geld einerseits, von der Genusssucht andererseits der ihr hingegebenen Menschen lebt? Wird sie nicht bedroht durch die wachsende Bereitschaft zur Gewalt? Könnten Hunger und Armut Teile der Welt so verwüsten, wenn in uns die Liebe zu Gott und von ihm her die Liebe zu seinen Geschöpfen lebendiger wäre? Das Böse ist – so der Papst – „keine Kleinigkeit“. Es könnte nicht so mächtig sein, wenn wir Gott wirklich in die Mitte unseres Lebens stellen würden. Die brennende Frage Luthers („Wie steht Gott zu mir? Wie stehe ich vor Gott?“) muss wieder neu – in neuer Form und ganz real – auch unsere Frage werden. Dies ist – so Benedikt XVI. – „der erste Anruf“, den wir bei der Begegnung mit Martin Luther hören sollten. Und auch Folgendes ist wichtig: Gott ist keine philosophische Hypothese; er hat uns angeredet und ist in Jesus Christus einer von uns geworden. Christus stand im Zentrum von Luthers Spiritualität. „Was Christum treibet“ war für ihn der entscheidende Maßstab für seine Auslegung der Heiligen Schrift. Dies aber setzt voraus, dass die Liebe zu Christus, das Mitleben mit ihm unser Leben bestimmt.

Die gemeinsame, unverlierbare Grundlage

Was hat das alles mit unserer ökumenischen Situation zu tun? Das Notwendigste für die Ökumene ist – so Papst Benedikt XVI. – zunächst einmal, dass wir „nicht unter dem Säkularisierungsdruck die großen Gemeinsamkeiten fast unvermerkt verlieren, die uns überhaupt zu Christen machen und die uns als Gabe und Auftrag geblieben sind“ (ebd., 73). Es war der Fehler des konfessionellen Zeitalters, dass wir weithin nur das Trennende gesehen und gar nicht existentiell wahrgenommen haben, was uns mit der Heiligen Schrift und den altchristlichen Bekenntnissen gemeinsam ist. Der große ökumenische Fortschritt der letzten Jahrzehnte besteht darin, dass wir das gemeinsame Beten und Singen, das gemeinsame Eintreten für das christliche Ethos, das gemeinsame Zeugnis für den Gott Jesu Christi „als unsere gemeinsame, unverlierbare Grundlage erkennen“ (ebd.). Die Gefahr, dass wir diese gemeinsame Grundlage verlieren, ist – so der Papst – „nicht irreal“. Er nennt zwei Gesichtspunkte: Die Geographie des Christentums hat sich in jüngster Zeit tiefgehend verändert und ist dabei, sich weiter zu verändern. Vor einer neuen – weltweit beobachtbaren – Form von Christentum, die sich mit einer ungeheuren missionarischen Dynamik ausbreitet, stehen die klassischen Konfessionskirchen oft ratlos da. Wir sehen ein Christentum mit geringer institutioneller Dichte, mit wenig rationalem und mit noch weniger dogmatischem Gepäck, auch mit geringer Stabilität. Was hat uns – positiv und negativ – diese neue Form von Christentum zu sagen? Sie stellt uns neu vor die Frage unserer gläubigen Grundentscheidung, vor die Frage, was das bleibend Gültige ist und was anders werden kann.

Tiefer und lebendiger glauben

Tiefergehender und in unserem Land brennender ist die zweite Herausforderung an die Christenheit: das Phänomen der säkularisierten Welt. Die Abwesenheit Gottes in unserer Gesellschaft wird drückender, die Geschichte seiner Offenbarung scheint in einer immer weiter sich entfernenden Vergangenheit angesiedelt. Muss man dem Säkularisierungsdruck nachgeben, modern werden durch Verdünnung des Glaubens? Selbstverständlich – so Papst Benedikt – muss der Glaube heute neu gedacht und neu gelebt werden. „Aber nicht Verdünnung des Glaubens hilft, sondern nur ihn ganz zu leben in unserem Heute“ (ebd., 74). Auch Präses Nikolaus Schneider sprach bei der Begegnung im Augustinerkloster Erfurt von den „großen gemeinsamen Herausforderungen angesichts von Gott-Vergessenheit, Orientierungslosigkeit und Verunsicherung“. Die zentrale ökumenische Aufgabe, bei der wir uns gegenseitig helfen müssen, besteht – so Benedikt XVI. – darin, tiefer und lebendiger zu glauben. Nicht Taktiken retten das Christentum, sondern ein neu gedachter und neu gelebter Glaube. Wie uns die Märtyrer der Nazizeit zueinander geführt und die große erste ökumenische Öffnung bewirkt haben, so ist auch heute der von innen her gelebte Glaube „die stärkste ökumenische Kraft“, die uns der Einheit im einen Herrn Jesus Christus entgegenführt.

Ökumenischer Gottesdienst in Erfurt

In seiner Ansprache während des ökumenischen Gottesdienstes in der Kirche des Augustinerklosters in Erfurt wies Benedikt XVI. darauf hin, dass Jesus mit seinem Gebet im Abendmahlssaal (vgl. Joh 17,20) in die Zukunft geblickt hat und für uns gebetet hat. „Im Gebet Jesu ist der innere Ort unserer Einheit. ... Sooft wir uns als Christen im Gebet zusammenfinden, sollte uns dieses Ringen Jesu um uns und mit dem Vater für uns ins Herz treffen“ (ebd., 80). Je mehr wir uns in dieses Geschehen hineinziehen lassen, desto mehr verwirklicht sich Einheit. Die Geschichte der Christenheit ist die sichtbare Seite dieses Dramas, in dem Christus mit uns Menschen ringt und leidet. Beides muss gesehen werden: „Die Sünde des Menschen, der sich Gott versagt und sich in sein Eigenes zurückzieht, aber auch die Siege Gottes, der die Kirche erhält durch ihre Schwachheit hindurch und immer neu Menschen in sich hineinzieht und so zueinander führt“ (ebd.). Deshalb sollten wir bei einer ökumenischen Begegnung nicht nur die Spaltungen beklagen, sondern Gott für das danken, was er uns an Einheit erhalten hat und immer neu schenkt.

Gemeinsam den lebendigen Gott bezeugen

Die grundlegende Einheit besteht darin, dass wir Gott als den Dreifaltigen bekennen. Diesen lebendigen Gott zu bezeugen ist unsere gemeinsame Aufgabe. Braucht der Mensch Gott? Wenn in einer ersten Phase der Abwesenheit Gottes sein Licht noch nachleuchtet und die Ordnungen des menschlichen Daseins zusammenhält, so scheint es, dass es auch ohne Gott ganz gut geht. Aber je weiter sich die Welt von Gott entfernt, desto klarer wird, dass der Mensch in der Hybris der Macht, in der Leere des Herzens und im Verlangen nach Glück immer mehr das Leben verliert. Der Mensch ist auf Gott hin erschaffen und braucht ihn. Unser erster ökumenischer Dienst in dieser Zeit besteht darin, gemeinsam die Gegenwart des lebendigen Gottes zu bezeugen und in diesem Glauben einander zu bestärken. Die Ernsthaftigkeit des Gottesglaubens zeigt sich in unserer Zeit ganz praktisch im Eintreten für den Menschen. Wir leben in einer Zeit, „in der die Maßstäbe des Menschseins fraglich geworden sind“ (ebd., 82). Demgegenüber müssen wir als Christen die unantastbare Würde des Menschen verteidigen – von der Empfängnis bis zum Tod, in den Fragen der pränatalen Implantationsdiagnostik bis zur Sterbehilfe. Papst Benedikt verweist in diesem Zusammenhang auf das bekannte Wort Romano Guardinis: „Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen.“ Ohne Erkenntnis Gottes wird der Mensch manipulierbar. Der Gottesglaube muss sich – so Benedikt XVI. – in unserem gemeinsamen Eintreten für den Menschen konkretisieren. Dazu gehört ganz praktisch die Liebe, wie sie uns Jesus Christus im Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25) lehrt. Dies gilt im persönlichen Lebensbereich, in der Gemeinschaft eines Volkes und im Einsatz für die Gerechtigkeit in der weiten Welt. Die Ernsthaftigkeit des Glaubens zeigt sich auch dadurch, dass er Menschen inspiriert, sich ganz für Gott und von Gott her für die anderen zur Verfügung zu stellen. Solche Menschen sind ein wichtiges Zeichen für die Wahrheit unseres Glaubens.

Abschließend warnt Papst Benedikt XVI. vor einem politischen Missverständnis des Glaubens und der Ökumene: Beim Abschluss von Verträgen zwischen Staaten entsteht durch die Abwägung von Vor- und Nachteilen der für beide Seiten vorteilhafte Kompromiss. Der Glaube hingegen ist nicht etwas, was wir ausdenken und aushandeln, sondern „die Grundlage, auf der wir leben“ (ebd., 83). Einheit wächst nur durch ein „tieferes Hineindenken und Hineinleben in den Glauben“. Miteinander können wir Christus danken für die Wege der Einheit, die er uns bisher geführt hat.

Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml; Foto: altrofoto.de



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