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Früherer BaMF-Chef Albert Schmid im Interview mit der Sonntagszeitung

„AfD bedroht den Rechtsstaat“

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Regensburg, 29. August 2024

Der Jurist Albert Schmid (Jahrgang 1945) ist als Politiker, Migrationsexperte und engagierter Katholik gleichermaßen ausgewiesen. Er war Bürgermeister in Regensburg, vier Jahre lang Bau-Staatssekretär in der Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt, SPD-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Präsident des Migrations-Bundesamtes und von 2009 bis 2017 Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in Bayern. Bayerische und deutsche Bischöfe schätzen seinen Rat und seine innerkirchliche Kompetenz, die von regionalen Themen bis hin zu intensiven Vatikan-Kontakten reicht. Im Interview mit der Katholischen SonntagsZeitung spricht er über die Gefahren, die für Demokratie und Christentum von der AfD ausgehen.

 

Die deutsche Bischofskonferenz hat die AfD wegen deren völkisch-nationaler Gesinnung als „nicht wählbar“ für Christen bezeichnet. Unterstützen Sie als engagierter Katholik dieses Votum, und wenn ja, warum?

Albert Schmid: Ich war eigentlich nie ein Freund von sogenannten Wahlhirtenbriefen. Aber diese jetzigen Äußerungen der deutschen Bischöfe stehen in einem größeren Zusammenhang. Es ging den Bischöfen wohl nicht nur darum, sich zu aktuellen Fragen zu äußern, sondern ein Stück weit auch darum, die Position ihrer Vorgänger in der Nazizeit und vor der Nazizeit zu korrigieren. Man wollte sich nicht ein weiteres Mal dem Vorwurf aussetzen, sich nicht rechtzeitig zu Wort gemeldet zu haben. Ich unterstütze diesen Aufruf. Ich halte ihn in der Sache für richtig, er ist von grundsätzlicher Bedeutung, und ich bin den Bischöfen dankbar, weil sie diesen Aufruf auch in geschlossener Formation vorgenommen haben.

 

Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am 1. September werden dennoch hohe Prozentanteile für die AfD erwartet. Was löst das in Ihnen aus, wenn man daran erinnert, dass Sie einst in die SPD eingetreten sind, weil diese Partei für einen besonders strikten Anti-Hitler-Kurs stand?

Schmid: In der Tat, ich bin in die SPD eigentlich nur deshalb eingetreten, weil sie die einzige demokratische Partei war, die von Anfang an Widerstand geleistet hat gegen die Nazis. Das hat sich vor allem ausgedrückt in der Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes. Dass es in Deutschland wieder so einen Rückfall gibt in simplifizierendes, andere verachtendes Denken hatte ich so nicht mehr für möglich gehalten und bin deshalb entsprechend betroffen. Wir alle müssen überlegen, welche Verantwortung sich für jeden von uns, vor allem für Christen, daraus ergibt. 

 

Als „elder statesman“ repräsentieren Sie den bundesdeutschen Rechtsstaat, als prominenter Katholik das christliche Weltbild. Sind beide bedroht, wenn es der AfD gelingt, Regierungsverantwortung zu übernehmen?

Schmid: Ich glaube nicht, dass es der AfD gelingen wird, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die 70 Prozent oder mehr, die gegen die AfD stehen, einen Weg finden werden, um Deutschland und auch die Länder in Ostdeutschland regierungsfähig zu halten. Aber die Frage nach der Rechtsstaatsbedrohung stellt sich tatsächlich. Die Absichten, die die AfD vertritt, sind unverkennbar darauf gerichtet, einen Regimewechsel herbeizuführen, und dabei geht es zunächst einmal gegen den Rechtsstaat. Auf der anderen Seite setze ich auch auf die Fähigkeit des Umdenkens, des Lernens in Kreisen der Anhängerschaft der AfD, wobei auch das Zeugnis von Christen hilfreich sein kann, die andere Wege beschritten haben, die sich für die Demokratie von Anfang an eingesetzt haben nach dem Zusammenbruch der Nazizeit. Das war ja auch eine große Herausforderung, und jetzt denke ich, dass eine ähnliche Herausforderung sich stellt. Also man soll das Potential des Umdenkens, des Lernens, des Umkehrens nicht geringschätzen.  

 

Wenn der Rechtsstaat bedroht ist, sind auch Teile des Rechtsstaats bedroht. Ich denke da ganz konkret an die Religionsfreiheit. Gehört zum Weltbild der AfD auch ein solches Projekt? Vertreter der AfD lassen ja immer wieder mit polemischen Äußerungen gegen die Kirchen, vor allem die katholische, aufhorchen …

Schmid: Die Religiosität einer politischen Partei ist schwer einzuschätzen. Ich glaube nicht, dass es eine durchgängige religionspolitische Linie innerhalb der AfD gibt. Allerdings halte ich das, was die AfD inhaltlich vertritt, für völlig konträr zum christlichen Menschenbild, weil es Mitmenschen, die anders denken, als es die AfD-Linie vorsieht, verachtet, weil es sie geringschätzt. Völkisch-nationales Denken wertet ja andere ab, die dieser Kategorie, der man selber glaubt, zuzugehören, nicht zugehören. Dieses Abwertende, dieses auch Hass Schürende ist zutiefst unchristlich. Dass einige AfD-Funktionäre sich quasi besonders christlich geben, indem sie vorgeben, konservative Positionen zu vertreten, ist ein taktisches Spiel, das man als solches durchschauen muss. Das ist eine taktische Variante des politischen Kampfes der AfD.

 

Warum ist das Abschneiden der AfD in Sachsen und Thüringen (und am 22. September in Brandenburg) nicht nur eine „ostdeutsche“ Angelegenheit, sondern ein brisantes Thema, das Staatsbürger und Christen überall in Deutschland, auch bei uns im Bistum Regensburg, interessieren sollte?

Schmid: In Ostdeutschland erklärt es sich zum Teil daraus, dass dort die Demokratiezustimmung mit einer Wohlstandsverheißung verknüpft wurde. In dem Maße, in dem sich diese Verheißung nicht erfüllte, hat die Zustimmung zur Demokratie abgenommen, und es sind archaische, von Vorurteilen überdeckte Grundpositionen wieder zum Vorschein gekommen, die sich jetzt in der Zustimmung zur AfD ausdrücken. Im Westen haben wir Ähnliches erlebt nach der ersten Wohlstandskrise in den sechziger Jahren in Gestalt des Aufkommens der NPD und auch anderer, späterer rechtsextremer Bewegungen, bis hin zur DVU in den achtziger Jahren. Also, es gibt sowohl im Osten wie im Westen eine Verknüpfung zwischen Wohlstandsverheißung und politischer Haltung, und insofern gibt es auf beiden Seiten einschlägige negative Erfahrungen.

 

Können wir heute im Westen davon lernen, was aktuell im Osten geschieht?  

Schmid: Wir haben im Westen gelernt, diese Verknüpfung zu ergänzen, also zwischen Wohlstandsverheißung und Zustimmung zur Demokratie. Neben dieser Verknüpfung ging es uns darum, in einer Art des demokratischen Realismus dazu zu erziehen in Anführungsstrichen, dass man mit Konflikten leben muss, dass man mit Problemen leben muss, dass man zu Kompromissen bereit sein muss. Dieser demokratische Realismus verlangt ein sehr realistisches Verständnis des Zusammenlebens. Und dieser Lernprozess ist vermutlich in den neuen Ländern ausgeblendet worden. Er muss wahrscheinlich nachgeholt werden. Der dortige Erwartungshorizont ist von einfachen Antworten auf komplexe Fragen bestimmt, tut sich sehr schwer mit der Alltagsroutine im demokratischen Umgang. Insofern ist dort ein Lernprozess erforderlich, in dem auch wir immer noch stecken. 

 

Eine bekannte Regensburger Adelige hat vor kurzem den AfD-Skandalpolitiker Maximilian Krah zu den Schlossfestspielen eingeladen. Ist das ein bloßes Spiel mit der Sensation oder doch ein klares politisches Statement für die AfD?

Schmid: Eine schreckliche, peinliche, allerdings auch demonstrative Parteinahme.

 

Politiker, Medien und auch die katholischen Bischöfe raten zu einer Unterscheidung zwischen der AfD und ihren Sympathisanten. Wie erfolgversprechend kann ein solcher Appell zur Dialogfähigkeit mit den bloßen AfD-Wählern sein?

Schmid: Ich halte diese Unterscheidung für richtig. Es gibt die Aktivisten, die die Hauptverantwortung tragen, und es gibt natürlich auch eine Verantwortung derer, die den Resonanzboden darstellen, auf dessen Hintergrund entsprechende extreme Positionen vertreten werden. Ich bin dafür, dass man sich geduldig um die Wählerschaft der AfD bemüht, in nüchterner Aufklärungsarbeit über politische Zusammenhänge. Die Schwarzweißmalerei der Systeme, denen viele Bewohner in den neuen Ländern noch angehörten – kommunistisches System, vorher Nazisystem: zwei Diktaturen hintereinander –, haben es fast unmöglich gemacht, einen rationalen Umgang mit Entscheidungsprozessen differenziert zu erlernen. Diese politische Erfahrung muss nachgeholt werden. Demokratie bedeutet Leben mit Konflikten. Offene Gesellschaften verlangen Konfliktfähigkeit. Da ist noch ein großer Nachholbedarf.

 

Für viele Menschen – nicht nur im Osten Deutschlands – sind bestimmte Aspekte der Migration (Messerattentate wie zuletzt in Solingen und andere Formen des aggressiven Islamismus) ein Grund dafür, rechts zu wählen. Was muss geschehen, um diese Menschen wieder „zurückzuholen“?

Schmid: Ich sprach vorher vom demokratischen Realismus, ich plädiere auch für einen migrationspolitischen Realismus. Migration ist eine conditio humana, sie gehört zum Menschsein. Wir alle – auch wir im Westen und in ganz Europa – sind ebenfalls Resultate der Migration. Das ist eine Feststellung, die zunächst einmal ganz nüchtern und sachlich getroffen werden muss. Allerdings darf Migration niemanden überfordern, sonst verkehrt sich Aufnahmebereitschaft schnell ins Gegenteil. Wir müssen Migration steuern. Wir müssen mit Migration dann aber auch lernen umzugehen. Das heißt: Wir verlangen eine Integration, die auch vom Islam beispielsweise den Respekt vor den Werten des Grundgesetzes einschließt. Die billigen Formulierungen, wonach der Islam zu Deutschland gehört oder nicht gehört, helfen nicht weiter. Ich plädiere ganz entschieden dafür, von den  Islamgläubigen die Einhaltung der Werte des Grundgesetzes zu verlangen. Diese Wertentscheidung des Grundgesetzes ist von jedem, der in Deutschland lebt, zu beachten. Ich bin auch dafür, dass wir insbesondere jungen und gewaltbereiten Anhängern des Islam strafrechtlich konsequenter begegnen, als das in den letzten Jahren der Fall war. Wir müssen zudem der politischen Hetze in Moscheen, die sich häufig hinter der Pflege der eigenen Sprache unter Ausweichen der deutschen Sprache verbirgt, entgegentreten. Das ist zuletzt ja geschehen in Hamburg, und das ist überfällig gewesen. Es geht bei der Migration letztlich immer darum, einen vernünftigen Ausgleich zu finden zwischen christlich geforderter Nächstenliebe und recht verstandener Selbstliebe. 

 

Der Trend zu rechten und rechtsradikalen Parteien ist nicht nur ein (ost-)deutsches Phänomen, wie die jüngste Europawahl gezeigt hat. Wie können Christen aktiv dazu beitragen, den Weg der politischen Vernunft für möglichst viele Menschen wieder attraktiv zu machen?

Schmid: Das Christliche ist nicht primär eine politische Sache, aber eben auch. Es geht um die Verantwortung des einzelnen Christen zum Zeugnis – im persönlichen, aber auch im gesellschaftlichen Zusammenleben. Wenn wir ernst machen mit dem, was im Neuen Testament gefordert wird, am Umgang miteinander, dann wird das auch abfärben auf andere. Es steht und fällt alles mit dem persönlichen Zeugnis des Christen, das sich dann in der Gesellschaft niederschlägt. Wir sind häufig geneigt, sozusagen eine Übersprungshandlung zu begehen, indem wir Forderungen an den Staat richten, und selber uns nicht in die Pflicht genommen wissen, dieses Zeugnis des Christentums zu leben. In dem Maße, in dem wir es leben, verändert es die Welt. Das haben die ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt in den Anfängen des Christentums rund um das Mittelmeer gezeigt. Das Zeugnis der damaligen Christen hat die Welt verändert. Und ich sehe keine Alternative zur Notwendigkeit des Lebens aus diesem Zeugnis heraus in der Gegenwart.

Interview: Karl Birkenseer, Katholische Sonntagszeitung Regensburg
Foto: Katholische SonntagsZeitung für das Bistum Regensburg

(chb)



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