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Existenzieller Kampf zwischen Sinnlosigkeit und Sinnsuche

Von Albert Camus lernen

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Regensburg, 15. Februar 2023

Selbstoptimierung, Selfie-Wahn und Happenings – die westliche Spaßgesellschaft kennt nur eine Richtung: Glück um jeden Preis. Was zu vergessen droht, ist, dass es mit der Welt nicht besser steht. Zwar sind die stählernen Kolosse faschistischer und kommunistischer Ideologie verschwunden, doch Ungerechtigkeit, Intoleranz und Kriege geblieben.

Alles, was dem „Selbstischen“, wie es Goethe nannte, entgegensteht, wird weggezappt, wenn die Spannungskurve der Negativitäten überschritten ist. Und so gehört das Scheitern-Können nicht mehr zum Bewusstsein des Erfolgsmenschen, der nur auf der Überholspur eilig seine Gewinne kassiert. Das Absurde, von dem der französische Philosoph Albert Camus sprach, droht in Zeiten von Handyanbetung und iPad-Seligkeit in die Vergessenheit zu kippen. Denn im Virtuellen, als neuer Unendlichkeit gedacht, wird die Endlichkeit gestrichen, die Sterblichkeit eher als Ballast als ein Sein-zum-Tode verstanden. Und so manifestiert sich die Ego-Gesellschaft als neuer Mensch und weicht im Virtuellen selbst den Tod mit auf. Die Ambivalenz von Sinnhaftigkeit und Glück samt der Erfahrung der Sinnlosigkeit wie sie Camus im Blick hatte, verliert ihren Boden. Per Mausklick ins Glück lautet die Devise.

Dagegen scheint Camus‘ Philosophie des Absurden die richtige Weltanschauung für fleißige und tapfere Menschen zu sein, die von der Vergeblichkeit all ihrer Anstrengungen überzeugt sind, und die dennoch ihre Würde behalten und in aussichtsloser Lage arbeiten, kämpfen und eben deshalb groß und vor sich selbst und den anderen gerechtfertigt sind. Wahres Glück ist für den gebürtigen Algerier nur im existenziellen Kampf zwischen Sinnlosigkeit und Sinnsuche zu finden.

Camus ist es, der den Gedemütigten und Entrechteten eine Stimme verleiht, einen Humanismus ohne rettenden Anker zugleich, der ihnen aber im Angesicht ihres unwürdigen Schicksals, in ihrer Endlichkeit und Absurdität Unendlichkeit und Ewigkeit verschafft. Denn zeigt sich wahre Größe nicht im Scheitern und dennoch Standhalten, im Gedemütigtwerden und dennoch Würdigsein? Von Homers „Ilias“ bis hin zu John Waynes „Alamo“ – die gewaltigsten Heldenepen sind Epen des Untergangs. So degradieren die Feuer des versinkenden Trojas die griechischen Sieger zu zuckenden Schatten. Es waren nicht die siegreichen Griechen, sondern die geschlagenen und dem Tode überlieferten Trojaner, die im Scheitern ihre existenzielle Würde dokumentierten. Nicht die Glücksritter, die „Selbstischen“ werden letztendlich zu wahrer Seligkeit kommen, sondern nur jene, die sich der absurden Welt mutig im Kampf stellen. All diesem Leid, so würde Camus sagen, kann man nicht gleichgültig begegnen, sondern die „Auflehnung stellt die Welt in jeder Sekunde in Frage“, denn der absurde Mensch ist das Gegenteil des Versöhnten. „Der absurde Mensch kann alles nur ausschöpfen und sich selbst erschöpfen. Das Absurde ist seine äußerste Anspannung, an der er beständig mit einer unerhörten Anstrengung festhält; denn er weiß: in diesem Bewusstsein und in dieser Auflehnung bezeugt er Tag für Tag eine einzige Wahrheit, die Herausforderung“.
 

Dr. Stefan Groß



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