Durch das Kirchenjahr: Im Herzen blind
… mit Benedikt
Vierter Fastensonntag A – Johannes 9,1-41
Was bedeutet Blindheit? Es heißt: Man kann nicht sehen. Man kann seine Umwelt nicht einfach auf die Weise wahrnehmen, wie andere es tun. Im Evangelium dieses vierten Fastensonntags aber zeigt Jesus, dass es auch noch eine andere Art der Blindheit gibt: Eine Blindheit des Herzens.
Jesus will in Jerusalem einen Blinden heilen, will seinen Augen das Licht schenken. Der ganze Vorgang spielt sich an einem Sabbat ab – und Jesus provoziert bewusst. Hätte er einfach nur zu dem Blinden gesprochen, ihn vielleicht nur oberflächlich berührt und dadurch geheilt, könnte man sicherlich noch diskutieren, ob das dann überhaupt ein Verstoß gegen die Sabbatruhe wäre. Jesus aber macht einen Teig aus Erde und seinem Speichel. Das ist ganz eindeutig eine Tätigkeit und damit eine Störung des Sabbats; es musste zwangsläufig die Gegner Jesu auf den Plan rufen, die ihn ja ohnehin schon im Visier haben. Sie stellen sich auf den Standpunkt einer ganz einfachen Argumentation: Jesus hat am Sabbat Arbeit verrichtet. Ganz egal, was das Ergebnis dieser Arbeit war, es ist ein Gesetzesverstoß und kann als solcher nicht von Gott stammen. Natürlich könnte man es auch andersherum sehen, und ein Teil der Pharisäer sieht es auch so: Wenn Jesus wirklich einen blinden Mann sehend machen konnte, dann muss er von Gott stammen und der Bruch des Sabbats kann so schlimm nicht sein.
Während Jesus ähnliche Begebenheiten an anderer Stelle nutzt, um etwas über die Natur des Sabbats zu erläutern, geht es heute um etwas anderes. Es geht um die Blindheit an sich. Denn auf den ersten Blick ist ja alles so einfach: Ein blinder Mann kann plötzlich sehen. Alle um ihn herum aber sind schon Sehende. Jesus aber dreht die Situation um. Dreimal hat er es im heutigen Sonntagsevangelium mit blinden Menschen zu tun, die „nicht wirklich“ sehen können.
Die ersten sind seine Jünger. Sie sehen den blinden Mann und fragen sich direkt: Auf wessen Sünde ist diese Krankheit nun zurückzuführen? Auf die eigene Sünde des Mannes oder auf die seiner Eltern? Jesus belehrt sie eines Besseren: Weder das eine noch das andere; die Krankheit des Mannes ist nicht der Schlag eines zürnenden Mannes. Die zweite Gruppe blinder Menschen bilden die Pharisäer. Sie verschließen sich dem Zeichen, das Jesus ihnen gibt. Sie erkennen seine Vollmacht nicht an, hängen sich an den gebrochenen Sabbat. Sie glauben, die wahren Sehenden zu sein, gegenüber denen alle anderen doch blind sein müssen.
Und da ist schließlich der Mann, der schon seit seiner Geburt blind ist. In Wirklich zeigt sich: Gerade er ist der am wenigsten Blinde von allen. Er bekommt von Jesus nicht nur das Licht seiner Augen geschenkt, sondern wird auch zum wahren Licht geführt, um das es Jesus mit seiner Tat geht: „Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt“, sagt er zu seinen Jüngern (Johannes 9,5). Und so offenbart er sich dem blinden Mann. Dieser steigert sein Bekenntnis. Auf die erste Nachfrage seiner Nachbarn, wer ihn denn geheilt habe, antwortet er ganz neutral: „Der Mann, der Jesus heißt“ (9,10). Den Pharisäern wird er dann schon sagen, dieser Jesus sein „ein Prophet“ (9,17). Zu Christus selbst sagt er schließlich: „Ich glaube, Herr!“ (9,38) Sein Bekenntnis steigert sich von der reinen Namensnennung über den Glauben an Jesus als Prophet hin zur Erkenntnis, dieser sei wirklich der Herr.
Jesus hat seinen Jüngern einmal mehr ein Lehrstück erteilt. Wie die Pharisäer auch, befanden sie sich unwissend in einem Zustand der Blindheit. Ihnen war ebenso klar, Blindheit müsse die Folge einer schweren Sünde sein, wie den Pharisäern klar war, als Tat, die am Sabbat begangen wurde, konnte die Heilung nicht von Gott selbst kommen.
Jesu Aufruf drängt auch uns zum Sehen. Gerade die Fastenzeit sollte eine Phase sein, in der wir das Leben mit neuen Augen sehen. Oft haben wir vorgefertigte Meinungen – und sind anderen Ansichten, vielleicht ja gar der Wahrheit gegenüber blind. Oft haben wir ein Bild von anderen Menschen, das mehr Produkt unserer Blindheit als das der Wirklichkeit ist. Der Dialog Jesu mit dem Blinden richtet sich auch an uns: „Glaubst du an den Menschensohn? Da antwortete jener und sagt: Wer ist das, Herr, damit ich an ihn glauben kann? Jesus sagte zu ihm: Du hast ihn bereits gesehen; er, der mit dir redet, ist es.“ (9,35-37)