Regensburg, 19. Oktober 2024
Der Predigttext für den kommenden Sonntag, den 29. im Jahreskreis, kommt aus dem Hebräerbrief. Er steht dort im vierten Kapitel, es handelt sich um die Verse 14 bis 16. Dort wird die Wirksamkeit des Gotteswortes damit begründet, dass der Allmächtige eben nicht nur unnahbar im Himmel ist, sondern als Mensch versucht wurde, als Mensch dieseer Versuchtung widerstand und so das Vorbild gab, nach dem all Menschen streben sollen. Weil Gott in Jesus Christus Menschliches durchlitt, ist sein Mitleid wirksam und heilsam.
29. Sonntag im Jahreskreis B – Hebräerbrief 4,14-16
„Schwestern und Brüder!14Da wir nun einen erhabenen Hohepriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns an dem Bekenntnis festhalten.15Wir haben ja nicht einen Hohepriester, der nicht mitfühlen könnte mit unseren Schwächen, sondern einen, der in allem wie wir versucht worden ist, aber nicht gesündigt hat. 16Lasst uns also voll Zuversicht hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit!“
Zentral für den Hebräerbrief ist die Deutung des Todes Jesu vor dem Hintergrund des Tempelkultes, wie er im Alten Testament beschrieben wird. Jesus und der Hohepriester werden immer wieder verglichen, wobei der Autor des Hebräerbriefes immer wieder betont, dass Christus größer ist als die Hohepriester. Das erstaunliche an diesem Bild: Der Autor des Hebräerbriefes kann kaum an eine alltägliche Erfahrung seiner Leser anknüpfen. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wurde der Hebräerbrief erst nach dem Jahr 70 n. Chr. verfasst und damit zu einem Zeitpunkt, als die Römer Jerusalem samt seinem Tempel bereits zerstört hatten und der Tempelkult bereits geendet hatte. Selbst wenn aber der Hebräerbrief früher entstanden sein sollte, stellt der Text nicht in erster Linie auf den Tempelgottesdienst zu Lebzeiten Jesu ab, sondern auf das Zeltheiligtum, wie es im Buch Levitikus beschrieben wird. Dem Autor geht es um etwas Grundsätzliches: Das Leiden Jesus vergibt – wie der Tempelgottesdient – die Sünden, geht aber in jeder Hinsicht über den Tempelgottesdienst hinaus.
Ein Aspekt des Vergleiches Jesu mit dem Priester betrifft dessen Fähigkeit, mit dem Volk mitzuleiden. Für den Hohepriester erscheint das selbstverständlich: Er ist ja selbst ein Mensch und als solcher schwach und sündig „und dieser Schwachheit wegen muss er wie für das Volk so auch für sich selbst Sündopfer darbringen.“ (Hebr 5,3). Der Priester muss für das Volk, ebenso aber für sich selbst die Vergebung der Sünden erbitten. Ganz anders aber ist es doch bei Christus. Er war ganz ohne Schuld, er bedurfte selbst nicht der Errettung, er war selbst der Macht von Sünde und Tod doch nicht unterworfen. Haben wir dann aber in Christus nicht eigentlich einen Hohepriester, könnten wir fragen, der eben nicht mitfühlen könnte mit unserer Sünde, mit unserer Schwachheit? Einen Hohepriester, der uns insofern immer fremd bliebe?
Nein: Christus kann mitfühlen mit unserer Schwäche, sagt der Autor des Hebräerbriefes. Er ist für uns ein Hohepriester, „der in allem wie wir versucht worden ist, aber nicht gesündigt hat.“ Da er vom Teufel versucht wurde (vgl. Mk 1,12-13), hat er die Macht der Sünde am eigenen Leib kennengelernt – ist ihr aber gerade nicht erlegen. Christus wurde versucht, hat der Versuchung aber nicht nachgegeben. Müssten wir nicht umso mehr zittern vor dem letzten Gericht? Wie könnten wir vor dem bestehen, der von sich sagen kann, der Macht des Bösen getrotzt zu haben?
Und dennoch beschreibt der Hebräerbrief den himmlischen Thron Gottes als einen „Thron der Gnade“. Christus wurde Mensch, er wurde versucht, er hat dem Satan standgehalten und ihn am Ende besiegt. Und obwohl wir das nicht schaffen, obwohl wir dem Satan immer wieder auf den Leim gehen, immer wieder sündigen und damit immer wieder unsere Berufung als Gottes Ebenbild verraten – trotzdem dürfen wir hinzutreten zum Thron der Gnade, voller Zuversicht und Hoffnung, hineingenommen zu werden in die Erlösung, die Christus am Kreuz bewirkt hat. Das ist Gottes Mitleid: Als Schöpfer hatte Gott Mitleid mit seinem Geschöpf und sich entschieden, im wahrsten Sinne des Wortes am Kreuz mitzuleiden mit der Menschheit. Auf dieses Mitleid dürfen wir auch am Ende des Lebens und am Ende der Welt hoffen und vertrauen – wenn wir einst den Thron der Gnade sehen und den Herrn des Lebens und des Erbarmens, der auf ihm sitzt.