Regensburg, 17. August 2024
Die Lesung für morgen, den zwanzigsten Sonntag im Jahreskreis, kommt aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Ephesos im ionischen Griechenland, heutzutage türkisch besiedelt, und sie steht dort im fünften Kapitel. Paulus ermahnt dort, in den Versen 15 bis 20, die Gläubigen zur Sorgfalt im Umgang mit ihrer von Gott gegebenen Zeit. Keinesfalls sollen sie ihre Sinne betäuben und so kostbare Tage verlieren. Stattdessen sollen sie sich durch Gesang und Andacht Rückbindung zu Gottes Weisheit und seinem Wort verschaffen.
20. Sonntag im Jahreskreis B – Epheserbrief 5,15 – 20
„Schwestern und Brüder! 15Achtet sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht wie Toren, sondern wie Kluge! 16Nutzt die Zeit, denn die Tage sind böse. 17Darum seid nicht unverständig, sondern begreift, was der Wille des Herrn ist! 18Berauscht euch nicht mit Wein – das macht zügellos –, sondern lasst euch vom Geist erfüllen! 19Lasst in eurer Mitte Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder erklingen, singt und jubelt aus vollem Herzen dem Herrn! 20Sagt Gott, dem Vater, jederzeit Dank für alles im Namen unseres Herrn Jesus Christus!“
„Nutzt die Zeit, denn die Tage sind böse.“ Der Epheserbrief lässt im Abschnitt dieses Sonntags ein Thema anklingen, dass das Neue Testament durchzieht. „Nutzt die Zeit“ ist ein Hinweis auf das Ende der Welt. Wir wissen nicht, wie lange es diese Welt noch geben wird, wann Christus wiederkommen und die Welt richten wird. Daher müssen wir jede Stunde nutzen – es könnte ja die letzte sein. So hatte bereits Christus seine Jünger unterwiesen: „Bedenkt dies: Wenn der Herr des Hauses wüsste, in welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht. Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.“ (Mt 24,43-44).
Der Apostel Paulus greift dieses Motiv auf: „Ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht.“ (1 Thess 5,2). Christus selbst hatte angekündigt, dass er als Richter wiederkommen würde (vgl. Mt 24,29-31). Die ersten Christen lebten in einem Zustand, der wir heute als „Naherwartung“ bezeichnen. Sie gingen fest davon aus, dieses Ende der Welt würde nahe bevorstehen; die meisten Christen der ersten Generation dürften nicht mehr damit gerechnet haben, zu sterben – sie dachten, sie würden unmittelbar das Ende der Welt erleben. Diese Geisteshaltung führte bald jedoch auch zu Problemen. Die beiden Thessalonicherbriefe legen ein eindrückliches Zeugnis davon ab: Im Ersten Thessalonicherbrief schreibt Paulus über das bevorstehende Ende; die Leser müssen den Eindruck haben, die Zeit drängt. Dann aber geschieht zunächst nichts. Die Welt geht nicht unter, Christus kommt nicht wieder.
Auf der einen Seite führt das zu Unsicherheiten: Ist die Botschaft denn wahr, wenn das Ende nicht kommt? Andererseits merken die Christen, dass sie sich in dieser Welt doch auch einrichten müssen. Wer das baldige Ende erwartet, trifft keine Dispositionen mehr. Warum soll man noch heiraten, arbeiten, eine Familie gründen, wenn doch jederzeit die Welt untergehen könnte? Auf Dauer kann diese Einstellung nicht funktionieren. Der Zweite Thessalonicherbrief scheint daher zurückzurudern. Noch immer wird das Ende der Welt erwartet, nun aber nicht unbedingt morgen. Vielmehr ruft der Autor zur Geduld auf. Weil sich die beiden Briefe derart stark unterscheiden, geht die Bibelwissenschaft heute davon aus, dass der zweite Brief nicht mehr von Paulus geschrieben wurde, sondern von einem seiner Schüler.
Diese Spannung bleibt, bis heute. Wir warten einerseits auf das Ende der Welt – und wissen doch, dass es zweitausend Jahre lang nicht gekommen ist. Warum dann gerade zu unseren Lebzeiten? Wir schieben die Erwartung des Gerichts vor uns her. Umso drängender sind die Worte dieses Sonntags: „Nutzt die Zeit, denn die Tage sind böse.“ Der Autor führt das aus: Lasst euch nicht vom Alkohol berauschen, sondern vom Geist Gottes; nutzt die Zeit für das Gebet. Das ist auch uns gesagt: Als Christen dürfen wir nicht vergessen, dass diese Welt auf ein Ziel hinsteuert, auf die ewige Gegenwart Gottes. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir am Ende der Zeiten das Gericht erwarten. Was würden wir an unserem Leben ändern, wenn wirklich morgen Christus wiederkäme? Was würden wir aus unserem Leben streichen? Wie würden wir die Zeit nutzen?
Text: Benedikt Bögle
(sig)