Regensburg, 6. Juli 2024
Die Lesung für morgen, den vierzehnten Sonntag im Jahreskreis, kommt aus dem Buch Ezechiel. Sie beginnt dort im ersten Kapitel. Vers 28c, und endet mit Vers 5 im zweiten Kapitel. Geschildert wird, wie Gott seinen Propheten beruft, damit er zum Volk Israel rede. Dieses Volk ist ins Babylonische Exil gezwungen, und Gott lässt einen Zusammenhang zwischen der Untreue seines Volkes und der Strafe der Diaspora erkennen. Die Berufung Ezechiel, der auch als Vater der priesterlichen Theologie gilt, hat angesichts dessen große Bedeutung – heute mehr denn je.
Vierzehnter Sonntag im Jahreskreis B – Ezechiel 1,28c-2,5
„In jenen Tagen 1,28cdschaute ich das Aussehen der Gestalt der Herrlichkeit des HERRN. Und ich fiel nieder auf mein Angesicht. Da hörte ich die Stimme eines Redenden. 2,1Er sagte zu mir: Menschensohn, stell dich auf deine Füße; ich will mit dir reden. 2Da kam Geist in mich, als er zu mir redete, und er stellte mich auf meine Füße. Und ich hörte den, der mit mir redete. 3Er sagte zu mir: Menschensohn, ich sende dich zu den Söhnen Israels, zu abtrünnigen Völkern, die von mir abtrünnig wurden. Sie und ihre Väter sind von mir abgefallen, bis zum heutigen Tag. 4Es sind Söhne mit trotzigem Gesicht und hartem Herzen. Zu ihnen sende ich dich. Du sollst zu ihnen sagen: So spricht GOTT, der Herr. 5Sie aber: Mögen sie hören oder es lassen – denn sie sind ein Haus der Widerspenstigkeit –, sie werden erkennen müssen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war.“
Wir hören an diesem Sonntag die Berufung des Propheten Ezechiel. Ein großer Teil des Volkes Israel befand sich im Babylonischen Exil; unter ihnen auch jener Ezechiel. Mitten im fremden Land sitzt der Mann, als ihm Gott in einer geradezu unheimlichen Gestalt erscheint. Ezechiel schildert, wie ihm die göttliche Herrlichkeit erscheint – er sieht eine Gestalt von „vier lebenden Wesen“ (Ez 1,5), mit mehreren Gesichtern und Flügel; über ihnen thront „eine Gestalt, die das Aussehen eines Menschen hatte“ (Ez 1,26). An Ezechiel ergeht das Wort des Herrn: „Menschensohn, ich sende dich zu den Söhnen Israels, zu abtrünnigen Völkern, die von mir abtrünnig wurden. Sie und ihre Väter sind von mir abgefallen, bis zum heutigen Tag.“
Diese Berufungsrede macht nicht unbedingt Mut und greift gleichzeitig ein zentrales Element vieler Prophetengestalten auf. Eigentlich müssten die Propheten ja hoch geachtete und verehrte Männer sein. Sie verkünden das Wort Gottes, auf das das Volk doch eigentlich begierig warten müsste. Das Gegenteil aber ist der Fall. „Mögen sie hören oder es lassen - denn sie sind ein Haus der Widerspenstigkeit -, sie werden erkennen müssen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war“, sagt Gott und deutet bereits an, dass das Wort des Ezechiel offenbar nicht nur Begeisterungsstürme auslösen würde. Dem Propheten Jesaja sagt Gott bei seiner Berufung: „Geh und sag diesem Volk: Hören sollt ihr, hören, aber nicht verstehen. Sehen sollt ihr, sehen, aber nicht erkennen.“ (Jes 6,9). Auch Jesaja also muss mit Unverständnis rechnen. Im Evangelium dieses Sonntags macht auch Jesus diese Erfahrung: „Nirgends ist ein Prophet ohne Ansehen außer in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie.“ (Mk 6,4).
Die Propheten waren keine perfekten Menschen – im Gegenteil. Auffällig oft weisen die auserwählten Propheten selbst auf ihre Schwäche im öffentlichen Auftritt hin. „Aber bitte, HERR, ich bin keiner, der gut reden kann, weder vorgestern noch gestern“, sagt Mose zu Gott (Ex 4,10). „Ach, Herr und GOTT, ich kann doch nicht reden, ich bin ja noch so jung“, sagt Jeremia (Jer 1,6). Diese vermeintliche Schwäche der Propheten wird jedoch zu ihrer wahren Stärke: Je geringer die eigene Kraft, desto stärker scheint auf, wer in Wahrheit durch sie spricht. Sie verkünden ja keine eigenen Worte, sondern das Wort des Herrn.
In diesem Sinne dürfen wir alle uns als Propheten verstehen. Als Christen gehören wir zum Leib Christi und sollen Zeugnis ablegen vom Evangelium. Das tun wir als schwache Menschen, die es nicht verstehen, zu reden, und deren Leben immer zurückbleibt hinter dem Anspruch des Evangeliums. Wir sind Propheten, die nicht immer wissen, ob ihre Botschaft ankommt und Frucht bringt – oder ob das Wort auf ein „Haus der Widerspenstigkeit“ trifft. Doch Schweigen ist keine Option. Für Ezechiel nicht, nicht für Mose, Jesaja oder Jeremia – auch für uns nicht.
Text: Benedikt Bögle
(sig)