Durch das Kirchenjahr: Angst vor dem Christentum?
… mit Benedikt:
Siebter Sonntag im Jahreskreis – Lukas 6,27-38
Nehmen wir diesen Jesus eigentlich ernst? Das ist keine rhetorische Frage. Ich meine das durchaus so. Viele Worte, die uns von Jesus überliefert werden, sind radikal: Sie gehen an die Grenze des Vorstellbaren, manchmal auch die Grenze des Erträglichen. So auch im Sonntagsevangelium dieser Woche. Wir hören einen Ausschnitt aus der „Feldrede“ des Lukasevangeliums. Und Jesus bringt seine Ethik – die zu sehr großen Teilen auch die Ethik des Judentums ist – auf den Punkt. Die Feinde soll man lieben. Wird man beraubt, soll man dem Räuber noch mehr geben, als er verlangt. Geld sollen wir denen leihen, von denen wir schon erwarten können, dass wir es nicht zurückbekommen werden. Nicht richten, nicht verurteilen, einander immer verzeihen.
Dieser Abschnitt aus dem Lukasevangelium liest sich beinahe wie eine Magna Charta der Heiligkeit. Entschuldigung – wer kann das denn bitte erfüllen? Jesus fordert die Übererfüllung aller Gebote. Die eine Sache ist, sich nicht gegen den Schläger zu wehren. Ihm aber auch noch die andere Wange hinzuhalten? Eine Sache ist es, den Räuber ziehen zu lassen. Ihn aber auch noch zu beschenken? Eine Sache ist es, ohne Zinsen und starken Druck zu verleihen. Aber verleihen, wenn man eigentlich nicht hoffen kann, es zurückzubekommen? Wer macht das denn? Wer schafft das?
Wer diesen Katalog liest, müsste eigentlich Angst vor dem Christentum bekommen. Was Jesus verlangt, klingt unmenschlich. Es erscheint unmöglich, nicht gegen diese Aufzählung zu verstoßen. „Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihnen!“, sagt Jesus, verlangt aber eigentlich mehr. Diese Regel klingt ja so einfach. Ich will, dass mir Menschen verzeihen, also verzeihe ich ihnen. Ich will, dass man mir im Notfall Geld leiht, also leihe auch ich. Aber ich will nicht, dass der von mir geschlagene Mensch auch noch die andere Gesichtshälfte dem Schlag entgegenstreckt.
Kann man angesichts dessen überhaupt christlich leben, wenn man nicht zu den wenigen heiligen Menschen der Geschichte zählt? Besteht da für den „normalen“ Menschen noch eine Chance? Ich glaube schon.
Denn das Christentum ist nicht die Religion der Vollkommenen. Das mussten und müssen wir in unserer Geschichte immer wieder lernen. Immer wieder gab es Gruppierungen, die mit dem Anspruch auftraten, sie seien die einzig wahren Christen, die Vollkommenen, die Heiligen – im Gegensatz zu den Sündern.
Das aber ist nicht das Wesen des Christentums. Wir müssen uns nur mal überlegen, wer bei der Feldrede anwesend war. Zum Beispiel die zwölf Apostel. Petrus, der seinen Herrn bei der Gefangennahme erst mit Gewalt verteidigen wollte und ihn dann verleugnete. Judas, der Jesus verriet. Thomas, der erst nicht glaubte. Simon, „der Zelot“, der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vor seiner Berufung einer radikalen Widerstandsgruppe angehörte, die wohl auch vor Gewalt nicht zurückgeschreckt haben dürfte. Jakobus und Johannes, die „Donnersöhne“ genannt werden – ein Titel, den ihnen sicher nicht ihre Sanftmut eingebracht hat.
Das Christentum ist nicht die Religion der Perfekten. Es ist die Religion der Menschen, die Jesus von Nazareth nachfolgen wollen und dabei täglich scheitern und straucheln, sich aber jeden Tag wieder um diese Nachfolge bemühen. Vor diesem Christentum muss man sich nicht fürchten.