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Dank an Joseph Ratzinger / Papst em. Benedikt XVI. und Würdigung durch seine Schüler

Benedikt XVI.: Der "Mozart der Theologie"

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Die Nachricht vom Tod Joseph Ratzingers/Papst emeritus Benedikts XVI. am heutigen 31. Dezember 2022 kam nicht überraschend, aber sie markiert doch eine Zäsur, die viele Menschen tief bewegt. Nachdem die Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung im Juni 2022 in einer festlichen Matinée in München aus Anlass des 95. Geburtstages dem Dank an Benedikt XVI. eine öffentliche Stimme verleihen konnte, veröffentlichen die Einrichtungen, die aus seinem Schülerkreis entstanden sind, heute folgende Würdigung.

„Einen durchschnittlichen Professor kreuzigt man nicht.“ Dieses befremdlich aufschreckende Lob Jesu im Mund des „Mozarts der Theologie“ stammt aus der ersten Fastenpredigt im Jahr 1978 des neuen Münchener Erzbischofs. Bezeichnet es nicht ebenso unseren verstorbenen verehrten Lehrer wie seine Liebe zur beflügelnden Heiterkeit der Musik Mozarts? „Das Papstamt bedeutet Kreuz, und zwar das größtmögliche“ (Dienst an der Einheit, Düsseldorf 1978, 174). Für ihn bedeutete es ein „Fallbeil“ und keinen Karriereschritt.

Die Stiftung „Joseph Ratzinger Papst Benedikt“ wird von zwei zusammenarbeitenden Schülerkreisen getragen, dem aus den alten Tagen und den jungen, in einer Vielfalt von Herkünften und Sehweisen. Der wachsende neue Kreis soll eine Zukunft verbürgen. Beide vereint, dass das Bekenntnis zur Ratzinger-Theologie auch bedeutete, Stellung zu nehmen gegen einen ihn kritisierenden Zeitgeist, vor allem in Deutschland. Wir lernten von ihm die Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Erneuerung der Kirche.

Warum wählte jeder der Schüler gerade ihn, die alten als Lehrer für ihre Promotion oder Habilitation, die jungen als Bezugspunkt für ihre Arbeit? Wir spiegeln die Vielfarbigkeit seines Denkens, seine Weite und Freiheit. Wir wählten ihn wegen seiner Uneitelkeit und wegen der Tiefe seiner Theologie. Nur Wenige nahmen später Abstand. Ratzinger sprach einmal vor uns aus, dass es kein Schülerkreis sei im Sinn einer Anhängerschaft zu einer ganz bestimmten Schulrichtung. Er schämte sich aber nicht für sein buntes Häuflein und traf sich weiter regelmäßig mit uns, auch dann in Rom.

Die ältesten Schüler kennen seine Bescheidenheit: Sie bekamen den Auftrag, ein gebrauchtes Fahrrad zu kaufen für den Weg von der Wohnung zur Uni. Dort sprach er in seiner berühmten Vorlesung vom Geschenk des göttlichen Überflusses als Notwendigkeit für die Menschen. Was wir Schüler von ihm gelehrt und gelebt sahen, hatte eine große Spannweite. Sie umfasste den unendlichen Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf und die Brücke, umfasste die Sünder und die Heiligen als Zeichen der Barmherzigkeit und der Schönheit Gottes. Uns faszinierte Ratzingers Synthese von Glaube und Vernunft, seine Suche nach der Einheit zwischen jüdischer und christlicher Bibel, die er immer deutlicher in das Zentrum einer Antwort auf den Religionspluralismus rückte, seine Feier und Deutung der Liturgie und seine Sprache. Diese blieb in der einfachsten poetischen Dorfpredigt von höchster theologischer Präzision. In der Welt der intellektuellsten Akademien aber bezog sie die Denker der Antike, der Europäischen Aufklärung und der Neuzeit in das Gespräch ein, das einst zwischen Fischern und Zöllnern mit Jesus und nach seiner Kreuzigung geführt wurde.

Er war beliebt als unser Lehrer, aber bei anderen unbeliebt als Prophet. Man erschrak, als er schon vor vielen Jahrzehnten sagte, die abendländische Kirche werde eine kleine Herde werden. Ein Prophet gilt am wenigsten in seiner Heimatstadt. Selbst der Münchener Dogmatiker ärgerte sich über den „theologischen Teenager“ auf dem Konzil und hielt ihn für einen Modernisten. Er verstand auch nicht, wieso ein junger Theologe in Bonaventuras Theologie ein zweites, zusammenhängendes und Thomas von Aquin ebenbürtiges Gebirge entdecken könne, dort, wo die Experten nur ein Feld von Trümmern erkannten.

In der heute modischen Häresie der Gleichstellung aller Religionen sah er keine „ursprüngliche Heiterkeit und Freiheit“, sondern diese fand er im „vielfarbenen Gewand der Braut“ im Psalm 44, den die Kirchenväter auf die Kirche bezogen (Vorwort zur Neuausgabe 2000 der „Einführung in das Christentum“, JRGS 4,49). Er war vor allem ein Fundamentaltheologe, d.h. er erläuterte die Glaubenserfahrung des jüdischen Volkes und der Kirche von der Frage her, wie es möglich wurde, dass der weltjenseitige Gott zu seinem Geschöpf Mensch sprechen kann. Deshalb betonte er nicht nur die Vermittler, die Entdecker, Propheten und Denker, sondern auch den Ort der Theologie, ihres Wachsens und ihrer Reifung: die Geschichte der Entdeckung des Willens Gottes mit der Welt und den Menschen in Israel, durch Jesus und die Kirche.

Es hätte ihm genügt, in Ruhe Bücher schreiben zu können, aber die Kardinäle wollten, dass er die Kirche mit seiner theologischen Intelligenz auf dem Stuhl des Petrus schmücke. Der Neid von theologischen Rivalen, der ihm vorher sicher war, schwieg jetzt, aber man fand neue Gründe, ihn zu kritisieren. Zuletzt fokussierten sich viele Schreiber auf ‚sein einziges großes Verdienst‘: die Rücktritts-Möglichkeit wieder weitergeführt zu haben.

Seine theologischen Schwerpunkte zeigen einen Kirchenlehrer. Seine Theologie entstammt allererst der Liturgie der Kirche, dem Fest der Welt vor Gottes Antlitz, sodann seiner Liebe zum Alten und Neuen Testament. Sein Anliegen war deshalb eine heutige theologische „Kanonische Exegese“. Mit einem Gefühl für die Zweifel der Agnostiker wollte er gleichsam in einem „Vorhof für die Heiden“ den Tempel reinigen und zeigen, dass Vernunft und Glaube zusammengehören. Aber ebenso wichtig galt ihm, den echten Glauben der Einfachen zu schützen. So kam es zu dem in die Zukunft weisenden Lehrsatz: Judentum und Christentum sind eine Aufklärung und nicht eine Religion im üblichen Sinn.

Theologie ist auch eine Wissenschaft. Unser Lehrer beantwortete die Frage nach dem „Wie“ des Hörenkönnens der Sprache Gottes in Schöpfung und Geschichte so: Es gab Finder des Willens Gottes mittels einer langen Läuterung und Reinigung der religiösen und sozialen Vorstellungen.

Den entscheidenden letzten Schritt zur Vollendung der biblischen Hoffnung Israels durch den im jüdischen Volk menschgewordenen Logos, verlangt heute eine neue, aber unverkürzte Christologie. Mit dieser Aufgabe hat Joseph Ratzinger immer deutlicher auch die Notwendigkeit einer die Mitschuld mancher theologischer Entwürfe und kirchlicher Repräsentanten heilenden Israeltheologie entdeckt.

Unser Lehrer betonte immer den Zusammenhang von Leib Christi als Eucharistie und Leib Christi als Kirche, der sich ausdrückt im Wir der versammelten Gläubigen, die Angewiesenheit des Ich auf das Ganze und die Für-Existenz der Christen. Es stehen in seinem Denken nicht Seele und Gott sich gegenüber, sondern Gott und ein Wir seines Volks und Werkzeugs für die ganze Welt. Dabei geht der Einzelne nicht in einer anonymen Menge auf, sondern bleibt persönlich mit seiner ganzen Existenz von Gott zur Antwort gefordert. Bei allem Schon und Noch-Nicht betonte er weit mehr als andere Theologen das Schon, das angebrochene Eschatologische, zuletzt ergänzte er im Dialog mit dem Judentum auch die zweite Seite: Die Kirche ist noch auf der Wanderung durch die Wüste der Geschichte in der Hoffnung, dass sich auch an Israel ihre Hoffnung in Christus erfüllen werde.

Die alten Schüler wissen:Bei den Vorlesungen – mit Notizen auf einem kleinen Zettelchen – konzentrierte er seine Augen auf einen fernen Punkt und sprach druckreif. Lange Gesprächsbeiträge anderer konnte er in aller Kürze zusammenfassen und die Absicht des Sprechers dennoch weit besser vermitteln als dessen langes Bemühen. Als Prediger, als Bischof und als Papst schlug er wohl abends zur Vorbereitung der Predigt das griechische Evangelium auf dem Nachttischlein auf – ein Bild dafür, dass er vom Original ausging, auch vom original gelebten Christentum.

Die jüngeren Schüler des international zusammengesetzten Neuen Schülerkreises sehen sich von seinem Werk inspiriert und wollen dazu beitragen, es in den drängenden Fragen der Kirche heute zur Wirkung zu bringen.

Joseph Ratzinger teilte eine heilige Zuversicht Bonaventuras: „Die Werke Christi gehen nicht rückwärts, sondern schreiten voran“ (Epistula de tribus quaestionibus 13). 1982 sagte Joseph Ratzinger in einer Predigt in Rom über das Aggiornamento: „Die Konzilien der Kirchengeschichte sind immer nur durch exemplarische Menschen – Heilige – wirksam geworden“ (JRGS 7/2, 1080). Wir können es über ihn, unseren Lehrer sagen. Wir wünschen, ihn bald als Kirchenlehrer verehren zu können.

Für den Schülerkreis

Dr. Josef Zöhrer / P. Prof. Dr. Stephan Horn SDS / Prof. Dr. Ludwig Weimer

Für den Neuen Schülerkreis Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. e.V.

Prof. Dr. Christoph Ohly / P. Dr. Sven Leo Conrad FSSP / Pfarrer Dr. Rainer Hangler

Für die Joseph Ratzinger Papst Benedikt XIV.–Stiftung

Martina Heim / Maria Dimpfl / Prof. Dr. Achim Buckenmaier

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