Berlin / Regensburg, 17. April 2024
Die Corona-Pandemie hat Politik und Gesellschaft im Jahre 2020 überrascht. Die Folgen werden lange zu spüren sein. Aus dieser Erfahrung müssen nach Ansicht der Caritas-Präsidentin nun nötigen Schlüsse gezogen werden.
Ein öffentlicher Wettstreit, wer die meisten Fehler findet, helfe nicht, die Corona-Krise zu bewältigen, so die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa. Noch viel weniger helfe eine Kultur des An-den-Pranger-Stellens: „Wir müssen Corona konstruktiv-kritisch aufarbeiten. Jede geplante Enquete-Kommission sollte neben Wissenschaftlern deshalb besonders diejenigen einbeziehen, die in der Praxis, bei den Menschen, in der Corona-Zeit Verantwortung übernommen und Lösungen gefunden haben.“
„Wir wollen aus unseren Stärken lernen. Wie wichtig eine tragfähige soziale Infrastruktur war und ist, wird jetzt, vier Jahre nach dem ersten Lockdown, erneut offenbar“, so Welskop-Deffaa weiter, „ein dichtes Netz der Gesundheitsversorgung, Familien- und Sozialberatungsstellen, eine Alten- und Behindertenhilfe mit auskömmlichen Personalschlüsseln – das alles wird dringend gebraucht!“ Die Spuren der Pandemie seien tief in der Gesellschaft eingraviert, Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen haben sich verdoppelt, Mitarbeitende in den bundesweit rund 120.000 Einrichtungen und Diensten der Freien Wohlfahrtspflege sind nachhaltig erschöpft und bei den Bürger sei die Skepsis gegenüber politischen Entscheidungsträgern gewachsen.
Corona-Maßnahmen brachten Caritas erhebliche Belastungen
„Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der 2020 ergriffenen Maßnahmen lässt sich nicht pauschal beantworten. Sie wurden nach dem damaligen Wissensstand getroffen, heute wissen wir mehr über die Wirksamkeit und die Nebenfolgen. Insgesamt konnten sie aber die Ausbreitung des Virus eindämmen und vulnerable Bevölkerungsgruppen schützen“, so die Präsidentin,
Gundekar Fürsich, Geschäftsführer der Caritas Altenhilfe Trägergesellschaft St. Elisabeth gGmbH in Erfurt, ergänzt jedoch: „Dabei führten sie gleichzeitig zu erheblichen Belastungen: Aus heutiger Sicht hätte das anfangs strikte Verbot von Angehörigenbesuchen und des Zugangs von Seelsorgenden zu Schwerstkranken schrittweise anders geregelt werden müssen.Der Schutz der Gesundheit unserer Bewohnerinnen und Bewohner steht zweifellos an erster Stelle, aber wir müssen auch die Bedeutung von sozialen Kontakten für das seelische Wohlbefinden erkennen. Die Balance zwischen Schutzmaßnahmen und dem Recht auf zwischenmenschliche Beziehungen muss ausgewogen sein.“
Folgen besonders bei Jugendlichen und Frauen
Das psychische Wohlbefinden vieler Menschen ist, wie die Carits allerorten beobachter, in Folge der Erfahrungen in der Pandemie gestört. Das ist ein großes Thema in der Jugendhilfe, in der Erziehungs- und Familienberatung, in der Suchtberatung, in den Einrichtungen für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und im Bildungsbereich. Es gibt nun eine Generation von Kindern, die Gewalt und Vernachlässigung länger aushalten musste, bevor irgendwann die Systeme zur Förderung wieder griffen.
Dazu Monika Kießig, Einrichtungsleiterin bei der Caritas Familien- und Jugendhilfe gGmBH in Berlin Neukölln: „Die Gestaltung der Schulschließungen war in der Art und Weise wie sie umgesetzt wurde, nicht notwendig, das wissen wir heute. Kinder gerieten aus dem Blick der Fachkräfte in Schulen, Kitas und Freizeitstätten, sie erhielten keine Hilfe bei Problemen in den Familien. Fast jede vierte Frau zwischen 16 und 35 Jahren leidet unter den Folgen der Pandemie. Die Frauen berichten von Überforderung, Zukunftsängsten und Vereinsamung. 35 Prozent der Mädchen zwischen 16 und 19 Jahren leiden unter depressiven Symptomen, bei den Jungen sind es 15 Prozent.“
Ausblick: Vorsicht beim Rotstift im Sozialbereich
Covid ist nicht Vergangenheit. In den Krankenhäusern der Caritas werden nach wie vor Infizierte behandelt, in den Reha-Einrichtungen Menschen nach Infektionen bzw. mit Long-Covid betreut. Caritasverbände haben neue Angebote, wie Selbsthilfegruppen für Patient_innen mit Long Covid, auf die Beine gestellt. Und in den Caritas-Beratungsstellen macht sich bemerkbar, welche schwerwiegenden, auch finanziellen Folgen, die Pandemie für viele Menschen hatte.
Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa resümiert: „Um Krisen wie die Pandemie zu bestehen, brauchen wir ein dicht geknüpftes Netz sozialer Infrastruktur. Eine krisenresiliente Gesellschaft braucht Pufferkapazitäten in den sozialen Einrichtungen und Diensten. Sie braucht risikobereite verantwortungsbewusste Entscheidungsträger, die zupacken, wenn es brennt, und ein funktionierendes Miteinander von freiwilligem und beruflichem Engagement, von Wissenschaft und Praxis, von Sozialverwaltung und freien Trägern in einer solidarischen Gesellschaft. Aus Corona lernen heißt daher auch, in Haushaltsberatungen den Rotstift nicht zuerst im Sozialbereich anzusetzen.“
Text: Caritas
(sig)