Regensburg, 31. Oktober 2024
Früher gab es um Allerheiligen und Allerseelen viel Aberglauben. Wer sich in der Nacht auf Allerseelen ins Freie wagte, war in großer Gefahr, so der Volksglaube. Denn Spuk und Zauber drohten, und alle Geister und Dämonen waren freigelassen. Ein alter bäuerlicher Spruch lautet: „Nach der Kirbe (= Kirchweih) kommt Allerheiligen und nach Allerheiligen kommt der Teufel“.
Die Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen galt als Freinacht für die Armen Seelen. Nur in dieser einen Nacht dürfen die Seelen der Verstorbenen aus dem Fegefeuer entweichen und an den Ort ihres irdischen Wirkens zurückkehren.
Die Armen Seelen
Sobald am Allerheiligentag die Glocke für die Armen Seelen läutet, sind die Seelen frei und können umgehen, glaubte man. Erst am nächsten Morgen mussten sie wieder zurück. So versuchte man durch allerlei Vorsichtsmaßnahmen, den umherwandelnden Armen Seelen zu helfen.
Um die zurückgekehrte Seele nicht zu zerquetschen durfte keine Tür fest zugeschlagen werden, kein Messer mit dem Rücken nach oben und kein Rechen mit den Zinken nach oben liegen, sonst könnte sich eine Arme Seele daran verletzen. Nach altem Aberglauben würden sich die zurückgekehrten Seelen auch in Tiere verwandeln. Frösche und Kröten durften in dieser Zeit nicht getötet werden, weil sich Arme Seelen in Form dieser Tiere auf der Erde aufhalten könnten. Und auch als Vögel würden die Armen Seelen um die Kreuze der Friedhöfe kreisen. Doch Sonntagskinder könnten am Allerseelentag durch ihr Gebet eine Arme Seele aus dem Fegfeuer erretten.
Seelenlichter und Knistern
Da man sich die Armen Seelen auch als luftähnliche Geistwesen vorstellte, wurde aufkommender Wind an Allerheiligen und Allerseelen als Zug der Armen Seelen gedeutet. Weit verbreitet war auch der Glaube, dass sich die Armen Seelen schon lange Zeit auf diesen Tag freuen und bereits zwei Wochen vorher als kleine Lichtlein auftauchen. Immer wieder sollen diese Lichtlein auf dem Rücken von Käfern oder Fröschen beobachtet worden sein. Auch durch ein Knistern im Zimmer oder durch ein Ächzen unter der Erde der Friedhöfe sollen sich die Armen Seelen bemerkbar machen.
Schreckliche Vorstellungen
Bei all diesen unheimlichen Erzählungen ist es nicht verwunderlich, dass der Allerseelentag allgemein als Geister- und Unglückstag galt. An diesem Tag wurden keine größeren Arbeiten verrichtet, man sollte nichts Neues beginnen und vor allem keine Reise antreten. Verletzungen, die man sich am Allerseelentag zuzog, würden angeblich nie mehr heilen – am besten also, man verhielt sich ruhig, blieb zu Hause und betete, um die Armen Seelen der Vorfahren aus dem Fegefeuer zu retten. Denn die Menschen früher wurden von schrecklichen Vorstellungen geplagt, was die Armen Seelen im Fegefeuer zu erdulden hatten. Ein Flügelaltar aus dem 15. Jahrhundert schildert die Situation der Gepeinigten in drastischen Bildern. Da werden die einen in großen Töpfen gekocht, die anderen am Spieß gebraten oder der Teufel schüttet ihnen glühendes Gold in die Kehle.
Weihwasser und „Arme-Seelen-Taferl“
So ist es nicht verwunderlich, dass die Angehörigen alles versuchten, um den Armen Seelen ihre Qualen zu verkürzen. Und das nicht nur am Allerseelentag. Das ganze Jahr über konnte sich die Arme Seele der erlösenden Gebete sicher sein. Man gedachte der Verstorbenen vor und nach den Mahlzeiten, beim Angelus-Läuten und beim Nachtgebet. Als besonders heilsam galt auch das Weihwasser. In vielen Häusern hingen gleich neben dem Weihwasserkessel die „Arme-Seelen-Taferl“, meist kleine Hinterglasbilder mit den Flammen des Fegfeuers, aus denen einige Arme Seelen ihre Arme streckten. Jeder, der aus dem Zimmer ging, spritzte einige Tropfen Weihwasser auf das Bild und hoffte, es möge den im Fegfeuer Schmachtenden Kühlung bringen.
Die Allerseelenschiffchen von Schmidmühlen
Noch um 1900 war Allerseelen in Bayern ein Feiertag, vereinzelt wurde sogar eine ganze Allerseelenwoche gefeiert. Sie dauerte in Altbayern acht Tage, an denen jeden Abend der Rosenkranz gebetet wurde. So auch in Schmidmühlen im Landkreis Amberg-Sulzbach. Doch hier wurde ein ganz besonderer Brauch gepflegt, der lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Nach dem Allerseelengottesdienst in der Friedhofskapelle nahmen die Kinder die brennenden Kerzenstummel mit und setzten sie auf kleinen Rindenschiffchen in die Lauterach. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs geriet der Brauch in Vergessenheit. Doch in den späten 1980er Jahren wurden die Allerseelenschiffchen durch den örtlichen Kulturverein wiederbelebt.
Seitdem erstrahlt die Lauterach am Allerseelentag wieder im Licht unzähliger Kerzen, die in ihren Schiffchen auf dem Bach treiben. Nach dem Allerseelengottesdienst treffen sich die Kinder des Ortes um 18 Uhr an der Uferpromenade der Lauterach und setzen gemeinsam ihre selbstgebastelten Allerseelenschiffchen mit den Kerzen, die zuvor in der Kirche feierlich gesegnet wurden, ins Wasser, wo sie die Lauterach dann in ein buntes Lichtermeer tauchen.
Der Allerseelenablass
Ablässe – der Nachlass zeitlicher Strafen für Sünden, die hinsichtlich der Schuld von Gott bereits vergeben wurden, so die theologische Definition – werden in der katholischen Kirche zu besonderen Anlässen gewährt. Eine große Rolle spielten früher der Allerseelenablass am 1. November und der Portiunkula-Ablass am 2. August. An diesen Tagen waren die Gotteshäuser voll, denn wer den Ablass gewinnen wollte, der musste beichten und die Kommunion empfangen. Außerdem musste bei jedem Kirchenbesuch wenigstens sechsmal das Vaterunser, Ave Maria und Gloria Patri gebetet werden. An solchen Ablass-Tagen herrschte nicht nur in den Kirchen reges Treiben. Denn man glaubte, je häufiger man die Kirche besuchte, umso mehr Ablässe würden dafür gewährt. Und so holte sich mancher seine Ablässe gleich „auf Vorrat“. Da wurde in der Kirche gebetet, danach gings eine Runde über den Friedhof und wieder in die Kirche zurück. So konnte man sein eigenes Gewissen beruhigen und für die Armen Seele blieben auch noch ein paar Ablässe übrig.
In der Allerseelenwoche vom 1. bis zum 8. November können unter bestimmten Voraussetzungen noch heute Ablässe erworben werden.
Text: Judith Kumpfmüller