Regensburg, 12. Januar 2025.
Ein Anachronismus, der krasser nicht sein könnte. Die Heiligen Drei Könige finden das Jesuskind. Der älteste von ihnen entbietet eben den Handkuss, der auch heute noch in der katholischen Kirche im Kuss auf den Ring eines Bischofs und vor allem den Fischerring des Papstes lebendig ist. Zur selben Zeit ist an der ruinösen Wand des Stalles inmitten einer spätmittelalterlichen Stadt, mit der der Künstler ein überzeitliches Betlehem symbolisiert, ein Kruzifix zu sehen. Ein Kruzifix!
Die Kreuzigung Christi als Gegenstand der Erinnerung, und das zum Zeitpunkt der Epiphanie, also der Anbetung der Heiligen Drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar. Beim Nachdenken über diese unglaubliche Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen gehen die Gedanken schnell auf das Erlösungswerk Christi, in dem genau dies geschieht. Die Zeitlichkeit wird aufgehoben, am Kreuz werden erlöst alle, die schon lebten und die noch leben werden. Das Geheimnis des Glaubens wird hier angedeutet. Seine Größe bleibt unfassbar.
Diese Darstellung der Epiphanie stammt aus Köln. Der berühmte Maler Rogier van der Weyden aus dem flämischen Tournai, auch Doornik, malte sie zwischen 1450, wo er Köln bereiste und 1455, dem Jahr, für das die Fertigstellung aktenkundig ist. Sie gehört zu einem Triptychon, dem sogenannten Columba-Altar, auch Dreikönigsaltar, heute eines der Hauptwerke in der Alten Pinakothek in München. Rogier malte mit Ölfarben auf Eichenholz, und das gesamte Gemälde, von dem wir hier den mittleren Teil als Ausschnitt zeigen, misst 139,5 mal 152,9 cm.
Viele interessante Details hat der Maler eingearbeitet. Der jüngste König, rechts im Bild, könnte den Burgunder Karl den Kühnen darstellen. Bescheiden, aber doch präsent kniet links hinter Josef der Stifter des Gemäldes, also der Geldgeber, es ist der Kölner Patrizier Goddert von dem Wasservass. Den Hintergrund, durch die Bögen des kirchenartig ausgeführten Stalles sichtbar, bildet eine weite Landschaft, perspektivisch korrekt, in der auf Hügeln eine Stadt im Stil der Spätgotik angeordnet ist – eine erstrangige Quelle für die Einordnung und Beurteilung der spätmittelalterlichen Baugeschichte.
Kommen wir im Rahmen dieser kurzen Betrachtung, die gar nicht vollständig sein kann, nochmals auf die Symbolik im stilisierten Stall, der ja doch eher einer Kirchenruine gleicht – dies, für sich genommen, ist bereits höchst symbolisch. Zwar ist das löchrige Dach strohbedeckt, entscheidend ist aber der Wandaufriss – Rundbögen hatte im Spätmittelalter kein Stall, nirgendwo. Wölbungen finden sich auch nicht in Privatbauten, sogar in Königsbauten weisen lediglich die Fenster Rundbögen auf, nicht aber das Tragwerk der Decke. Hier sind also romanische Kirchenwände angedeutet, und dieser schon aus damaligeer Sicht alte Stil darf als eine Andeutung des alten Bundes gesehen werden. Das Jesuskind, in diesen Raum hineingeboren, symbollsiert den Beginn des neuen Bundes.
Das Kruzifix in der Krippe steht zentral über dem Geschehen im Stall, mittig. Es steht für die Vollendung des neuen Bundes, verweist unmissverständlich auf Jesu Opfertod, der die Sühne für den Sündenfall ist. Genau dieser findet im übrigen sich dargestellt auf dem Betstuhl der Maria, an anderer Stelle des Triptychons. Dieser Sündefall aber ist durch die Geburt Christi ausgeglichen. Die tiefe Symbolik des Bildes wird indessen so eindringlich, weil die Malerei sowohl konzeptionell als auch von der Ausführung her von fast unvergleichlich hoher Qualität ist. Rogiers Anbetung der Könige bietet geradezu sensationelle Wirklichkeitsnähe, thematische Dichte und zeugt von übergreifender theologischer Bedeutung. Was für ein Bild!
Text: Sebastian Sigler