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Aus den Sakramenten leben

Christliches Leben – in den Sakramenten begründet

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Regensburg, 3. August 2023.

Das Glaubensleben der Christen umfasst im Wesentlichen drei Elemente: das Hören des Wortes Gottes, die Feier der Sakramente und die tätige Nächstenliebe. Die Theologie hat dafür die griechischen Fachbegriffe martyria (Bezeugung des Glaubens), leiturgia (Verherrlichung Gottes in der Liturgie) und diakonia (Dienst am Mitmenschen) geprägt. In den folgenden Überlegungen soll vor allem die sakramentale Dimension des christlichen Lebens in den Blick genommen werden.

Ein sakramentaler Grund des menschlichen Lebens

Dass sich der Glaube vom Hören des Wortes Gottes her nährt und als Konsequenz zu Werken der Nächstenliebe führen muss, ist leicht einsehbar. Weniger verständlich hingegen ist für viele die Dimension des Sakramentalen, die das Leben der Gläubigen bestimmt. Ein fruchtbarer Empfang und eine fruchtbare Feier der Sakramente der Kirche setzt voraus, dass die Gläubigen erkennen, auf welche besondere Weise Gott im Sakrament an den Menschen wirkt. In einer Zeit, in der funktionale Betrachtungsweisen des Lebens weitgehend im Vordergrund stehen, ist es notwendig, im Blick auf den Menschen und jene Aspekte, die den Menschen ausmachen, Dimensionen freizulegen, die den gläubigen Menschen für das Wirken Gottes in den Sakramenten öffnen. Fragen wir also: Gibt es eine sakramentale Dimension des menschlichen Lebens? Kann von den Sakramenten eine Kraft ausgehen, die das Leben des Gläubigen stärkt, nährt und verwandelt? Wer sich auf den sakramentalen Grund menschlicher Existenz besinnt, wird auf eine merkwürdige Tatsache der vergangenen Jahrzehnte stoßen. Das 20. Jahrhundert hat eine Krise des Sakramentalen erlebt, eine Fremdheit gegenüber der Wirklichkeit des Sakraments, wie sie im Inneren des Christentums in dieser Zuspitzung bisher noch kaum bestanden haben dürfte (vgl. Joseph Ratzinger, Die sakramentale Begründung christlicher Existenz [1966], in: ders., Theologie der Liturgie, [Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften, Bd. 11], Freiburg 2008, 197-214).

Die Krise des Sakramentalen im modernen Bewusstsein

In einer Zeit, in der man sich angewöhnt hat, im Stoff der Dinge nur noch das Material menschlicher Arbeit zu sehen, in der „die Welt als Materie und die Materie als Material angesehen wird, bleibt fürs erste kein Raum mehr frei für jene symbolistische Transparenz der Wirklichkeit auf das Ewige hin, auf der das sakramentale Prinzip beruht“ (ebd., 198). Die Idee des Sakraments setzt ein symbolisches Weltverständnis voraus; das heute vorherrschende Weltverständnis aber ist funktionalistisch. Es sieht die Dinge bloß als Dinge, als Funktion menschlicher Arbeit und Leistung. Bei einem solchen Ausgangspunkt ist nicht mehr zu verstehen, wie aus einem „Ding“ ein „Sakrament“ werden soll. Der Mensch von heute interessiert sich durchaus für die Gottesfrage; auch die Christusfrage beschäftigt ihn. Aber die Sakramente erscheinen ihm als etwas allzu Kirchliches (vgl. Christoph Kardinal Schönborn, Die Kirche – Gemeinschaft und Geheimnis, in: Josef Kreiml [Hg.], Katechesen zum Credo, Regensburg 2014, 131-144), als allzu sehr an eine vergangene Stufe des Glaubens Gebundenes.

Ein der Seele eingeprägtes unauslöschliches Merkmal

Ist es nicht eine Zumutung, sich vorzustellen, dass das Begießen eines Menschen mit etwas Wasser oder die Salbung mit ein wenig geweihtem Öl, die von der Kirche als letztes Geleit einem Kranken mit auf den Weg gegeben wird, etwas Entscheidendes für seine Existenz bedeuten sollte? Auch die Priester fangen da und dort an zu fragen, ob denn die Handauflegung des Bischofs, die man Priesterweihe nennt, „wirklich eine unwiderrufliche Bindung eines Lebens bis in seine letzte Stunde hinein bedeuten könne“ (J. Ratzinger, Theologie der Liturgie, 198). Die Idee des unauslöschlichen Merkmals, das solche Sakramente der Seele einprägen, erscheint dem Menschen von heute vielfach als eine eigenartige mystische Philosophie.

Sakrament und christliches Leben

Die menschliche Existenz ist – in der Sicht des modernen Menschen – das immerfort Offenbleibende, das in der Entscheidung wächst und nicht durch einen einmaligen Ritus für immer versiegelt werden kann. Ähnliche Ideen stellen sich dann natürlich ebenso der sakramentalen Auffassung der Ehe entgegen; und auch die Eucharistie bleibt von solchen Fragen nicht ausgenommen (vgl. Anton Ziegenaus, Eucharistie – Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens, in: ders., Verantworteter Glaube. Bd. 2, Buttenwiesen 2001, 37-58). Wie soll denn in der Eucharistie Christi Fleisch und Blut anwesend sein können? „Und endlich verdichtet sich das Ganze unabweisbar zu der Frage nach dem Sinn des christlichen Gottesdienstes überhaupt. Warum muss ich, um Gott zu begegnen, in die Kirche gehen? Ist Gott denn an einen Ritus und an einen Raum gebunden? Kann denn das Geistige materiell und rituell vermittelt oder gar gebunden werden?“ (J. Ratzinger, Theologie der Liturgie, 199) Ist das Sakrament eine ästhetische Verschönerung aus dem Geist einer vergangenen Welt oder ist es eine existenzbegründende Wirklichkeit? Um zu einer Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Sakrament und christlichem Leben zu gelangen, sind zunächst zwei Fragen zu stellen: Was ist ein Sakrament? Und was ist menschliche Existenz?

Sakramente an den Knotenpunkten des Lebens

Was ist ein Sakrament? Der Radius dieser Frage reicht sehr weit. Im Hinblick auf die Menschheitsgeschichte insgesamt wird man feststellen können, dass es in ihr „so etwas wie Ursakramente gibt, die mit einer Art innerer Notwendigkeit überall da auftauchen, wo Menschen zusammenleben, und die in mancherlei Verwandlungen selbst bis in die entsakramentalisierte technische Welt selbst hineinreichen. Man könnte sie Schöpfungssakramente nennen“ (ebd., 200). Diese „Schöpfungssakramente“ entstehen an den Knotenpunkten des menschlichen Lebens und lassen sowohl ein Bild vom Wesen des Menschen als auch von der Art seiner Gottesbeziehung erkennen. Solche Knotenpunkte sind Geburt und Tod, die Mahlzeit und die geschlechtliche Gemeinschaft. Es handelt sich dabei um Wirklichkeiten, die in erster Linie nicht aus dem geistigen Sein des Menschen, sondern aus seiner biologischen Natur hervorkommen. Das biologische Dasein des Menschen verwirklicht und erneuert sich beständig in Nahrungsaufnahme und geschlechtlicher Gemeinschaft. In Geburt und Tod erfährt der Mensch geheimnisvoll seine Grenze. Er nähert sich dem Unverfügbaren, Größeren und Anderen.

Von einer Macht umfangen und getragen

Diese biologischen Gegebenheiten, die eigentlichen Aktualisierungen des Lebensstromes, an dem der Mensch Anteil hat, empfangen im Menschen – dem das Biologische übersteigenden Wesen – eine neue Dimension. Sie werden, um mit Friedrich Schleiermacher (1768-1834) zu reden, zu den „Ritzen“, durch die hindurch das Ewige in die Gleichmäßigkeit des menschlichen Alltags blickt. „Gerade weil diese Vorgänge biologisch und nicht geistig sind, erfährt der Mensch in ihnen seine Übermächtigung durch eine Macht, die er weder rufen noch bezwingen kann, die seinen Entscheidungen voraus ihn schon umfängt und trägt“ (ebd., 201).

Mitsein mit den Dingen und den Menschen

Das Biologische erhält im Menschen, dem geistig existierenden Wesen, eine neue Tiefe. Bei ihm ist das Essen etwas anderes als die Nahrungsaufnahme des Tieres. Das Essen kommt zu seiner menschlichen Gestalt, indem es zum Mahlhalten wird. Mahlhalten bedeutet, die Köstlichkeit der Dinge erfahren, in denen dem Menschen das Geschenk der fruchtbaren Macht der Erde zukommt. Mahlhalten bedeutet, in solchem Empfangen der Köstlichkeit der Erde zugleich auch das Mitsein mit anderen Menschen zu erfahren. Im Mahl erfährt der Mensch, dass er seinem Sein nicht selber den Grund geben kann, sondern dass er vom Empfangen lebt. Er erfährt sich als einen Beschenkten, der von der unverdienten Gabe einer Fruchtbarkeit lebt, die immer schon auf ihn zu warten scheint. Er erfährt, dass sein Dasein im Mitsein mit der Welt gründet, in deren Lebensstrom er eingetaucht ist, und dass es gründet im Mitsein mit den Menschen, ohne das sein Menschsein den Boden unter den Füßen verlieren würde. „Der Mensch gründet sich nicht selbst, sondern er wird begründet durch ein doppeltes Mit: Mitsein mit den Dingen und Mitsein mit den Menschen“ (ebd., 202).

Das Mahl: Zeichen des Göttlichen

Das Phänomen des Mahles hat uns unversehens zu einer ersten Antwort auf die Frage „Was ist der Mensch?“ geführt. Wir können in einem ersten Anlauf sagen, dass sich in der Umgestaltung des Essens zum Mahl zugleich die „Urgestaltung des Sakramentalen“ vollzieht. Das zum Mahl gewordene Essen trägt bereits sakramentale Züge an sich. Der Mensch, der im Mahl nicht nur den geistfremden biologischen Akt der Nahrungsaufnahme durchführt, sondern das Biologische geistig vollzieht, erfährt im Mahl die Transparenz des Sinnlichen auf das Geistige hin. Er erfährt jene Durchdringung von Leben und Geist, die sein eigenstes Wesen ausmacht. „Er erfährt, dass die Dinge mehr sind als Dinge: dass sie Zeichen sind, deren Bedeutung über ihre unmittelbare sinnliche Macht hinausreicht“ (ebd.). Wenn der Mensch im Mahl die Gründung seiner Existenz erlebt, dann weiß er, dass die Dinge ihm mehr geben als sie selber sind. So wird das Mahl für den Menschen zum Zeichen des Göttlichen und Ewigen, das ihn und alle Dinge und Menschen trägt. „Die sakramentalen Urgestalten der Menschheitsgeschichte knüpfen sich nicht an spezifisch geistige und religiöse Vorgänge, sondern an die Verdichtungen des Biologischen, das zum Menschsein gehört. ... sie sind gleichsam die Erfahrung der Durchsichtigkeit des Biologischen aufs Geistige und Ewige hin“ (ebd., 203).

Beschenkt sein und verpflichtet sein

Im Laufe der Geschichte entwickelt dann auch der spezifisch menschliche und geistige Bereich seine sakramentalen Knotenpunkte. Einer steigt auf aus der menschlichen Urerfahrung der Schuld. Der Mensch, der sein Dasein nicht selber baut, sondern vom Beschenktsein lebt, erfährt zugleich sein Verpflichtetsein, sein Stehen unter einer vorgegebenen Form, deren Verfehlen ihn schuldig werden lässt. Von da her gibt es so etwas wie ein Sakrament der Buße von den Urzeiten menschlicher Geschichte her. Zwei Sakramente sind – so der hl. Bonaventura – schon am Anfang der Geschichte eingesetzt worden. Sie sind so alt wie der Mensch selbst: das Sakrament der Ehe und das Sakrament der Buße. In den Religionen der Völker ist das, was mit der Erfahrung des Schuldigwerdens verbunden ist, vielfach in eigenartige Äußerlichkeiten abgeglitten: zu einem Kult des Waschens, der Reinigungsmittel, der Schuldübertragung an Tiere (Sündenbock!) oder an Sklaven. In zum Teil abstoßenden Riten vernimmt man so etwas wie das Gestammel eines Wissens, dass der Mensch im Sich-Beugen unter die Wahrheit seiner Schuld die Nähe Gottes erfährt. Wenn versucht wird, das Geistige mit körperlichen Mitteln zu reinigen, ist dies – bei aller Absurdität – dennoch ein bewegender Schrei nach Reinigung, den solche Riten enthalten.

Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml, Bild: Diakon Walter Karger



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