15. August 2024
Ein Feiertag ist immer auch ein Gedenktag – eine Gelegenheit, innezuhalten. Und so möchten wir heute nochmals den 90. Todestag von Fritz Gerlich revue passieren lassen. Wir dokumentieren dazu, was im Martyrologium der katholischen Kirche über ihn geschrieben steht. Am 1. Juli 2024 hat sich die Vollendung des Martyriums, seine Ermordung im KZ Dachau, zum 90. Mal gejährt. Im Bistum Regensburg ist daran, zuerst und zuvörderst durch Bischof Dr. Rudolf Voderholzer, verschiedentlich erinnert worden.
Dr. Fritz Michael Gerlich
Historiker – Journalist
* 15. Februar 1883 Stettin
† 1. Juli 1934 KZ Dachau
Karl Albert Fritz Michael Gerlich wurde am 15. Februar 1883 in Stettin als ältester von drei Söhnen des Kaufmanns und Fischgroßhändlers Paul Gerlich und seiner Ehefrau Therese, geb. Scholwin, geboren. Er wurde getauft und wuchs auf im reformierten Bekenntnis Calvins. Nach dem Abitur am humanistischen Marienstiftsgymnasium in Stettin im Jahre 1901 ging er gegen den Willen seiner streng calvinistischen Mutter – der Vater war verstorben – zum Studium der Mathematik, Physik, Philosophie und Anthropologie an die Universität München, im dritten Semester an die Universität Leipzig. Frühzeitig bekundete er auch theologische Interessen und wurde zutiefst beeindruckt von der südlichen, katholischen Atmosphäre Münchens und Italiens.
Nun gab er das Studium der Naturwissenschaften auf und wandte sich seit 1903 der Geschichte und Philosophie an der Universität München zu. Am 9. März 1907 wurde er hier mit einer Arbeit über das Testament des Stauferkaisers Heinrich VI. zum Dr. phil. promoviert. Nach dreijährigem Vorbereitungsdienst legte er 1910 die archivalische Staatsprüfung in München ab. Er wurde bayerischer Staatsangehöriger, 1915 beamteter Kreisarchivassessor in München. Eine angestrebte Habilitation für Nationalökonomie kam schließlich nicht zustande. Literarisch-publizistisch setzte er sich für nationale Interessen ein, für eine liberale Arbeiterbewegung, zugleich scharfer Gegner von Marxismus und Kommunismus.
1920 wurde er Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten, der größten und wichtigsten Tageszeitung Süddeutschlands. Unter dem Eindruck des versuchten Hitlerputsches vom November 1923 kam er rasch zur Einsicht, daß ein von Hitler aufgepeitschter Pseudo- Nationalismus Tod und Bürgerkrieg bedeuten würde. G. wurde zu einem der schärfsten Gegner Hitlers und der NS-Ideologie. Seine radikale Kehrtwendung blieb vielen unverständlich. Erwein Freiherr von Aretin kam 1924 als Leiter des Ressorts Innenpolitik zu den Münchner Neuesten Nachrichten. Sein Bericht über Therese Neumann von Konnersreuth (1898 – 1962) und die mit ihr verbundenen Phänomene vom 3. August 1927 fand weltweites Echo und wurde für Gerlich zum Anlaß, die „Resl von Konnersreuth“ persönlich in der Oberpfalz aufzusuchen, „um dem Schwindel auf die Spur zu kommen“. Zutiefst betroffen von seinen Erlebnissen kam er zurück. Am 6. November 1927 erschien ein Aufsatz darüber in der Beilage seiner Zeitung, der berühmt werden sollte. Es kam zum schweren Zerwürfnis. Am 15. Februar 1928 verließ Gerlich die Münchner Neuesten Nachrichten. Zum 1. November 1929 fand er wieder eine Anstellung, und zwar im bayerischen Archivdienst. Bedeutsamer wurde seine Verbindung zu einem Kreis prominenter Persönlichkeiten um den Fürsten Erich von Waldburg zu Zeil (1899 – 1953), der auch die neue Wochenzeitschrift „Illustrierter Sonntag“ (seit 5.10.1930), ab 3. Januar 1932 umbenannt in „Der gerade Weg. Deutsche Zeitung für Wahrheit und Recht“ finanzierte. Gerlich konvertierte zum kath. Glauben und wurde am Fest des Erzengels Michael, am 29. September 1931, im Kapuzinerkloster zu Eichstätt von seinem Mitstreiter Pater Ingbert Naab (1885 – 1935) auf den Namen Michael getauft. Taufpate war der Eichstätter Theologieprofessor Franz Xaver Wutz. Unmittelbar nach der Taufe erfolgte die kirchliche Trauung, da Gerlich und seine Frau Sophie am 9. Oktober 1920 in München nur zivilrechtlich getraut worden waren. Am 9. November 1931 empfing Gerlich von Kardinal Michael von Faulhaber in der Privatkapelle des Erzbischöflichen Palais’ zu München das Sakrament der Firmung.
In der genannten Wochenzeitung kämpfte Gerlich zusammen mit dem Kapuzinerpater Ingbert Naab in schärfster Weise gegen den NS und gegen Adolf Hitler persönlich. Eine Stütze im Kampf gegen den NS wurde für Gerlich der Elektroingenieur Georg Bell; dieser hatte sich nachrichtendienstlichen Aufgaben zugewandt und knüpfte mit größtem Geschick Verbindungen.
Gerlich setzte seinen Kampf gegen den NS auch nach der Machtübernahme Hitlers unerschrocken fort. Bald konnten sich Schläger der SA furchtbar an ihm und seinen Mitarbeitern rächen. Am Abend des 9. März 1933 wurde er in den Münchener Redaktionsräumen seiner Wochenzeitung überfallen, von SA-Leuten schwer mißhandelt, in „Schutzhaft“ genommen und ins Polizeigefängnis an der Ettstraße gebracht. Ausländische Zeitungen nahmen sich des Falles an. Der Innsbrucker „Volksruf“ brachte am 10. Mai 1933 einen flammenden Artikel unter der Überschrift „Wo ist Dr. Gerlich?“ Es ist das Gerücht entstanden, Gerlich sei bereits tot. „Dafür, für dieses mannhaft katholische Eintreten für Recht und Gerechtigkeit mußte Dr. Gerlich sterben (...). Wir werden nicht ruhen und rasten, bis wir Klarheit in den Fall Dr. Gerlich gebracht haben, bis wir wissen, ob aus dem Zeugen der katholischen Wahrheit ein Blutzeuge des Glaubens und der Gerechtigkeit geworden ist. Ist Dr. Gerlich tot – und alles spricht dafür –, dann ist er ein Märtyrer der katholischen Kirche, gefällt vom Hakenkreuzterror.“
Dieser Bericht im „Volksruf“ und andere Nachrichten, auch Bemühungen von kirchlichen Stellen, waren den neuen Machthabern zwar peinlich, konnten aber letztlich nichts bewirken. In der Nacht vom 15. auf den 16. Mai 1933 wurde G. im Polizeigebäude an der Ettstraße von SS-Männern nach dem Zeugnis eines Mithäftlings „beinahe totgeschlagen“. Man wollte die Namen von „Komplizen“ erpressen. Nach fürchterlichen Schlägen wurde Gerlich aufgefordert, sich selbst zu erschießen. Darauf antwortete er: „Ich weigere mich, mich selbst zu erschießen. Ich bin Katholik.“ Er kniete nieder und begann zu beten. Betend erwartete er den Todesschuß. Die tiefe Gläubigkeit blieb auf seine Peiniger nicht ohne Eindruck. Sie wagten die Ermordung nicht – noch nicht. Als Gerlich seine Zelle erreichte, war er über und über blutig. Noch waren nicht alle rechtsstaatlichen Hilfen in Deutschland ausgeschaltet. Einige Freunde konnten den Inhaftierten sogar kurz besuchen. Fürst Erich von Waldburg zu Zeil riet ihm bei seinem letzten Besuch Mitte Juni 1934, sich endlich an seinem Bruchleiden operieren zu lassen. Gerlich ging aber darauf nicht ein und bat stattdessen seine Frau, dem Fürsten zwei Bücher zu schenken. Ihre Titel lauteten: „Das Leiden im Weltplan“ und „Die Kirche der Märtyrer“: Gerlich wußte bereits, daß er den „geraden Weg“ bis zum Ende gehen würde. Mithäftlinge lernten ihn näher kennen und hochschätzen. Sie bewunderten seine Gelassenheit und seine tiefe Gläubigkeit. Gewöhnlich am Mittwoch konnte der Gefängnisseelsorger, P. Sigisbert Greinwald aus dem Kapuzinerkloster St. Anton in München, den Häftling besuchen, ihm die heilige Kommunion reichen und sich etwa eine Stunde mit ihm unterhalten. Der Pater hielt in seinem Jahresbericht fest, daß Gerlich auch einige andere Häftlinge zum Sakramentenempfang veranlaßt habe, und bei drei Häftlingen konnte er „Rückkehr in die katholische Kirche“ vermerken. Ende Juni 1934 kam Gerlich noch mit seinem Zellennachbarn Alfons Beer in nähere Verbindung. Der Katechet Beer hatte sich mit etwa zehn Jugendlichen der Pfarrei Heilig-Kreuz von München-Giesing auf einer Lichtung des nahen Perlacher Forstes getroffen, weil ihre Versammlungen in der Pfarrei bereits nicht mehr möglich waren. Irgendjemand hatte die Gruppe verraten. Plötzlich war ein Trupp SA-Männer aufgetaucht und hatte die Jugendlichen mit ihrem Kaplan festgenommen. Gerlich und Beer erzählten sich im Gefängnis gegenseitig ihre Geschichte. Alfons Beer wurde später Pfarrer der Münchener Pfarrei Königin des Friedens; er berichtete, die Begegnung mit Gerlich habe ihm mehr gegeben als der Tag seiner Priesterweihe.
Im Rahmen der Mordaktionen um den sog. Röhm-Putsch wurde Gerlich am 30. Juni 1934 kurz vor Mitternacht in einem PKW der Politischen Polizei (Gestapo) abgeholt und in das KZ Dachau gebracht. Das Auto kam dort nach Mitternacht an. Noch in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 wurde G. im KZ erschossen. Die Morde dieser Tage wurden bereits am 3. Juli 1934 als „Staatsnotwehr“ nachträglich für „rechtens“ erklärt.
Gerlichs Frau erhielt auf ihre Frage nach dem Leichnam ihres Gatten die Nachricht, sie könne die Urne – gegen Bezahlung der Verbrennungskosten – haben. Darauf hat Sophie Gerlich verzichtet. Gerlichs goldene Uhr und das goldene Kreuz, das er trug, blieben verschwunden. Am 28. Juli 1934 wurde in der Pfarr- und Abteikirche St. Bonifaz in München ein Trauergottesdienst gehalten. Auf dem Sterbebildchen mußte entgegen der Wahrheit mitgeteilt werden, Gerlich sei in München verstorben. Das Seligsprechungsverfahren wurde am 16. Dezember 2017 in München eröffnet.
Text: Georg Schwaiger
(sig)