Zuwendung und Werte machen Kinder zu Persönlichkeiten - 1100 Teilnehmer bei der Kita-Fachtagung in Essenbach wollten wissen, wie Eltern und Kinder heute „ticken“
Jede Kindertageseinrichtung ist eine lebendige Gemeinschaft. Jedes Kind ist anders – und besonders. Erzieherinnen, Erzieher, Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger erleben das Tag für Tag und brauchen dafür immer wieder neue Ideen und Konzepte. Der Diözesan-Caritasverband Regensburg lud auch deshalb zur großen Fachtagung in die ESKARA Arena nach Essenbach.
Mehr als 1100 Fachleute aus der Kindererziehung sind zur großen Kita-Fachtagung der Caritas Regensburg nach Essenbach gekommen. „Treffpunkt Kita – über das Leben und den Glauben heute“, so lautete der Titel der Veranstaltung, die die Caritas-Fachberatung für Kindertageseinrichtungen in regelmäßigen Abständen organisiert. Erzieherinnen, Kinderpflegerinnen und andere Fachleute setzten sich einen Tag intensiv mit dem eigenen Beruf auseinander. Hauptreferenten waren Professor Dr. Carsten Wippermann von der Katholischen Stiftungshochschule München („So ticken Familien – die Sozialforschung und die Eltern“) und Professor Dr. Joachim Bauer von der Universität Freiburg („So tickt das Gehirn – die Neurowissenschaft und das Kleinkindalter“). Es wurde im Verlauf der Tagung schnell deutlich: Die Anforderungen an Erzieherinnen und Erzieher verändern sich rasant und werden komplexer.
Kind sein dürfen
Das Thema Flucht stand bei der Begrüßung der Teilnehmer durch Diözesan-Caritasdirektor Dr. Roland Batz im Fokus. „Es ist eine urchristliche Pflicht, anderen Menschen – welcher Herkunft auch immer – zu helfen. Das lebe die Kirche Tag für Tag, besonders in ihren Kindertageseinrichtungen“, sagte Batz. Er sieht die Kindertageseinrichtungen nicht nur als „familienergänzende Einrichtung“. Sie seien heute in einer „Bildungs- und Erziehungspartnerschaft“ mit den Eltern fest verwurzelt. „Wir sind Wegbegleiter der Eltern und Familien, so wie Gott und Jesus Christus unser aller Wegbegleiter sind. Wir verlassen uns gegenseitig aufeinander, nur so kann Vertrauen entstehen“, so Batz weiter. Auch der Glaube könne da neue Impulse geben.
Unterschiedliche Lebenswelten
In seinem Hauptvortrag stellte Dr. Carsten Wippermann den sozialen Wandel und die vielfältigen Lebenswelten der Menschen heute dar. Wippermann ist Professor für Soziologie an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München. Er ist Gründer und Leiter des DELTA-Instituts für Sozial- und Ökologieforschung GmbH in Penzberg. Sein Gesellschafts- und Zielgruppenmodell der „DELTA-Milieus“ unterscheidet neun verschiedene Milieus: die Traditionellen, die Konservativen, die Etablierten, die Bürgerliche Mitte, die Benachteiligten, die Postmateriellen, die Performer, die Expeditiven und die Hedonisten. In der Kindertageseinrichtung habe man es mit ganz vielen unterschiedlichen Familien zu tun. „Als Erzieherin oder Erzieher muss man sich zunächst mit den Wünschen und den Lebenswelten der Familien auseinandersetzen, sie erst mal registrieren und anerkennen“, sagte Professor Wippermann. Wenn man weiß, wie Familien ticken, sei der Weg zur Kooperation mit den Eltern leichter zu erreichen.
Zuwendung bildet Persönlichkeit
Professor Bauer thematisierte danach die Gehirnentwicklung des Kindes in den ersten drei Lebensjahren. Die Aussage, es liege viel in den Genen und sei deshalb nicht beeinflussbar, stimme nicht mehr. Denn: „Jedes Gen kann aktiviert oder deaktiviert werden“, so Bauer. Dies geschehe zu allererst dadurch, dass die Bezugsperson im Hinblick auf die Aktivitäten des Kindes immer wieder feinfühlige und emotional positive Rückmeldungen gibt. „Unser Gehirn macht aus Psychologie Biologie“, so Bauer. Beziehungen, die wir mit den Kindern haben, schlagen auf die Biologie des Körpers durch. Vernachlässigung und Stress aktivieren die Stressgene, Zuwendung und sichere Bindungen aktivieren die Gene von Nervenwachstumsfaktoren. Und auch das Nachahmungsverhalten fördert die Gehirnentwicklung: „Wenn das Kind eine Handlung beobachtet, werden verschiedene Gehirnregionen aktiviert; genauso viele, wie wenn das Kind die Handlung selbst ausführen würde“, erläuterte der prominente Gehirnforscher. Wenn ein Kind beispielsweise einen Gitarrenspieler nur beobachtet, ahmt es sein Verhalten nach, die sogenannten Spiegelneuronen werden aktiviert. Kinder stellen sich flexibel auf Situationen ein, sind spontan und erwarten eine sofortige Rückmeldung auf ihre Handlungen. „Kinder ziehen neue Dinge wie Schwämme an. Deshalb sind eine Förderung und vor allem die Zuwendung zu Kindern enorm wichtig“, riet Professor Bauer. Eine besonders sensible Phase in der Entwicklung des Kindes seien die ersten 24 Monate. Da könne viel „schief gehen“. Deshalb brauche man für die Betreuung der Kinder dieses Alters eine intensive Förderung. Bauer fordert deshalb in Kinderkrippen einen Betreuungsschlüssel von 1:3. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zum Betreuungsverhältnis in Kitas bekräftige dies. Die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg kommen im deutschen Vergleich dieser Forderung am nächsten. Und auch eine weitere Botschaft Bauers ließ aufhorchen: In Kindertageseinrichtungen müssten Werte wie „Warten und Teilen können“ vermittelt werden. Würden den Kindern solche Werte nicht beigebracht, werden sie später auch nicht teamfähig und haben Nachteile im Beruf.
Große Bandbreite an Workshops
Neben Fachvorträgen fanden in Essenbach sechs Workshops statt. Diese drehten sich um Themen wie Religion, Umwelt, Sport, Musik und Integration im Kindergarten. Auch die Flüchtlingsthematik wurde auf der Caritas-Kita-Fachtagung behandelt. Eden Iyob, gebürtige Eritreerin und Leiterin einer Kindertageseinrichtung in München, kam selbst einst als Flüchtling nach Deutschland. Heute unterstützt sie Familien verschiedener Herkunft bei ihrer Integration in die Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk ihrer Arbeit liegt dabei auf der Unterstützung traumatisierter Flüchtlingskinder.
Teilnehmer aus Oberpfalz und Niederbayern
Die Fachtagung für Kindertageseinrichtungen findet alle zwei bis drei Jahre statt und ist regelmäßig ausverkauft. Die Veranstaltung richtet sich zunächst an alle katholischen Kindertageseinrichtungen in der Diözese Regensburg (Oberpfalz und weite Teile Niederbayerns). Auch Teilnehmerinnen von Einrichtungen anderer Träger sind aber gern gesehen. Viele Ehrengäste aus dem Bereich der Fachaufsicht, von kirchlichen und kommunalen Behörden, aus Politik und Verbänden, aus dem Aus-, Fort- und Weiterbildungsbereich nutzen die Tagung, um Kontakte zu pflegen und am Puls der Zeit zu bleiben.
Zusatz-Info Kindertageseinrichtungen in der Diözese Regensburg
In der Diözese Regensburg gibt es rund 400 katholische Kindertageseinrichtungen. Etwa 3400 pädagogische Fachkräfte betreuen, bilden und erziehen darin täglich mehr als 32.000 Kinder. Die Caritas bietet den Kindertageseinrichtungen neben der fachlichen Beratung jährlich auch ein Fortbildungsprogramm mit über 180 verschiedenen Angeboten. Infos dazu auf <link http: www.caritas-regensburg.de _blank external-link-new-window>www.caritas-regensburg.de.