News Bild „Wir dürfen uns einlassen auf das Geheimnis der rettenden Ankunft Gottes“

„Wir dürfen uns einlassen auf das Geheimnis der rettenden Ankunft Gottes“

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(pdr) Bischof Gerhard Ludwig Müller hat am Hochfest der Geburt unseres Herrn über das Geheimnis der Menschwerdung Christi auf Erden gepredigt. Im folgenden die Predigt im Wortlaut:

In der Messe der Heiligen Nacht rührt uns die Botschaft von der Geburt des Retterkindes ans Herz. Während der Messe am frühen Morgen bewegt uns das Evangelium von den Hirten, die zur Krippe von Bethlehem eilen im Gemüt. Jetzt aber in der Helle der dritten Weihnachtsmesse appelliert das Evangelium von der Fleischwerdung des göttlichen Wortes an unsere Vernunft. Mit der ganzen Tiefe und Kraft, zu der menschlicher Verstand fähig ist, dürfen wir uns einlassen auf das Geheimnis der rettenden Ankunft Gottes bei uns Menschen. Es sind die Menschen, die ganz rational und nüchtern feststellen, dass nur Gott uns aus dem Elend von Sünde und Tod erretten kann.

Manche wenden nun unwillig ein: Warum werden wir denn gerade an einem solch hohen Feiertag aufgefordert, uns auf so schwierige Gedankengänge einzulassen? Warum genügt es nicht zu sagen: Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Er wird die Menschheit zu einem besseren Leben hinführen? Warum sollen wir das begreifen als die Menschwerdung des Sohnes Gottes? Wie ist es denn überhaupt zu verstehen, dass Gott einen Sohn habe? Bringt uns das nicht in einen Gegensatz zu den Muslimen, welche die Gottessohnschaft Christi absolut ablehnen und dennoch Jesus hochschätzen als einen Propheten? Ist die Botschaft von der Menschwerdung Gottes, eben der Inkarnation des gottgleichen WORTES und Sohnes, verbunden mit der Dreifaltigkeit – der Lehre der Trinität des einen Gottes in den Personen von Vater, Sohn und Geist – nicht eine Lehre, die für die meisten Christen, die nicht Theologie studiert haben, ohnehin viel zu schwer ist?

Trotz dieser immer wiederkehrenden Einwände und emotionalen Widerstände gegen die Botschaft von der wahren Menschwerdung Gottes in Jesus Christus lohnt es, sich mit der ganzen Kraft der menschlichen Vernunft klar zu werden, dass wir es hier nicht mit einem bloßen Gedankengebilde zu tun haben, sondern mit der Wirklichkeit und Tatsächlichkeit der Erlösung des Menschen. Papst Leo der Große (+ 461) hat in einer Weihnachtspredigt den Gewinn dieser Anstrengung des Denkens genannt: „Christ, erkenne deine Würde!“ Hier liegt der eigentliche Grund, weshalb eine ideologische Richtung der Gegenwart den christlichen Glauben reduzieren will auf mythische, gemütvolle Erzählungen, die uns ein wenig trösten, aber nicht wirklich aufbauen können.

Wenn mir Gott aber wirklich in seiner Menschwerdung so nahe kommt, dann kann ich mich nicht länger suhlen in müdem Nihilismus. Dann kann ich mir nicht vorsagen oder einreden lassen, dass ich nur der flüchtige Hauch einer anteillosen Materie bin, die evolutiv mit sich selbst spielt und all ihre Produkte wieder einschmilzt, um von neuem mit der endlosen Abfolge von Leben und Tod zu beginnen.
So vertritt es ein Bestsellerautor, der als Biologe anerkannt sein mag, doch als Philosoph ein Banause bleibt. In seinem Buch „Gotteswahn“ stellt er alle Gottgläubigen als Geisteskranke hin. Er meint wieder einmal, wie schon viele Materialisten seit dem 17. Jahrhundert beweisen zu können, dass der menschliche Geist nicht fähig sei, über die Grenzen der materiellen Erscheinungen hinaus nach dem Grund von Sein überhaupt und nach dem Sinn der menschlichen Existenz als Person, als Geist- und Kulturwesen zu fragen. Was bleibt da noch von der Würde des Menschen? Als einziges Regulativ menschlichen Zusammenlebens zeichnet sich dann am Horizont wieder das verheerende Prinzip des Rechtes des Stärkeren ab. Recht und Würde des Menschen von Anbeginn seiner embryonalen Existenz bleibt auf der Strecke, wenn er für die Interessen der Forschung und des wirtschaftlichen Gewinns verbraucht werden darf.

Die unantastbare Würde des Menschen ist darin begründet, dass er von einem personalen Schöpfergott berufen ist zur Liebe. Der Mensch existiert aus Liebe und wegen der Liebe, die ihn vollendet.

Darum hat Gott selbst auch unser Menschsein angenommen, um uns als Liebe ganz nahe zu sein. Gottes ewiges Wort, das der Sohn in Unterschiedenheit und Einheit mit dem Vater selber ist als der eine Gott, nimmt unser Fleisch an. Gemeint ist mit „Fleisch“ unsere geschöpfliche, irdische, der Sünde und dem Tod verfalle Seinsweise.

Das alles ist logisch und vernünftig. Freilich im Sinne des göttlichen Denkens und Wortes. Wir müssen erst durch Gottes Geist wieder zu Vernunft kommen. Der Geist erleuchtet unsere Herzen, damit wir verstehen, zu welcher Hoffnung wir berufen sind.

Alles ist durch das Wort und die göttliche Vernunft geworden, und darum ist das Sein der Menschen in Geist und Vernunft offen auf Gott hin. Aber wenn wir unsere, an der Welt genommen Maßstäbe auf Gott anwenden und ihn damit eingrenzen wollen in unseren geschaffenen Verstand, dann verrätselt sich alles. Dann können Menschen wütend werden auf Gott. Dann halten sie die Vernunft Gottes, der in die Niedrigkeit des Sklavendaseins der Kreatur eintritt und sich wegen unserer Sünden am Kreuz brutal abschlachten lässt, für eine Torheit derer, die an Gott glauben. Dann halten sie sich für berechtigt, die Christen zu verachten oder gar zu verfolgen.

Obwohl die Welt durch das Wort Gottes geworden war, erkannte die Welt ihn nicht. Obwohl wir als seine geliebten Geschöpfe zu ihm gehören, nehmen wir ihn nicht auf, schlagen wir ihm die Türe vor der Nase zu, geben wir ihm keine Herberge in unseren Herzen. Es liegt an uns, ob wir ihm die Pforten unseres Denkens, Fühlens und Wollens auftun. Wenn wir ihn aufnehmen, dann gibt er uns das schönste Weihnachtsgeschenk, das wir uns wünschen können: Er gibt uns die Macht, Kinder Gottes zu werden.

Er, der von Maria als Mensch geboren wird, macht es, dass alle, die an seinen Namen glauben, „aus Gott geboren sind“ (Joh 1,13). Jetzt ist unsere Würde wiederhergestellt. Nicht ein Wunschdenken, sondern ein Wirklichkeitsden-ken kann sich vergewissern, wer wir sind, woher wir kommen, was wir während unserer Erdenzeit tun sollen und welche Hoffnung uns geschenkt wurde für jetzt und für alle Ewigkeit.

In der Helle des Lichtes am ersten Weihnachtstag, das jeden Menschen erleuchtet, erkennen wir: Die Menschwerdung Gottes ist eine geschichtliche Tatsache und keine Einbildung oder gar bigotte Selbsttäuschung. Das ist die Würde unserer geschaffenen Vernunft: Wir sind er-leuchtet vom Geist Gottes und können so den Grund benennen, der Gott und Welt zusammenhält, der Zeit und Ewigkeit unlösbar verbindet:

„Und das WORT ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14).



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