News Bild Was nicht des Staates ist - Die Homosexuellenehe wäre ungerecht

Was nicht des Staates ist - Die Homosexuellenehe wäre ungerecht

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Von Robert Spaemann

Regierung und Mehrheit des Deutschen Bundestages haben die Absicht, nichteheliche Weisen der Zusammengehörigkeit und des Zusammenlebens von Personen gesetzlich zur Kenntnis zu nehmen und mit einer Reihe von Privilegien auszustatten, die bisher der Ehe vorbehalten waren. Ob diese Absicht im Interesse des Gemeinwohls liegt, ist eine strittige Frage und wird es wohl bleiben, weil es keine unstrittige Definition des Gemeinwohls gibt. Daraus folgt übrigens nicht, dass "Gemeinwohl" bloß eine Propagandavokabel ist und dass, wer "Gemeinwohl" sagt, betrügen will. Wo etwas strittig ist, wird vorausgesetzt, dass es richtigere und falschere Ansichten gibt. Andernfalls würde man nicht streiten, sondern die eigene Ansicht ohne weitere Umstände durchsetzen, wenn man die Macht dazu hat.

Weniger strittig als die Ansichten über das Gemeinwohl ist der Wortlaut unserer Verfassung. Sie stellt Ehe und Familie "unter den besonderen Schutz der staatlichen Gemeinschaft". Es ist klar, dass eine zu große Annäherung der Privilegierung nichtehelicher Lebensgemeinschaften an die der Ehe bedeuten würde, dass der Schutz der Ehe nicht mehr ein "besonderer" und diese Privilegierung daher verfassungswidrig wäre. Dies dadurch zu umgehen, dass man Ehe einfach umdefiniert, wäre ein undiskutabler Trick. Die gesamte Verfassung wäre das Papier nicht wert, auf das sie geschrieben ist, wenn man den in ihr verwendeten Begriffen einfach nach Belieben eine andere Bedeutung geben dürfte als die übliche und als diejenige, die der Verfassungsgeber mit diesen Worten verband. Und dass er mit dem Wort "Ehe" eine auf Lebenszeit hin angelegte Gemeinschaft "von Tisch und Bett" zweier erwachsener Personen verschiedenen Geschlechts meinte, ist wohl unbestreitbar.

Auch der Grund der Privilegierung der Ehe liegt auf der Hand, obgleich die Väter des Grundgesetzes, im Unterschied zur Weimarer Reichsverfassung, ihn nicht ausdrücklich genannt haben. Indirekt haben sie ihn wohl erwähnt, da sie in einem Atemzug mit der Ehe die Familie nennen. Ehen haben es an sich, sich zu Familien zu entwickeln, wenn die Ehepartner dies nicht absichtlich verhindern. Und durch Ehen fundierte Familien sind zwar nicht die einzig mögliche, aber in der Regel die bestmögliche Voraussetzung für das Heranwachsen von Kindern. Dass es kinderlose Ehen und dass es gescheiterte Ehen gibt, ändert daran nichts. Es wird allerdings zu einem politisch relevanten Faktum, wenn die Ausnahmen dahin tendieren, zur Regel zu werden. Die Forderung, Sozial- und Familienpolitik sollten diesem Trend entgegenwirken, stößt oft auf Ablehnung mit dem Argument, es könne nicht Aufgabe des Staates sein, gesellschaftliche Trends zu beeinflussen. Das ist sicher falsch. Und darüber hinaus ist es unehrlich. Diejenigen, die das behaupten, fordern nämlich in anderen Zusammenhängen durchaus antipopulistischen Widerstand und Propaganda des Staates gegen Tendenzen, die der Verfassung zuwiderlaufen.

Soweit die verfassungsmäßige Privilegierung der Ehe nicht gefährdet wird, liegt es im Ermessen des Gesetzgebers, dem Wunsch nicht miteinander verheirateter Menschen zu entsprechen, die eine spezifische und exklusive Solidargemeinschaft rechtlich anerkannt sehen möchten. Was allerdings nicht im Ermessen des Gesetzgebers liegt, sondern offenkundig dem Gleichheitssatz widerspricht, ist die Absicht, bei dieser Anerkennung eine sexuelle Diskriminierung einzuführen, die mit der hier zu regelnden Materie objektiv nichts zu tun hat. Ausgeschlossen werden sollen nach den bisherigen Plänen Personen verschiedenen Geschlechts sowie miteinander eng verwandte Personen. Ferner soll es sich immer nur um Zweiergemeinschaften handeln, obgleich es keinen einsichtigen Grund dafür gibt, Lebensgemeinschaften von drei Menschen eine solche Anerkennung zu verweigern. 

Dahinter steht offenkundig und auch erklärtermaßen der Wille, nur solche Menschen zu privilegieren, die eine gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehung miteinander haben. Genau dies aber entbehrt jeder einsichtigen Begründung. Die Abschaffung der Strafdrohung für homosexuelle Beziehungen ebenso wie die Abschaffung des Kuppeleiparagraphen wurde seinerzeit damit begründet, dass der Staat sich nicht in Intimbeziehungen und ins Schlafzimmer einzumischen habe. Das Schlafzimmer hat den liberalen Staat nur insoweit zu interessieren, als es der potentielle Ort für die Weitergabe menschlichen Lebens und also der Reproduktion des Menschengeschlechts ist. Darüber hinaus muss der Staat die Intimsphäre schützen, also Vergewaltigung bestrafen und eine Schädigung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen verhindern. Dazu gehört übrigens auch, dass das Wohl des Kindes und nicht das Interesse von Erwachsenen darüber zu entscheiden hat, in welche Gemeinschaften Kinder zur Adoption freigegeben werden.

Im Übrigen aber sind sexuelle Beziehungen kein Gesichtspunkt für die Privilegierung einer exklusiven Lebensgemeinschaft. Zwar sollen solche Beziehungen nach den vorliegenden Plänen nicht ausdrücklich beim Namen genannt werden. Aber wenn es nicht um diese und nicht nur um diese ginge, warum soll es dann keine solche anerkannte Lebensgemeinschaft zwischen einem Bruder und seiner Schwester geben - solche Gemeinschaften gibt es doch -, zwischen der Mutter und einem Sohn, zwischen dem Vater und einer Tochter? Oder zwischen Großeltern und Enkel? Oder was ist mit kleinen Lebensgemeinschaften von Menschen, die zölibatär lebend durch religiöse Gelübde miteinander verbunden sind? Warum sollen sie von der Privilegierung ausgenommen sein, nur weil sie nicht schwul oder lesbisch sind und weil sie vielleicht zu dritt statt zu zweit leben?

Natürlich werden, wenn das Gesetz verabschiedet wird, zahlreiche Paare ohne sexuelle Beziehungen sich aus pragmatischen Gründen aufs Standesamt begeben. Aber der ganze Kontext der geplanten Regelungen macht es unvermeidlich, dass die beiden Personen sich als homosexuelles Paar präsentieren müssen. Und das kann eine unwürdige Situation sein, für Menschen etwa in den oben genannten Lebensverhältnissen.

In Frankreich gab es großen Widerstand der Homosexuellenverbände gegen eine liberale Ausweitung des gesetzlichen "Solidarpaktes". Man wollte die Exklusivität der Ehe so weit als möglich nun selbst in Anspruch nehmen und so zu einer gesellschaftlichen Aufwertung der homosexuellen Beziehung kommen - ganz im Gegensatz übrigens zu großen Gestalten der Vergangenheit und Gegenwart, denen eine eheähnliche Institutionalisierung ihrer homosexuellen Beziehungen ein Gräuel wäre und gewesen wäre. Den Staat hat dieser Wunsch nicht zu interessieren, weil ihn sexuelle Beziehungen nur unter den oben genannten Aspekten zu interessieren haben. Wenn er einen Teil der Privilegien der ehelichen Gemeinschaft auf andere Gemeinschaften ausweiten will, dann darf er das nicht, offen oder implizit, an sexuelle Bedingungen knüpfen, also an Bedingungen, die erkennen lassen, dass es um sexuell fundierte Partnerschaften geht. Maßgebend für die gesetzliche Anerkennung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann und darf nur der erklärte Wille befreundeter Menschen sein, auf Dauer miteinander zu leben und die dafür vorgesehenen gesetzlichen Privilegien in Anspruch zu nehmen. Jede Einschränkung dieses Personenkreises durch Kriterien des Geschlechts oder der Verwandtschaft wäre sexuelle Diskriminierung.

 

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Quelle: 14.03.2000, F.A.Z., Feuilleton (Feuilleton), Seite 49 - Ausgabe D1, D1N, D2, D3, R1 - Autor: Robert Spaemann. 




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