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Was der Mord an Matthias Erzberger mit der Hyperinflation 1923 zu tun hat

Katholischer Glaube und Kompetenz in einer Person

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Buttenhausen, 8. März 2023

Wir spüren die Geldentwertung im Geldbeutel. Aufgrund der Erfahrung der Hyperinflation vor 100 Jahren ist die Sorge insbesondere im Deutschland unserer Tage vor einer erneuten massiven Geldentwertung groß. Jetzt ist daran zu erinnern, wie der katholische Reichsfinanzminister Matthias Erzberger ab 1919 mit Kompetenz und Übersicht die finanziellen Verhältnisse des besiegten Deutschen Reichs erneut auf die Beine stellte, sodass es nach seiner Steuerreform in den Jahren 1920/21 sogar zu einem kurzen Aufschwung kommen konnte. Im August 1921 aber wurde der nicht nur überzeugte, sondern glühende Katholik und Zentrumspolitiker aus Württemberg von skrupellosen Nationalisten ermordet. Der Mord ließ das Vertrauen in die deutsche Finanzpolitik zerbröseln und beschleunigte die Inflation in Richtung der Hyperinflation. Erzberger stammte aus Buttenhausen in Württemberg. Das erste Bild unterhalb dieses Textes ist eine Aufnahme des historischen Matthias Erzberger (Bundesarchiv).

Zu unserer Erinnerung als Deutsche gehört die Angst vor der Inflation. Es ist nicht verwunderlich, dass kürzlich erst eine ganze Anzahl an Publikationen zu dem Jahr 1923 das Licht der Welt erblickt hat, die sich nicht zuletzt mit der Inflation oder, viel fürchterlicher noch, mit der Hyperinflation befassen. Immer wieder und an zentraler Stelle wird in den Büchern Leben und Wirken des mutigen und überzeugten sowie menschlichen Katholiken Matthias Erzberger, Mitglieds der Partei des katholischen Zentrums, hingewiesen. Zu der Vielzahl der Bände gehören unter anderem:

-Stocker, Franz: Die Inflation von 1923. Wie es zur größten deutschen Geldkatastrophe kam, München 2022, 367 Seiten, 27 Euro, ISBN 978-3-95972-5-644; siehe insbesondere S. 33-36: „Der kurze Aufschwung“, und S. 58-62: „Der Mord an Matthias Erzberger. August 1921“.

-Jones, Mark: 1923. Ein deutsches Trauma, Propyläen, Berlin 1922, 384 Seiten, 26 Euro, 978-3-549-10030-1. Der Band wurde aus dem Englischen übersetzt; zu M. Erzberger siehe insbesondere S. 37.

Die Situation, in der Erzberger wirkte, war die folgende: Die Inflationsspirale, die zur Hyperinflation im Jahre 1923 führte, begann bereits während des Ersten Weltkriegs. Ein Krieg kostet viel Geld. Waffen, Munition, Soldaten, Verpflegung, Transport und Logistik, all das muss finanziert werden. Die Mittel, die das Deutsche Reich bei Kriegsbeginn zur Verfügung hatte, hätten nicht für eine Auseinandersetzung gereicht, die vier Jahre lang dauerte. So wurde die Kriegsführung wirtschaftlich zu einer Wette auf einen Sieg. In diesem Fall hätte sich das Deutsche Reich bei den unterlegenen Gegnern bedient und so die Kosten des Krieges eingebracht. Es kam aber anders. Die Kosten zahlte der tatsächlich unterlegene Gegner, hauptsächlich das Deutsche Reich, wie es im Versailler Friedensvertrag festgeschrieben wurde.

Zu der Situation gehört ebenfalls: Zu Beginn der 1920er Jahre hatte das Deutsche Reich nicht nur bei den Siegermächten enorme Schulden zu bedienen, sondern auch bei der eigenen Bevölkerung, die während des Krieges viele Millionen Mark in Kriegsanleihen investiert hatte. Zur Schuldenrückzahlung hinzu kam die Verpflichtung der Regierung gegenüber Witwen, Waisen und Kriegsinvaliden.

Auf ausdrücklichen Wunsch von Paul von Hindenburg

Matthias Erzberger war ein besonderer Politiker der frühen Weimarer Republik, der überzeugte Katholik wurde aber bereits im Sommer 1921 von Nationalisten erschossen. Franz Stocker schreibt über Erzberger: „Im Oktober 1918 wurde er in die Regierung berufen, und auf ausdrücklichen Wunsch von Paul von Hindenburg, der die Oberste Heeresleitung führte, unterzeichnete er am 11. November 1918 den Waffenstillstand von Compiègne. Das machte ihn fortan zum Zielobjekt völkischer und nationalistischer Gruppierungen, die ihn als Volksverräter brandmarkten, wegen dieser Unterschrift – obwohl er im Auftrag der Obersten Heeresleitung gehandelt hatte. Dennoch sollte Erzberger das knapp drei Jahre später das Leben kosten“ (S. 33f.). Bereits 1916 war der Katholik Erzberger für einen Verständigungsfrieden eingetreten.

Am 21. Juni 1919 war Erzberger zum Finanzminister ernannt worden. Eine Woche später wurde der Versailler Vertrag unterzeichnet. Stocker schreibt: „Damit war klar, dass Deutschland schon bald gehörige Summen abverlangt würden.“

Umfangreichste Reform der Steuer- und Finanzgeschichte

Erzberger setzte in wenigen Monate die umfangreichste Reform der deutschen Steuer- und Finanzgeschichte um. Er sprach es aus: „Der Krieg ist der Verwüster der Finanzen.“ Das sagte er in seiner ersten Rede als Reichsfinanzminister vor der Weimarer Nationalversammlung am 8. Juli 1919. Er brachte rasch 16 grundlegende Finanz- und Steuergesetze in einem Jahr durch das Parlament, „krempelte die Finanzverwaltung komplett um, machte sie schlagkräftig und modern und stellte die staatlichen Finanzen auf ein solides Fundament“ (Stocker).

Der Staat brachte immer mehr Geld in Umlauf

Nach dem kurzfristigen Aufschwung 1920/21 drehte sich mit der Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen wegen verspäteter Reparationszahlungen die Spirale der Inflation 1923 aber weiter. Deutschland geriet in den Strudel der dramatischsten Geldentwertung, die das Land und auch die Welt je erleben sollten. Die Fülle der Zahlungsverpflichtungen überfordert den verschuldeten Staat. Er brachte immer mehr Geld in Umlauf, obwohl es für die immer höhere Anzahl an Banknoten keine materiellen Gegenwerte im Land gab.

Dritter Dominostein!

Bereits im August 1921 war der Mord an Erzberger der dritte Dominostein, der umfiel und die Inflation beschleunigt hatte. Zuvor hatten schon der Londoner Zahlungsplan und die US-Zölle negativ gewirkt. Franz Stocker: „Nun kippte die Stimmung endgültig, vor allem am Finanzmarkt, auch und gerade im Ausland.“ Der Mord an Erzberger habe das Vertrauen in die deutsche Währung zerbröseln lassen. Am Freitag, 26. August 1923, dem Tag der Ermordung, kostete der Dollar 82 Mark. Von da an ging es rasant abwärts. Ende September kostete die US-Devise demnach 127 Mark. „Innerhalb eines Monats hatte die deutsche Währung ein Drittel ihres Wertes eingebüßt.“ Der Mord an Matthias Erzberger war der entscheidende Schub für den neuerlichen Absturz der Mark. Die eigentlichen Gründe lagen in der außenwirtschaftlichen Lage, die sich durch die neuen Zollschranken verschlechtert hatte (Es kamen weniger Devisen ins Land, was den Wert der Mark weiter unter Druck setzte). Schlimm wirkten außerdem die Reparationszahlungen.

Wenige katholische Familien im Ort

Erzberger war im württembergischen Buttenhausen geboren. Familie Erzberger gehörte zu den wenigen katholischen Familien im Ort. Matthias war das älteste von sechs Kindern. Er besuchte die katholische Volksschule und studierte am katholischen Lehrerseminar in Saulgau, wo er 1894 die Volksschullehrerprüfung als Bester seines Jahrgangs ablegte. Er wurde zum überzeugten, ja glühenden Katholiken erzogen, was all sein weiteres Handeln bestimmte. Seine religiösen Anschauungen waren die zentralen Leitgedanken in seinem gesamten politischen Denken und Handeln.

Tochter im Karmel in Echt in den Niederlanden

Wenige Monate vor der Ermordung Erzbergers trat seine Tochter Maria 1921 in den Karmel von Echt des Karmelitenordens in den Niederlanden ein.

Wie können wir den Katholiken und Politiker Erzberger einordnen? Er hatte sich mit schwäbischer Klugheit und Fleiß rasch zu einem Experten für Militär-, Kolonial- und Finanzpolitik emporgearbeitet. Er gilt als Typus des neuen Politikers, der auf Privilegien, familiäre Beziehungen in der jeweiligen Institution und auf ein verkrustet-unnützes Traditionsverständnis verzichtete. Seine Kompetenz und schwäbische bzw. schwäbelnd-unverblümte Darstellungskunst von Fakten müssen zahlreiche Eliten verdrossen haben. Er war der Mann, zu zeigen, was dem Deutschen Reich durch die Unterdrückung der Katholiken in Bismarcks Zeit abgegangen und verloren gegangen war. Geschickt verband er Realpolitik mit Idealpolitik, indem er katholische Kontakte einsetzte und gleichzeitig die Position des Papsttums unbedingt stärken wollte.

Viel zu wenig wird heute seiner Verdienste gedacht

Viel zu wenig wird heute seiner Verdienste gedacht. Ihn als einflussreichen und kompetenten Katholiken vorzustellen und als Vorbild zu präsentieren, wäre gerade in unserer Zeit eine wichtige Aufgabe. Dass nationalistische Kräfte seinem Leben und Wirken ein brutales Ende setzten, ist nicht nur eine Tragik, sondern Ausdruck von Kräften „aus der Tiefe“. Es gibt derzeit keine beeindruckendere Darstellung des humanen Wirkens Erzbergers als sein Einsatz bei den Waffenstillstandsverhandlungen zum Ende des Ersten Weltkriegs in dem kürzlich veröffentlichten Streifen „Im Westen nichts Neues“, der heute, Mittwoch, 8. März 2023, für neun Oscars nominiert wurde. Daniel Brühl spielt darin empathisch einen M. Erzberger, der bei den ebenso nationalistisch verblendeten Vertretern der französischen Armee auf taube Ohren stößt, als es um einen Waffenstillstand geht (siehe dazu das große Bild oben).

Auch Staatsmann Rathenau von Nationalisten ermordet

Schlimm: Bald nach Erzbergers Ermordung wurde auch der jüdische deutsche Staatsmann Walther Rathenau, der Deutschland genauso aus der Tiefe führen wollte, von Nationalisten ermordet. Neben Karl Liebknecht, der bis 1916 als Reichstagsabgeordneter der SPD wirkte, ist Erzberger der einzige bekannte deutsche Politiker, der sich darum bemühte, den Völkermord an den Armeniern, die Verfolgung der Griechen und den Völkermord an den Aramäern im Osmanischen Reich zu stoppen. Er reiste unter anderem 1916 nach Konstantinopel zu Verhandlungen mit den mit Deutschland verbündeten jungtürkischen Machthabern des Osmanischen Reichs, traf am 10. Februar 1916 Enver Pascha und Talât Pascha und fertigte auf deren Wunsch eine Denkschrift über Maßnahmen zu Gunsten der Christen in der Türkei an. Sie bezog sich auf die katholischen Armenier, wurde aber von der osmanischen Regierung nie berücksichtigt.

Antisemiten machten aus Erzberger Herzberger

Matthias Erzbergers eigengewirkter Aufstieg und Erfolg, sein finanzpolitisches Geschick und Können sowie sein fester katholischer Glaube sollten uns gerade 100 Jahre nach der katastrophalen Inflation stolz sein lassen, dass er den Mut hatte, die massiven (in diesem Falle: finanzpolitischen) Probleme anzugehen und dabei nicht nur seinen katholischen Glauben zu bewahren, sondern menschlich zu sein und den Glauben zur Grundlage all seines Handelns zu machen. Betrüblich stimmen dabei die ideologischen Kräfte, die bereits anfänglich in den Abgrund führten. Mark Jones schreibt dazu: „Es spielte keine Rolle, ob Erzberger Katholik oder Jude war. Die Männer, die ihn ermordeten, Heinrich Schulz und Heinrich Tillessen, waren beide fanatische Antisemiten. Tillessen war überzeugt, dass Erzberger heimlich Jude sei und eigentlich ,Herzberger‘ heiße. Zu dieser Überzeugung gelangte er durch die Lektüre der antisemitischen Publikationen des rechtsradikalen Hammer Verlags, einer der schlimmsten Echokammern der frühen Zwanzigerjahre“ (37f.).

Text: Prof. Dr. Veit Neumann,

Bilder: Netflix, Bundesarchiv, Bild 146-1989-072-16 / Kerbs, Diethart / CC BY-SA 3.0 DE

https://de.wikipedia.org/wiki/Matthias_Erzberger#/media/Datei:Bundesarchiv_Bild_146-1989-072-16,_Matthias_Erzberger.jpg

Propyläen, Ullstein Verlag Berlin



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