Regensburg, 29. Dezember 2024
Am Geburtsort Jesu gibt es ein Findelheim, das „La Crèche de Bethléem“ heißt, zu deutsch „Krippe von Betlehem“. Diese „Krippe“ ist ein geschütztes Haus für Säuglinge und Kleinkinder innerhalb des Großkrankenhauses zur Hl. Familie in Betlehem, das vom souveränen Johanniterorden und den Töchtern der Barmherzigkeit – Filles de La Charité – des Hl. Vinzenz von Paul getragen wird.
Die Findelkinder in der Crèche werden teils aus weit entfernten Städten und Dörfern herbeigebracht. Es sind allesamt muslimische Kinder – Opfer einer archaisch anmutenden Gesellschaft, die durch das christliche Ethos hingebungsbereiter Schwestern und der finanziellen Stütze westlicher Spenderinnen und Spender vor dem Tod bewahrt wurden, denen in der „Krippe“ ein Überleben ermöglicht und geschenkt wird. Schwester Denise, die Leiterin der Crèche, stammt aus dem Libanon und gehört der französischen Gemeinschaft der Vinzentinerinnen des Hl Vinzenz von Paul an.
Schwester Denise hat eine große und wichtige Aufgabe in Betlehem. Fast möchte man es nicht glauben, wenn sie sehr ruhig und wie selbstverständlich unglaubliche Geschichten erzählt: „Wir haben drei Sorten von Kindern hier. Die einen Kinder sind Findelkinder, die wir an der Straße finden, unter einem Baum, vor der Türe oder sie rufen aus Nablus oder Jenin an und sagen, wir haben hier ein Kind unter der Bank gefunden, dann gehen wir und holen das Neugeborene zu uns ins Haus.“ Die zweite Gruppe der Kinder komme von Frauen, die schwanger sind außerhalb der Ehe und „außerhalb der Ehre“, womit in dieser archaischen Gesellschaft zumeist ein Inzest umschrieben wird.
Wirklich Inzest? Schwester Denise nickt: „Meist ist das ein Kind von einem Vater, einem Bruder, einem Cousin. Die Frauen kommen und bringen das Kind, ohne dass es jemand außerhalb des engsten Familienkreises weiß. Denn wenn es die Großfamilie erfahren würde, so würden sie die Frau samt Kind umbringen.“ Auch Kinder aus einer außerfamiliären Vergewaltigung werden nach diesen Regularien aufgenommen. Die dritte Sorte von Kindern, so ergänzt Schwester Denise, stamme aus Problemfamilien, wie man sie auch in anderen Ländern und Gesellschaftsstrukturen leider häufiger sieht: „Die Eltern sind Alkoholiker, haben sich zerstritten oder bereits getrennt, sind mit der Erziehung überfordert.“
Mütter häufig selbst noch Kinder
Für Schwester Denise und ihre Mitschwestern ist es ein „ganz großes Problem“, dass viele Frauen, die hierherkommen, selbst noch Kinder sind, 15 oder gar nur 13 Jahre alt: „Sie meinen, sie müssten noch spielen und nicht schwanger sein. Wenn eine Frau mit 17 oder 18 Jahren kommt, können wir oder der Psychologe mit ihr sprechen und die Zusammenhänge erklären. Wenn das Mädchen aber erst 13 Jahre alt ist, wissen wir nicht, wie wir uns vor ihm recht verhalten können.“ Diese Kinder, so Schwester Denise, kommen dabei durchaus nicht nur aus Bethlehem. „Es hat sich herumgesprochen, dass es uns und unsere Einrichtung gibt. So kommen Frauen sogar aus Jenin und geben ihre Kinder bei uns ab. Wenn sie sich das nicht trauen, legen sie sie einfach ab, vor unserem Haus oder vor der Polizeistation.“ Und das sind noch die weniger dramatischen Fälle: „Vor drei Wochen erst haben wir innerhalb weniger Stunden drei Findelkinder gefunden. Eines davon in einem Sack, eines in einem Mülleimer, ein drittes unter einem Baum.“
Häufig lassen auch unglückliche junge Frauen, teils noch im Kindesalter, ihr Kind vorzeitig im Klinikum in Betlehem entbinden. „Die Kinder bleiben bei uns, sie haben keine Eltern, erfahren keine Liebe der Eltern. Wir versuchen den Kindern alles zu geben, was wir ihnen geben können, aber immer bleibt es etwas zu wenig. Denn die Kinder, die zu uns kommen, leben ja noch.“ Andere Kinder finden die Schwestern zu spät: „Sie wurden weggeworfen und nicht gefunden und sind gestorben. Wir schenken denen, die uns lebend erreichen, unsere ganze Liebe. Wir können ihnen natürlich nie echte Elternliebe geben, doch wir tun unser Bestes.“ Nach sechs Jahren in der „Crèche de Bethléem“ wechseln die Kinder in das SOS-Kinderdorf und bleiben dort, bis sie erwachsen sind und eine Ausbildung machen können. Das ist für die Schwestern nicht immer einfach. Aber ihre Aufgabe bleibt. Denn täglich kommen neue Kinder, die ohne diese Krippe im biblischen Symbolort Bethlehem nicht überleben könnten.
Text: Reinhold Then
(sig)