München / Regensburg, 15. Januar 2025
Das Unheil begann im Jahre 2011, mit dem Beginn des Syrienkrieges. Vor Ausbruch der Gewalt waren noch etwa zehn Prozent der syrischen Bevölkerung Christen, das sind rund zwei Millionen Menschen. Die aktuellen Zahlen kennt niemand – schlimm aber sind die Befürchtungen. Schätzungen gehen von verbliebenen 300.000 bis 500.000 aus. Eine Katastrophe.
„Seit Kriegsbeginn 2011 beobachten wir, dass Christen und insbesondere junge Männer in enormem Ausmaß Syrien verlassen haben“, berichtet Pfarrer Peter Fuchs von der internationalen Menschenrechtsorganisation Christian Solidarity International. „Wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, bittere Armut und Angst vor dem unter Assad üblichen achtjährigen Militärdienst haben dazu geführt, dass beinahe jeder irgendwie hoffte, das Land verlassen zu können.“ Die verheerenden Wirtschaftssanktionen des Westens trügen wesentlich dazu bei, dass 90 Prozent der Syrer unter der Armutsgrenze lebten und selbst beim täglichen Bedarf von humanitärer Hilfe abhängig sind.
Seit der Machtübernahme der dschihadistischen Terroristen der Hayat Tahrir al-Sham (HTS) ist, so Fuchs, „auch auf religiöser Ebene eine Bedrohung hinzugekommen“. Zwar versichert Machthaber al-Dscholani, die Rechte der Christen zu respektieren, aber: „Glauben kann daran wohl niemand. Zumal man nicht vergessen hat, welche Gräuel al-Dscholani und seine islamistischen Kämpfer an Christen, Schiiten, Alawiten und deren Städten und Gotteshäusern angerichtet haben. Zudem konnten jetzt die früher üblichen öffentlichen Weihnachtsfeiern mit Prozession und Glockengeläut nicht mehr stattfinden und Berichte von Racheakten und Übergriffen auf Alawiten und Christen, Kirchen und Spirituosengeschäften führen zu großer Angst unter vielen Teilen der syrischen Bevölkerung.“
Dazu kommen aktuelle Meldungen aus dem Bildungsministerium in Damaskus, so Pfarrer Fuchs, „die befürchten lassen, dass Lehrpläne und Schulbücher im Sinne einer salafistischen Lesart des Korans umgeschrieben werden.“ Es sei offensichtlich, dass die nationalistische, aber säkulare Staatsideologie der Baath-Partei, die in Syrien seit 1963 die Macht innehatte, von einem Tag auf den anderen ersetzt wurde, und zwar durch die radikale Ideologie der sunnitischen Muslimbruderschaft. Fuchs warnt: „Diese Ideologie spielt eine wichtige Rolle in den neo-osmanischen Bestrebungen des NATO-Mitglieds Türkei. Sollte sich erweisen, dass die Syrien bisher kennzeichnende Religionsfreiheit eingeschränkt oder ganz aufgegeben wird, werden insbesondere Christen ihre Heimat verlassen, um menschenwürdig leben zu können.“
Die vom heutigen Diktator in Damaskus, Muhammad al-Dscholani, 2011 gegründete al-Nusra-Front hat einen schauerlichen Schlachtruf. Er lautet: „Alawiten ins Grab, Christen nach Beirut!“ Und warum sollte al-Dscholani seinem Schlachtruf gerade jetzt, wo er Handlungsfreiheit hat, untreu werden? Schon der Versuch einer Umsetzung dieser düsteren Drohung wird indessen fatale Auswirkungen auf das Verständnis der Religionen untereinander sowie das friedliche Miteinander in der gesamten Region haben. Pfarrer Fuchs ist mit seiner Prognose zum Resultat der neuen syrischen Machtverhältnisse völlig ohne Illusionen: „Darüber hinaus wird damit eine der ältesten christlichen Kulturen der Welt untergehen.“
Text: Sebastian Sigler