menschen versammeln sich vor straubinger synagoge

Straubing: Gedenkgottesdienst zum 80. Jahrestag des jüdischen Neubeginns

Ein Zaun der Menschlichkeit


Straubing, 20. Mai 2025

Zur Ehre und zum Andenken an die vielen Opfer der Shoah in Deutschland luden die israelitische Kultusgemeinde, die Stadt Straubing und die Gesellschaft für Christlich-Jüdisch Zusammenarbeit am Sonntagnachmittag zu einem Gedenkgottesdienst ein. Vor der Synagoge in der Wittelsbacher Straße – so wie damals vor 80 Jahren, als Mitte Mai 1945 etwa 700 Überlebende der KZ-Außenlager einen der ersten jüdischen Gottesdienste in Deutschland nach der Shoah in Straubing feierten. 

Rund 350 „Freunde aus Stadt und Land“ versammelten sich, um gemeinsam zu beten und zu singen, aber auch um den Worten der verschiedenen Redner zu lauschen. Dekan Johannes Plank, die Prodekane P. Martin Müller und Pfarrer Martin Nissel sowie Vorstandsmitglied Pfarrer Heinrich Weber mit zahlreichen Priestern und Pastoralen Mitarbeitern, mehrere Ordensleute von der katholischen Kirche aus der Stadt Straubing und dem Landkreis Straubing–Bogen nahmen an der Veranstaltung teil. Den Gedenkgottesdienst leitete Rabbiner Mendel Muraiti und Christiane Öttl begleitete die Veranstaltung musikalisch. Muraiti dankte allen, die gekommen waren um zu erinnern und gemeinsam zu beten. Es folgten das Nachmittagsgebet und das Kaddisch, das jüdische Toten- und Trauergebet. Als „Versprechen“ wurde abschließend das Lied „Hatikvah“ gesungen, das viele Juden in den Ghettos „singend, summend oder auch im Herzen“ begleitete. 

Mit einem herzlichen „Schalom“ begrüßte Anna Zisler, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Straubing/Niederbayern, die zahlreichen Gäste und betonte, dass Schalom je nach Gelegenheit bedeute: „Lebe in Frieden“, „Möge es Dir wohlergehen“, „Mögest Du gesund bleiben“, „Mögest Du glücklich sein“ oder auch „Mögest Du lange leben“. Aber vor allem stehe Schalom für Frieden und Wohlergehen. Das hätten sich alle Menschen im Mai 1945 gewünscht – und der Wunsch ist heute ebenso aktuell. An diesem Tag werde an die unzähligen Opfer und die schrecklichen Ereignisse vor über 80 Jahren gedacht. Der erste jüdische Gottesdienst nach dem Krieg wurde vor der Synagoge gefeiert, die von den Nazis entweiht und stark beschädigt worden war. „Es war ein bedeutender Moment der Hoffnung und des Neuanfangs für die jüdische Gemeinschaft, die nach den dunkelsten Zeiten der Geschichte wieder zusammenfand“, so Anna Zisler. Mit einer Schweigeminute wurde der Opfer gedacht. 

Oberbürgermeister Markus Pannermayr empfand es als Wunder, dass die Überlebenden vor 80 Jahren die Kraft fanden, gemeinsam vor der Synagoge Gottesdienst zu feiern. „Sie stellten in diese furchtbare Dunkelheit ein derart strahlendes Licht. Das Böse hatte so vieles zerstört, aber eben am Ende doch nicht gesiegt“ so der Oberbürgermeister. Mit bewegenden Worten erinnerte er daran, dass im Jahr 1907 sein Vorgänger, Hofrat von Leistner anlässlich der Eröffnung der Synagoge folgendes Versprechen öffentlich formuliert: „Es sei meine und all meiner Nachfolger heiligste Pflicht, dieses Gotteshaus in ihre Obhut zu nehmen.“ Dieses Erbe habe er im Jahr 2008 angetreten und sei ihm zum Herzensanliegen geworden. Daher erneuere er dieses Versprechen heute ganz bewusst und wird es an die Nachfolger weitergeben. 

Ilse Danzinger vom Landesverband IKG Bayern/Zentralrat der Juden in Deutschland erinnerte an die offenen Wunden und die unendlich große Trauer vor 80 Jahren. Und dennoch fanden die Menschen eine enorme Kraft, um das von den Eltern gelernte Gebet zu sprechen: Baruch Adonai Le´Olam. „Der Glaube lebt, die Gemeinschaft lebt“ hätten diese Menschen erfahren. Der Neubeginn sei zerbrechlich gewesen und heute könne man denjenigen danken, die den Glauben bewahren und weitertragen. „Es darf nie wieder geschehen“ betonte MdL Staatsminister Christian Bernreiter. Und dies dürfe nicht nur eine Floskel sein. Es sei eine Pflicht, wachsam zu sein. 

Aufrüttelnde Worte fand Dr. Ludwig Spaenle, der Antisemitismus-Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung. Die Frage sei gewesen, ob es einen Gott gibt. Denn alles geschah am helllichten Tag – dass die Juden abgeholt wurden. „Alle haben es gewusst – und nichts getan“. Genauso sei es mit den Mitgliedern bei der SS gewesen, es seien Verwandte und Nachbarn gewesen. Auch jene 500.000, die unmittelbar am Morden beteiligt waren. „Und die meisten konnten hinterher einfach ruhig und unbehelligt weiterleben“ resümierte Spaenle. Vehement rief er zur Verantwortung auf, denn Demokratie müsse erkämpft werden. Ein Zeichen der Hoffnung setzte er abschließend – auch aus der Erfahrung der damaligen 700 Gläubigen: „Ja, es gibt einen Gott. Hier an diesem Platz.“ 

Das Schlusswort mit einem Dank an alle Beteiligten hatte Pfarrer i.R. Hasso von Winning von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Etwas erschüttere ihn zutiefst: der zwei Meter hohe Stahlzaun mit scharfen Spitzen rund um die Synagoge. Menschen würden hier eingesperrt werden, damit sie nicht von außen angegriffen werden könnten. „Dieser Zaun ist ein Schandmal in unserer Stadt“ stellte von Winning fest. Die Juden bieten keinen Grund dafür, der Zaun sei ein Zeichen unserer Ohnmacht. Und er appellierte an alle – versprach auch, persönlich dafür zu kämpfen – dass dieses „Schandmal“ wieder verschwindet. Man dürfe sich nicht daran gewöhnen, sondern müsse Widerstand zeigen. „Bilden wir einen Zaun der Menschlichkeit und der Moral. Errichten wir Barrieren der Toleranz und der Menschenfreundlichkeit gegen Antisemitismus und Anti-Islamismus. Wenn durch unser Land nicht umgehend ein Ruck geht hin zu Menschlichkeit, Vertrauen und ja auch zu Gottesfurcht, dann werden noch viele Schandmale errichtet werden. Und dann Gnade uns Gott!“ betonte Hasso von Winning und rief alle zum Mitgehen auf dem Weg der Solidarität und der Menschlichkeit auf, denen Hass und Ausgrenzung droht. 

Text und Fotos: Irmgard Hilmer
(jas) 



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