Regensburg, 25. Februar 2025.
Die Euthanasie, also die Sterbehilfe, und ebenso die Suizidbeihilfe – darunter ist die Beihilfe zur Selbsttötung zu verstehen – können eine Gesellschaft tiefgreifend verändern. Darauf hat Manfred Spieker, Sozialwissenschaftler und emeritierter Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Universität Osnabrück, bei der Menschenwürde-Tagung der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) hingewiesen.
Mit insgesamt 18 Vorträgen und Diskussionen vertieften die KHKT und die Joseph-Höffner-Gesellschaft die vor einem Jahr veröffentliche Erklärung des Vatikans Dignitas infinita. „Gegenüber einem suizidwilligen Menschen besteht solidarische Hilfe nicht darin, der Suizidabsicht mit einer tödlichen Tablette den Weg zu ebnen, sondern darin, ihm zu helfen, die Verzweiflung zu überwinden durch menschliche Nähe, kluge Hilfen und die Stärkung der eigenen Resilienz“, sagte Spieker auf dieser Tagung. Eine Gesellschaft, die den Tod auf Rezept ermögliche, öffne dem sozialen Druck und der Entsolidarisierung die Tür.
„Wo das Weiterleben nur eine von zwei rechtmäßigen Möglichkeiten ist, wird jeder Schwerkranke rechenschaftspflichtig, der anderen die Last seines Weiterlebens aufbürdet“, so Spieker. Es entstehe ein psychischer Druck, den medizinischen, pflegerischen und finanziellen Aufwand zu vermeiden und sich dem Trend eines „sozial- oder generationenverträglichen Frühablebens“ anzuschließen. Nicht der Patient dürfe dann das Mitleid der Gesellschaft erwarten, sondern die Gesellschaft erwarte umgekehrt das Mitleid des Patienten. Aus der Suizidbeihilfe werde eine Sterbehilfe auf Verlangen und aus der Sterbehilfe auf Verlangen eine Sterbehilfe ohne Verlangen.
Manfred Spieker sprach von einer tödlichen Falle der Selbstbestimmung, die in Selbstentsorgung münde. Das zeigten die Erfahrungen in allen Ländern, die die Suizidbeihilfe legalisiert haben. Dort sehe man deutliche Anstiege und Vervielfachungen der Fallzahlen. Suizidversuche seien oft Hilfeschreie an die Personen, die dem Verzweifelten nahestehen. Zudem verursache jeder Suizid eine Verletzung der sozialen Beziehungen und erzeuge Leid bei Angehörigen, Bekannten und Freunden. Von jedem Suizid seien durchschnittlich 135 Personen betroffen, so das Ergebnis von US-Forschungen.
Wirklich dramatisch seien Euthanasiefälle, in denen ein schwer dementer Patient zu verstehen gibt, dass er doch nicht getötet werden will, obwohl er es zuvor verbindlich festgelegt hatte, in einer solchen Situationen euthanasiert werden zu wollen. Worin besteht die Alternative? Zunächst empfahl Spieker, sich bewusst mit dem Sterben zu befassen: „Wer den eigenen Tod nicht verdrängt, sondern als Teil seines Lebens bejaht, lebt bewusster, gelassener und glücklicher.“ Außerdem hob er die Bedeutung von Palliativstationen, stationären Hospizen sowie ambulanten Hospizdiensten hervor. Hospize bezeichnete er als „Inseln der Humanität“.
Vertreter der Kirche hätten, so Manfred Spieker, die Menschen in der Endphase des Lebens mit Empathie, Mitleid, Liebe und Trost zu begleiten. Die Priester hätten ihnen die Sakramente der Buße, der Krankensalbung und der Eucharistie anzubieten. „Der Mensch ist selbst im Leiden, so Dignitas infinita, Träger einer Würde, die immer geachtet werden muss, die nicht verloren gehen kann und deren Achtung bedingungslos bleibt. Im Sterben verwandelt sich die Selbstbestimmung des Menschen zur Selbsthingabe.“ Der sterbende Mensch aber wolle keine Tablette, um dann alleingelassen zu werden, sondern echte Hoffnung, menschliche Nähe und eine haltende Hand.
„Wirksame Schmerzlinderung, vertraute Umgebung, pflegerische, ärztliche und seelsorgerliche Begleitung gehören ebenso zur Sterbebegleitung wie die Gewissheit, dass der Sterbeprozess nicht durch therapeutischen Übereifer gegen den Willen des Sterbenden hinausgezögert wird“, betonte Spieker. Das Thema „Was heißt in Würde sterben?“ könne für diakonische Einrichtungen der Kirche herausfordernd sein. In der Schweiz und in Belgien habe der Gesetzgeber die Kliniken verpflichtet, Sterbehilfe zu tolerieren, aber: „In Deutschland wären solche Verpflichtungen verfassungswidrig. Sie würden gegen das Grundgesetz verstoßen.“
Text: CNA Deutsch
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