Schwierig, mit der Kluft zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen zu leben! – Der Pilsener Bischof Dr. Tomáš Holub über die katholische Kirche in Tschechien
„Wir müssen bei Punkt minus zehn anfangen.“ So stand es bereits in der Ankündigung zum Vortrag des Pilsener Bischofs Dr. Tomáš Holub im Geistlichen Zentrum der Redemptoristen in Cham. Eingeladen hatte den Oberhirten die Katholische Erwachsenenbildung (KEB) im Landkreis Cham. Der Alfonssaal war bis auf den letzten Platz besetzt, was größtes Interesse bedeutet.
In seiner Einführung wies Pastoralreferent und geschäftsführender KEB-Bildungsreferent Michael Neuberger auf das Thema des Katholikentages 2014 in Regensburg „Mit Christus Brücken bauen“ hin sowie auf ein Gespräch damals mit Holubs Amtsvorgänger František Radkovský mit dem Titel „Hirte auf steinigem Feld“. Beide – Radkovský und Holub – bezeichnete Neuberger als „Brückenbauer zwischen den Völkern und Menschen“, zumal viele Gläubige aus dem Landkreis Cham beide Bischöfe in dieser Funktion schon erlebt haben. Neuberger ging kurz auf die wichtigsten Stationen des priesterlichen Wirkens des Pilsener Bischofs ein, unter anderem auf seine Studienaufenthalte in Salzburg und Hamburg, weshalb er auch sehr gut deutsch spricht.
Auch der Vater wollte ursprünglich Priester werden
Den Einblick in seine Biografie vertiefte der aus dem Riesengebirge stammende Bischof Holub dann selbst und machte deutlich, dass sein Vater wie auch seine Mutter wegen der kommunistischen Regierung ihre ursprünglichen Berufe nicht ergreifen konnten: der Vater wollte Priester werden und trat 1947 ins Priesterseminar ein, das nach der kommunistischen Machtübernahme im Jahr 1948 geschlossen wurde. Folge war, dass der Vater ins Riesengebirge kam, wo er seine spätere Frau kennenlernte, die wiederum acht Jahre vergebens versucht hatte, ein Medizinstudium aufzunehmen. Denn sie war Tochter eines von den Kommunisten Verhafteten. Tomáš Holub ist der älteste von fünf Geschwistern, die älteste Schwester ist Ärztin. Damit haben zwei Kinder die beruflichen Wünsche der Eltern umgesetzt. „Mein Vater hat erst ein wenig von seinem Priesterwunsch angedeutet, als ich selbst im Priesterseminar in Leitmeritz war. Bei meiner Priesterweihe hat er dann mehr darüber erzählt“, blickte der Pilsener Oberhirte zurück.
Immer wieder Neues denken und kennenlernen
Kurz streifte Bischof Holub seine wichtigsten beruflichen Stationen: erster Militärseelsorger in der Tschechischen Republik. Hier war es für ihn wichtig, als Mensch Gesprächspartner für die Soldaten zu sein – und das in schwierigen Einsätzen wie etwa in Bosnien. „Hier habe ich neu über den Glauben und meine Identität als Priester nachdenken können“, reflektierte er. In Rom und Hamburg hat er das Theologiestudium vertieft und mit der Promotion beendet. Weitere Aufgaben waren die des Generalvikars im Bistum Königgrätz und des Generalsekretärs der tschechischen Bischofskonferenz, wo er vor allem mit dem bis heute aktuellen Thema „Restitutionen“ betraut und daher auch sehr bekannt war. Seit 30. April 2016 ist Holub nun der zweite Bischof von Pilsen. „Ich muss neu lernen, diesen Teil der Tschechischen Republik zu verstehen. Die Situation hier ist ganz anders als etwa in meiner Heimat mit einem sehr aktiven Pfarrleben“, bekannte der Pilsener Oberhirte.
Große Kluft zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen
Zunächst aber skizzierte Holub die Situation der Kirche in der Tschechischen Republik. „Zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen besteht eine große Kluft. Vor allem in Böhmen bedeutet der Übergang vom Gläubigen zum Nichtgläubigen eine riesige Entscheidung. Man muss den Mut haben, sich als gläubig zu erklären. Wenn wir über den Glauben sprechen oder damit anfangen, stehen wir auf der Ebene minus zehn“, beschrieb der Bischof diesen Sachverhalt. Daher sei viel Geduld nötig. Schwierig sei es, so der Bischof, mit dieser Kluft zu leben. Zudem wirke die Praxis aus der Zeit des Kommunismus noch nach, wonach es gefährlich sei, über Glaube und Religionspraxis zu sprechen. „Die Akzeptanz in der Gesellschaft ist schwierig. So kommt es, dass die Menschen entweder nicht über den Glauben sprechen oder in einer eher unnatürlichen Form“, ergänzte der Oberhirte. Als weiteres, die Sache noch verschärfendes Thema sieht Holub die seit über 25 Jahren immer wieder neu verhandelten Restitutionen (Rückgabe von Kircheneigentum) mit Diskussionen in der Gesellschaft, Vorwürfen an die Kirche bis hin zu Spannungen selbst unter Bischöfen. „Die Kirche will Teil der Gesellschaft werden, aber es gelingt nur bedingt. Es ist ein tief verwurzeltes Denken, das zur Spaltung zwischen der Kirche und dem Volk führt“, erläuterte der Bischof. Er untermauerte dies mit dem 1918 verbreiteten Slogan „Weg von Wien, weg von Rom“. „Katholisch sein heißt nicht zum Volk zu gehören“, interpretierte der Pilsener Bistumschef die bis heute prägende Devise. Dem will er aber entscheidend begegnen: „Wir wollen versuchen zu zeigen, dass die katholische Kirche zur Identität der tschechischen Kultur gehört und Teil der tschechischen Kultur ist.“ Dies langsam zu ändern ist für ihn „eine der großen Aufgaben der tschechischen Kirche“.
15 bis 18 lebendige und aktive Pfarreien im Bistum Pilsen
Als Hauptcharakteristikum seiner Diözese nannte Bischof Holub die Tatsache, dass es zu „zwei Drittel Territorium des ehemaligen Sudetenlandes“ sei und damit ein Gebiet, „in dem früher katholische Leute gelebt haben“. Nach der Vertreibung der Deutschen seien Menschen aus der Slowakei, der Ukraine, aus Ungarn, Polen und Rumänien angesiedelt worden. Wegen der Grenze zum Westen sei dieser Landstrich stark kontrolliert worden. „In absoluter Mehrheit haben die Menschen hier den Glauben verloren, eine territoriale Form der Pastoralarbeit existiert nicht mehr bzw. ist nicht mehr möglich.“ So charakterisierte der Bischof die Situation. Von früher 324 Pfarreien gibt es heute noch 72, von denen ca. 15 bis 18 (vier davon in Pilsen selbst) lebendig und aktiv sind. „Die Leute, die geblieben sind, sind diejenigen, die bereit waren, unter dem Druck zu leben. Auf der anderen Seite sind bekennende Gläubige auch bereit, bis zu 50 Kilometer in eine lebendige Pfarrei zu fahren – zur Enttäuschung und Verzweiflung der Priester vor Ort“, schilderte Holub. Daher laute die Herausforderung, neu christlich-missionarisch zu werden – etwa durch Bildung von Zentren, die ermöglichen, eine lebendige Pfarrei zu bilden. Wichtig sei aber auch, Kontakt zu den Menschen zu bekommen.
„Sie sind ein menschennaher Bischof“
Gerne beantwortete Bischof Holub die Fragen der Zuhörer, etwa zur Militärseelsorge, zur Kirche in Mähren und der Slowakei, zur Jugendarbeit, zum Kirchenbesuch, zur Mitarbeit von Laien, zur Finanzsituation und zur jüngst stattgefundenen Weltjugendsynode. Daran hat Bischof Holub zusammen mit dem Passauer Bischof Stefan Oster und dem Münchner Kardinal Reinhard Marx als Mitglied der zwölfköpfigen deutschen Sprachgruppe teilgenommen. Für wichtig hält der Pilsener Bischof zum einen ein verstärktes Zuhören – was auch das Motto der Synode ausdrückte – und angesichts der „digitalen Generation“ die Auseinandersetzung mit dieser anderen Form des Denkens. „Die Werte sind bei der jungen Generation weniger vom Hören als vom Sehen geprägt“, nannte Bischof Holub ein Beispiel. Insgesamt gehe es vorrangig um die persönliche Beziehung zu Christus, die eben auch Jugendlichen verdeutlicht und angeboten werden müsse. Der Rektor des Chamer Redemptoristenklosters Pater Peter Renju mahnte in seinen Dankesworten an Bischof Holub Wachsamkeit auch bei uns an, „damit es nicht so weit kommt“. „Sie sind ein menschennaher Bischof, Sie sind bei den Menschen“, lobte der Rektor den Pilsener Oberhirten. Die freiwilligen Spenden der Zuhörer gingen an das Projekt „Von Herz zu Herz“, mit dem Obdachlose im Bistum Pilsen unterstützt werden.