Schwangerschaftsberatung der Caritas Regensburg: Gabriele Dotzer gibt Antworten
Schwangerschafts-Abbruch ist hochpolitisch und hochemotional
Regensburg, 11. April 2024
Eine Schwangerschaft ist ein Umbruch und stellt manche vor eine große Herausforderung. Die Schwangerschaftsberatungsstellen des Caritasverbands im Bistum Regensburg sind für jeden da: jährlich werden mehr als 5000 Ratsuchende beraten und betreut. Aus aktuellem Anlass können Sie hier ein Interview aus dem Jahr 2022 mit Gabriele Dotzer lesen, die seit über zehn Jahren die Caritas-Schwangerschaftsberatung in Regensburg leitet. Sie erklärt, warum jedes Leben besonders ist und was die Schwangerschaftsberatung der Caritas auszeichnet.
Frau Dotzer, Sie leiten seit über zehn Jahren die Schwangerschaftsberatungsstelle der Caritas in Regensburg. Was sind die Besonderheiten Ihres Beratungsangebots für schwangere Frauen, wie unterscheidet es sich von anderen Beratungseinrichtungen?
Wir beraten und begleiten in der Caritas-Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen in allen Fragestellungen und Problemlagen rund um die Themen schwanger werden, schwanger sein, Geburt, Familiengründung und die ersten drei Lebensjahre mit dem Kind.
Beginnend also bei Fragen zur Familienplanung, zu Kinderwunsch, auch unerfülltem, bei eingetretener Schwangerschaft, auch ungeplanter oder konflikthafter, bei Pränataldiagnostik, auch mit Befund, bei der Vorbereitung auf die Geburt und auf das Leben mit dem Kind. Jede Fragestellung oder Problemstellung in Verbindung mit Schwangerschaft und Familie ist bei uns richtig. Ebenso jede Krise, die in diesen Zeiten entstehen kann, seien es Paarkonflikte, Trennung und Scheidung, peri- oder postnatale Depressionen, Behinderung des Kindes oder Verlust des Kindes durch Abgang, Fehlgeburt, aber auch Schwangerschaftsabbruch.
Wir haben ein Alleinstellungsmerkmal in ganz Bayern mit unserem Projekt „Mama oder Papa mit Behinderung“. Hier erhalten Menschen mit Handicap mit Kinderwunsch und für Familiengründung fachgerechte Beratung und praktische Unterstützung.
Was uns auch von anderen Schwangerschaftsberatungen unterscheidet, ist, dass wir bei einer Schwangerschaftskonfliktberatung seit mehr als 20 Jahren den Beratungsnachweis nicht mehr ausstellen. In den 90er Jahren wurde die gesetzliche Regelung zum Schwangerschaftsabbruch geändert, die heute bestehende Beratungsregelung löste die vorherige Indikationsregelung mit Beratungsverpflichtung ab. Das führte dazu, dass die Kirche in Deutschland entschied, in ihren Schwangerschaftsberatungsstellen den Schein nicht mehr auszustellen. Damit entfiel auch die staatliche Förderung. Dennoch ließ die Kirche die Schwangeren nicht im Stich und finanziert seither ihr Beratungsangebot fast ausschließlich selbst aus Kirchensteuermitteln. Ich sage immer: bei uns kriegen Schwangere im Konflikt jede mögliche Hilfe, nur diesen Schein nicht.
Warum ist es so wichtig, schwangeren Frauen professionelle Hilfe anzubieten, die nicht nur auf die Ausstellung eines Beratungsscheins abzielt?
Die Kombination von professioneller psychosozialer Beratung, die fachlich qualifiziert und ergebnisoffen sein muss, um mit den zu Beratenden in Verbindung zu kommen und einen wirklichen Austausch zu ermöglichen und fundierten Hilfen, die man zur Behebung von sozialen oder sonstigen Notlagen anbieten und zur Verfügung stellen kann, ist meines Erachtens der einzige Weg, ein Ja zum Leben zu ermöglichen. Der Beratungsnachweis, den wir, wie schon gesagt, gar nicht ausstellen, bestätigt dann die stattgefundene Beratung und muss vorgelegt werden, wenn sich die Frau nach einer weiteren Bedenkzeit von drei Tagen wirklich zum Abbruch entschließt, damit dieser straffrei ist.
Meines Erachtens ist sowohl dieses vorgestellte Beratungsgespräch, in dem auch Ambivalenzen zur Sprache kommen können, als auch die Bedenkzeit und die Kenntnis möglicher Hilfen wichtig, damit diese lebenslange Entscheidung – die nie wieder zu korrigieren sein wird – in vollem Bewusstsein und voller Eigenverantwortung, ohne Druck von außen und auch in Kenntnis der jeweiligen potentiellen Unterstützungsmöglichkeiten, getroffen wird. Oft kennt man diese ja überhaupt nicht, woher auch. Ich wünsche keiner Frau, in diese Situation zu kommen, aber es gibt sie, ob wir das wollen oder nicht. Viele unserer Klientinnen sagen, diese Schwangerschaft jetzt sei nicht geplant gewesen. Die meisten ungeplanten Schwangerschaften münden nicht in einen Schwangerschaftsabbruch. Manchmal aber scheint einer Frau, einem Paar, einer Familie dieser Weg nicht gangbar. Dann bedürfen sie besonders unserer Hilfe.
Ich habe schon in den 90er Jahren als Schwangerschaftsberaterin gearbeitet und kann sagen: zu allen Zeiten war das Thema Schwangerschaftsabbruch ein brisantes hochpolitisches Thema und darüber wurde hochemotional gestritten. Natürlich darf man die jetzige Regelung nach all den Jahren auf den Prüfstand stellen. Aber vielleicht kommen wir auch zu dem Ergebnis, dass das gar nicht so schlecht ist, was wir da haben und am Image der Beratung arbeiten sollten. Sie als unzumutbare Zwangsberatung zu diffamieren, nimmt ihr möglicherweise die Chancen, die sie für viele Frauen bietet und trifft auch nicht die Realität der meisten Frauen. Es ist nicht unzumutbar, vor so einem folgenschweren Schritt ein gutes Gespräch zu führen, in dem man offen sagen darf, was einen bewegt und mit einer nicht selbst betroffenen qualifizierten Person die Situation noch einmal anzusehen. Vielleicht bisher unbekannte Informationen und Hilfen zu bekommen, die man in die Entscheidung noch einbeziehen kann. Damit man nicht später sagen muss.“… wenn ich das gewusst hätte, hätte ich…“.
Etwa neun von zehn Schwangeren, so die Expertenmeinung, lassen in Deutschland bei einer Trisomie 21 (auch bekannt als Down-Syndrom) einen Abbruch vornehmen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Was geben Sie werdenden Müttern, die mit der Diagnose einer möglichen Behinderung ihres Kindes zu Ihnen kommen, mit auf den Weg?
Ich höre diese Zahl immer wieder und habe sie, zugegebenermaßen, auch selbst schon mal zitiert, weiß aber nicht, ob sie verifiziert ist, weil ich die betreffende Statistik oder Quelle noch nie selber gesehen habe. Wenn es so ist, aber auch wenn es weniger drastisch wäre, finde ich das äußerst bedenklich, denn das heißt ja, dass Menschen sich nicht zutrauen, ein Kind mit Einschränkungen aufzuziehen. Das muss ich ernst nehmen und in der Beratung versuchen, herauszufinden, was die werdenden Eltern bewegt. Wenn man mit Eltern von Kindern mit Handicap spricht, kommt man zu dem Schluss, dass jedes Leben besonders ist und Freuden, aber auch Herausforderungen mit sich bringt. Das Leben mit einem behinderten Kind, das Leben mit gesunden Kindern übrigens auch. Ich würde z.B. auch anbieten, den Kontakt mit Eltern mit einem Kind mit derselben Diagnose zu vermitteln. Damit sie sich ein Bild machen können und theoretische wie praktische Informationen einfließen.
Man hört von betroffenen Eltern mit Kindern mit einer Einschränkung allerdings auch, dass es ihnen schwergemacht wird, Unterstützung zu bekommen, dass sie das regelrecht durchkämpfen müssen und sich von Staat und Gesellschaft allein gelassen fühlen. Das ist der eigentliche Skandal. Insofern denke ich, wenn Menschen sich das nicht zutrauen, ist das kein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches. Wir sollen funktionsfähig sein, möglichst wenig Kosten verursachen, möglichst viel erwirtschaften und konsumieren, uns rentieren. Das ist nicht menschlich, wir sind ja keine Roboter. Es geht uns also alle an, wenn Menschen da verzagen und dafür sind wir alle verantwortlich. Manche Eltern von Kindern mit Behinderung sagen, ihr Kind habe sie gelehrt, was im Leben wirklich wichtig ist.
Die steigende Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere Flüchtlinge, stellt unsere Gesellschaft vor besondere Herausforderungen. Inwieweit hat das Einfluss auf Ihre Beratungsarbeit? Gibt es dafür besondere Ansätze, was ist zu beachten, wenn schwangere Frauen aus einem anderen Kulturkreis oder mit einer anderen Religionszugehörigkeit Sie um Hilfe bitten?
Viele Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund wenden sich zunächst an die Caritas, auch an die Caritas-Schwangerschaftsberatung. Die Caritas ist ein weltweit bekannter – und ich glaube hochgeschätzter – kirchlicher Wohlfahrtsverband und insofern gibt es da vielleicht bereits ein gewisses Vertrauen, das einem den Zugang erleichtert. Vertrauen auch darauf, hier Hilfe zu bekommen – was dann ja auch so ist.
Bei der Caritas ist jeder Mensch willkommen, egal aus welcher Kultur er kommt oder welche Religionszugehörigkeit er oder sie hat. Der besondere Ansatz in der Beratung ist die Kultursensibilität: wie denken, fühlen, handeln Menschen in anderen Kulturen, was ist dort üblich, wie geht man dort mit bestimmten Situationen um. Und: keine Wertung vorzunehmen und das, was wir hier für richtig ansehen, nicht für überlegen zu halten. Nichts überstülpen. Sondern die eigenen Ressourcen stärken und mit den zur Verfügung stehenden Unterstützungsmöglichkeiten verknüpfen – aber das gilt ja für jede Beratung und für jeden Menschen, der zu uns kommt.
Lebensschützer, so scheint es, geraten gesamtgesellschaftlich und in der medialen Wahrnehmung vermehrt in Kritik. Woran, liegt das Ihrer Meinung nach und wie kann man die Menschen für einen Einsatz für das Leben gewinnen und begeistern?
Ist das tatsächlich so oder heute stärker so, dass Menschen, die sich für den Schutz des Lebens einsetzen, kritisiert werden? Ich kann das nicht beurteilen. Wahrscheinlich müssen wir gut differenzieren, wen wir meinen, wenn wir von Lebensschützern sprechen. Ich bin unbedingt dafür, Leben zu schützen und zwar jedes, ungeborenes, geborenes, junges, altes, krankes, gesundes. Wenn ich die Zeitung aufschlage, sehe ich, da gibt’s jede Menge zu tun.
Kritik sollte immer sachgerecht sein. Wir haben, glaube ich, zunehmend ein Problem in unserer Gesellschaft, jeweils Andersdenkende zu hören, zu respektieren und bestehen zu lassen. Diese Aggression und der Vernichtungswillen, der sich hier Bahn bricht, macht mir größte Sorge. Letztlich geht es um Mitmenschlichkeit. Wir müssen aufpassen, dass wir mitmenschlich sind und bleiben. Das ist die große Herausforderung unserer Zeit, wie mir scheint. Wenn uns das gelingt, ist das der beste Einsatz für das Leben. Und das kann Jede und Jeder tun.
Interview: Jakob Schötz
(kw)
Gabriele Dotzer von der Schwangerschaftsberatung der Caritas Regensburg. © altrofoto
Weitere Infos
Caritas Schwangerschaftsberatung
Rund 8000 Kontakte pro Jahr verzeichnen die Caritas-Beratungsstellen für Schwangerschaftsfragen im Bistum Regensburg. Ihr Angebot für Schwangere, junge Mütter und Familien ist etabliert, vielseitig und wird stark nachgefragt. Insgesamt stehen zwölf Anlaufstellen zur Verfügung. Die Beratungsstelle in Regensburg suchen jedes Jahr etwa 1800 Ratsuchende auf und werden in etwa 3200 Beratungskontakten unterstützt. Hilfebedürftigen kann die Caritas finanzielle Unterstützungsleistungen in Höhe von rund 1,3 Millionen Euro jährlich zukommen lassen.