„Schule zwischen Werten und Verwertbarkeit“
(pdr) Mit der Leitfrage „Welche Schule brauchen wir morgen?“ befasste sich eine Veranstaltung des Schulreferates der Diözese Regensburg am Donnerstag, 10. April. Zu dem Vortrag mit anschließender Podiumsdiskussion waren über 250 Interessierte in das Regensburger Kolpinghaus gekommen.
Ziel der Veranstaltung seit es, „über die Bedeutung von Werten für Kompetenzentwicklung in Schulen und beruflicher Bildung zu informieren“, so Domkapitular Johannes Neumüller, Leiter des Schulreferates. „International gemessene Basiskompetenzen sind wichtig, aber noch lange nicht alles, was Schulen vermitteln“. Heute ginge es um die Förderung der Basiskompetenzen, aber auch um die Förderung höherer Weisheiten.
An den Beginn seines Vortrages stellte Prof. Dr. John Erpenbeck von der Steinbeis Universität Berlin den Wissensbegriff. „Der Wissensbegriff im engeren Sinne beinhaltet Daten, Informationen oder Sachwissen. Mit diesem Wissen in engerem Sinne werden wir in der Schule oder Universität gefüttert, manchmal auch überfüttert. Wichtig ist es daher, den Wissensbegriff auch im weiteren Sinne zu verstehen“. So ‚wüssten’ wir alles, was wir je gelernt hätten; das ‚Gesamtwissen’ eines Lebewesens bestünde aus dem, was es gelernt hat.
„Glaube ist kein Wissen in engerem Sinne, sehr wohl aber gehören Glaube und Werte zum Bereich des Wissens im weiteren Sinn. Leider werden die beiden Wissensbegriffe oft durcheinander gebracht. Der Wissensbegriff wird doppeldeutig benutzt: In einem Werte ausschließenden, also engeren und einem Werte einschließenden (weiteren Sinne).
Der Wertewandel in der Moderne habe dann Ende des 19. Jahrhunderts begonnen, so Prof. Erpenbeck. „Das besondere dabei war die Verschiebung des Wertehorizonts von der Vergangenheit in die Zukunft“, so Erpenbeck. „Bis etwa zur Mitte des 17. Jahrhunderts war die aus der Vergangenheit gewonnene Erfahrung handlungsbestimmend. Doch plötzlich bricht dieses Weltbild weg und man fängt an, Werte aus der Zukunft zu holen.
Man konstruierte das Ideal einer Gesellschaft in der Zukunft, etwa im Kommunismus, Sozialismus oder Faschismus, und leitete daraus Wertvorstellungen für die Gegenwart ab. Erst die Neuzeit entdeckt das Wertproblem.
Was sind Werte? fragte Prof. Erpenbeck weiter. „Werte sind etwas ganz Alltägliches: Empfindungen, Gefühle, Wünsche und so weiter. Man kann gar nicht reden ohne Werte.“ Messwerte dagegen seien Wissen im engeren Sinn, ökonomische Werte seien also keine „echten“ Werte. Werte seien daher so wichtig, weil sie ein Handeln in einer prinzipiellen Unsicherheit ermöglichten. „Sie überbrücken oder ersetzen fehlende Kenntnisse, schließen die Lücke zwischen Kenntnissen einerseits und dem Handeln andererseits“. Als Beispiel nannte Dr. Erpenbeck den Glauben. Dieser sei bewertetes Nichtwissen, dass Handeln ermögliche in oft sehr schwierigen ethischen und moralischen Situationen. Werte an sich nützten jedoch noch gar nichts, sie müssten erst angeeignet werden.
Eine weitere zentrale Rolle spiele der Begriff der Kompetenz. „Kompetenzen sind Fähigkeiten zur Selbstorganisation“, so Erpenbeck. „Die Pisa-Kompetenzen sind keine Kompetenzen im eigentlichen Sinn, sondern simple Lese- und Rechenfähigkeiten. Kompetenzen dagegen sind Fähigkeiten, selbstorganisiert in eine offene und ungewisse Zukunft hinein zu handeln.
„Wissen, Fertigkeiten, Qualifikationen sind ein Teil von Kompetenz, aber sie sind keine Kompetenzen. Daher gibt es viele hochqualifizierte Inkompetente.
Ein Experte hat emotional verarbeitetes Wissen, sodass er in offenen Situationen handeln kann.
Wichtig bei der Wertevermittlung sei die „emotionale Labilisierung“. „Wertelernen ist etwas anderes als Wissenslernen. Es bedarf der Umwandlung in eigene Emotionen und Motivationen. Ohne diese gibt es keine Wert- und keine Kompetenzvermittlung. Es hat keinen Sinn, Wertekataloge auswendig zu lernen. Werte können nur durch Erfahrung oder Erlebnisse gelernt werden. Als klassisches Beispiel einer Kompetenzvermittlung nannte Dr. Erpenbeck die Pädagogin Maria Montessori. Sie habe Kinder nicht über Sprache lehren, sondern hat Situationen geschaffen, in denen Kinder selbst handeln können – beispielweise Kochen in einer Kinderküche.
Die Landtagsabgeordnete Marianne Deml betonte in ihrem Statement, dass der Bildungsauftrag der Schulen auch personale Kompetenzen wie Toleranz, Selbstständigkeit und Kreativität umfasse. „Die Werteerziehung ist für die Schulen jedoch nicht nur Verfassungsauftrag. Sie ist vor allem ein Gebot der Vernunft. Bildung ist die Einheit von Fachunterricht und Werteerziehung. Erst die Wertorientierung gibt der pädagogischen Arbeit an den Schulen ein Fundament, eine Perspektive und einen Sinn.“ Die größte Verantwortung trügen nach wie vor die Eltern, auf deren Werterziehung die Schulen zum Gelingen der Persönlichkeitsbildung angewiesen seien.
Elisabeth Fäth-Marxreiter von der Berufsschule Cham betonte, die wesentliche Aufgabe der Schule sei es, junge Leute sowohl auf ihre spätere Berufstätigkeit, als auch auf ein würdiges und erfolgreiches Leben vorzubereiten. Die Forderungen an die Schulbildung dürften jedoch nicht zu sehr auf den Aspekt der Verwertbarkeit ausgerichtet werden, viel wichtiger sei es, die Wertevermittlung in der Schule erlebbar zu machen. „Neben der Schule ist aber auch das Elternhaus wichtig für den Werteerwerb, deshalb muss ein Augenmerk auf die frühkindliche Förderung im Vorschulalter gelegt und die Erziehungskompetenz der Eltern gestärkt werden. Wertevermittlung ist von Vorbildern abhängig, ohne Vorbilder und Erfahrung verlieren Werte ihre Wirkung“, so Elisabeth Fäth-Marxreiter.
Auch der Vorsitzende des Industrie- und Handelsgremiums Regensburg, Dr. Nicolas Maier-Scheubeck, verdeutlichte, dass Werte in der Familie als ‚Keimzelle’ unserer Gesellschaft gelegt und in der Schule nachhaltig geübt und ergänzt werden müssten. „Das nachträgliche ‚Erlernen’ von Grundwerten ist äußerst aufwendig; Kommunikationsfähigkeit, Selbstkritik und Engagement sowie Ordnung und Sauberkeit sind unabdingbare Werte in der Ausbildung, die mit Beginn dieser vorausgesetzt werden“. Daher forderte Maier-Scheubeck, von Beruf Hauptgeschäftsführer der Maschinenfabrik Reinhausen, „weniger Wissens- und mehr Kompetenzvermittlung in allen Fächern“. Zudem sollten Shcülern auch Gelegenheiten für Bewährung und Scheitern geboten werden, da so im Umkehrschluss besser das Richtige gelernt werden könne.
Domkapitular Prälat Erich Pfanzelt, Leiter des Katholischen Schulkommissariats in Bayern, ging in seinem Statement auf das Bildungsverständnis der Schule ein. Bildung und Erziehung sollten stets den Blick auf das ganze Leben des Schülers richten, und nicht nur auf den ökonomischen Aspekt fixiert sein. Zur Bildung gehöre auch im Wesentlichen die Dimension Religion, ohne die man die Welt nicht verstehen könne. Deshalb müsse vor allem der Religionsunterricht gefördert werden. „Im Religionsunterricht geht es zu allererst um die Gottesfrage. Werte müssen auf der Basis des Gottesglaubens verankert werden“, betonte Domkapitular Pflanzelt. Gerade der Religionsunterricht stehe in der heutigen Zeit unter einem enormen Legitimationsdruck. Neben der normalen Fachausbildung habe der Schüler aber auch ein Anrecht darauf, Lebenskompetenz, Selbstvertrauen und Selbstachtung zu gewinnen, welche im Religionsunterricht vermittelt werden. Deshalb sei dieser unverzichtbar.
In der anschließenden Podiumsdiskussion hatten die einzelnen Teilnehmer Gelegenheit, ihre Anregungen zur Verbesserung der Schulsituation vorzutragen. Hierbei wurde vor allem deutlich, dass eine erfolgreiche Wertevermittlung auch von den Rahmenbedingungen abhänge. Deshalb sei es wichtig, mehr Lehrstellen zu schaffen und den Unterrichtsausfall abzubauen, damit so mehr Freiräume zur Wertevermittlung geschafft würden.