Altarbild

Prof. Kreiml zum Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter

Mariä Empfängnis


Regensburg, 8. Dezember 2025 

Der ehemalige Bischof von Regensburg, Dr. Rudolf Graber, hat am 8. Dezember 1979 in Radio Vatikan einen Vortrag über die Bedeutung der Glaubenslehre von der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria („Unbefleckte Empfängnis“) gehalten, der auch heute noch sehr beachtenswert ist. Bischof Graber hat dabei das Dogma von 1854 mit einer breiten geistesgeschichtlichen Entwicklung der Neuzeit in Beziehung gesetzt. 

Maria, die Mutter der Kirche 

In seiner von Radio Vatikan ausgestrahlten Ansprache wies der damalige Bischof von Regensburg, Dr. Rudolf Graber (1903-1992), darauf hin, dass Papst Johannes Paul II. am 8. Dezember 1978 zum ersten Mal als Papst die Basilika Santa Maria Maggiore besucht hat. Johannes Paul II. wollte damit nicht nur dem dortigen Marienbild „Salus populi Romani“ („Maria, Heil des römischen Volkes“) seine Verehrung und Huldigung bezeigen, sondern auch an den 21. November 1964, den Abschlusstag der dritten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils, erinnern, an dem Papst Paul VI. Maria offiziell zur Mutter der Kirche erklärt hat und in Santa Maria Maggiore – der ehrwürdigsten Marienkirche Roms, in der Papst Franziskus bestattet wurde – „zusammen mit vielen Konzilsvätern Maria als die Mutter der Kirche gefeiert hat“ (Rudolf Graber, „Totus Tuus“. Ansprache im Radio Vatikan zum Fest der Unbefleckten Empfängnis – 8. Dezember 1979, in: ders., Bewahre Jesu Christi heiliges Erbe. Predigten – Ansprachen – Vorträge, Regensburg 1980, S. 61-64, hier S. 62). Bischof Graber bringt seine Freude darüber zum Ausdruck, dass in der zweiten Auflage des Römischen Messbuches eine eigene Messe „de Beata Maria Ecclesiae matre“ mit einer eigenen Präfation eingefügt wurde und dass Professor Walter Dürig die Theologie dieses neuen liturgischen Marientitels in seinem Buch „Maria – Mutter der Kirche. Zur Geschichte und Theologie des neuen liturgischen Marientitels“ (St. Ottilien 1979) ausführlich behandelt hat. 

Der entscheidende Punkt in der Heilsgeschichte 

Rudolf Graber erinnert in seiner Ansprache an den „kühnen Gedanken“ von Papst Johannes Paul II., dass die „Unbefleckte Empfängnis“ Marias „der entscheidende Punkt in der Heilsgeschichte ist“. Es sollte uns zu denken geben, dass es in der Dogmengeschichte „wohl einmalig ist“, dass eine Dogmenverkündigung „vom Himmel selbst eine Bestätigung erfuhr“. Am 8. Dezember 1854 hat Papst Pius IX. die Glaubenslehre von der Unbefleckten Empfängnis verkündet, und am 25. März 1858 erklärte die Gottesmutter, von der 14-jährigen Bernadette Soubirous in Lourdes nach ihrem Namen befragt: „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis.“ Es ist bekannt, wie diese Selbstbezeichnung Marias „den Pfarrer Peyramale so erschütterte, dass er seinen Widerstand gegen die Erscheinungen aufgab und seitdem ein glühender Verfechter der Echtheit wurde“ (R. Graber, S. 62). Marie-Dominique Peyramale (1811-1877) war von 1854 bis zu seinem Tod Pfarrer von Lourdes. Peyramale sah den Zusammenhang zwischen der Verkündigung des Dogmas und der Erscheinung; und die Tatsache, dass das Mädchen den Sinn der Worte der Gottesmutter überhaupt nicht erfasste, tat das Übrige. 

Das Mariendogma und die neuzeitliche Geistesgeschichte 

Warum war die Verkündigung dieses Dogmas der damaligen Zeit vorbehalten? Man muss – so Bischof Graber – dieses Mariendogma „in den großen geschichtlichen Ablauf der Neuzeit und der neuesten Zeit hineinstellen“ (ebd.; vgl. auch Bertram Stubenrauch, Mariologie bei Bischof Rudolf Graber, in: Josef Kreiml / Sigmund Bonk [Hg.], 100 Jahre Botschaft von Fatima. Mitverantwortung für das Heil der anderen, Regensburg 2017, S. 200-206). Der lutherische Theologe und Hochschullehrer für Praktische Theologie Alfred Dedo Müller (1890-1972) hat in seiner Schrift „Prometheus oder Christus. Die Krisis im Menschenbild und Kulturethos des Abendlandes“ (Leipzig, 2. Aufl. 1961) in überzeugender Weise den Nachweis geliefert, dass um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert der Prometheus-Mythos „besonders bei Goethe sich immer stärker bemerkbar macht und damit das Christusbild verdrängt“ (R. Graber, S. 62). Hatte schon der Humanismus den Blick besonders auf den Menschen gelenkt (vgl. Susanne Biber / Veit Neumann [Hg.], Christlicher Humanismus. Festschrift für Sigmund Bonk, Regensburg 2019), so wird nun die Gestalt des Prometheus zum „Zielbild des Menschen“. Es rückt jener Mensch der Selbstherrlichkeit in den Mittelpunkt, der „kein Gesetz und keinen Gott über sich anerkennt, der sich selbst an die Stelle Gottes setzt, der in seinem Tatenrausch sich selbst alles zuschreibt und spricht: `Hast du nicht alles selbst vollendet, heilig glühend Herz?´ Es ist der Mensch, der stolz bekennt: `Hier sitz` ich, forme Menschen, nach meinem Bilde, ein Geschlecht, das mir gleich sei, zu leiden, zu weinen, zu genießen und zu freuen sich, und dein nicht zu achten, wie ich.´“ (R. Graber, S. 62) 

Prometheus, das Urbild des selbstherrlichen Menschen 

Der Mythos von Prometheus, der laut griechischer Mythologie den Göttern das Feuer gestohlen hat, geht heute Hand in Hand mit den weltumwälzenden technischen Erfindungen, und mit ihm beginnt – so Rudolf Graber – die gewaltigste Kulturrevolution aller Zeiten. In Zusammenhang damit entsteht ein neues Arbeitsethos, das seinen literarisch hervorragendsten Niederschlag in der Faust-Dichtung Goethes gefunden hat, in der die weltzugewandte Aktivität als das Höchste gepriesen wird. „Ist es Zufall, dass die Uraufführung von Faust II ausgerechnet 1854 in Hamburg stattfand?“ (R. Graber, S. 63) Genau in diesem Jahr tritt Gott auf den Plan; er deutet gegenüber dem prometheischen Menschen auf die Mutter seines Sohnes, die Immaculata (die „Makellose“). „Sie ist die Zielgestalt der Menschheit, nicht der Übermensch, der sich an die Stelle Gottes setzt“ (ebd.). Während sich der prometheische Mensch zur Selbstgenügsamkeit hinaufsteigert, gilt für „unser Zielbild“ das Wort des Hebräerbriefs: „Keiner nimmt sich eigenmächtig diese Würde, sondern er wird von Gott berufen“ (Hebr 5,4). Deshalb hat Papst Johannes Paul II. dem Wort „Erwählung“ so viel Bedeutung beigelegt. Etwas von dieser einzigartigen Erwählung ist auch uns zuteilgeworden. Wir sind „irgendwie in diesem Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis inbegriffen“ (R. Graber, ebd.). 

Maria, der von Gott empfangende Mensch 

Das Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis benennt den „totalen Widerpart“ gegen den prometheischen Menschen. Paulus fragt mit Recht: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest?“ (1 Kor 4,7) Gott gegenüber sind wir Empfangende, und Maria ist am Gipfel des Empfangens angekommen. „Dem modernen Menschen, der heute … sich an einer zweiten Schöpfung versucht und sich in die Rolle des Schöpfergottes hineinsteigert, steht die demütige Magd Maria gegenüber, die nicht eine materielle Welt zu schaffen versucht, sondern unendlich mehr bewirkt: Sie empfängt Gott und schenkt ihn der Welt“ (R. Graber, ebd.). Das ist der entscheidende Punkt in der Heilsgeschichte. Mit dieser Empfängnis ist zugleich eine „scharfe Abgrenzung gegen alle Verstrickung in das Niedere“ gegeben. 

Die Haltung des empfangsbereiten Geschöpfes 

Maria bezeichnet sich in Lourdes als die Unbefleckte Empfängnis. Damit fällt ein Licht auf das Wesentliche der von ihrem Sohn begründeten Gemeinschaft. Auch die Kirche ist empfangend; sie ist Braut und Mutter. Überall, wo Menschen „dem selbstsüchtigen Emporstürmen und dem titanischen Trotz“ entsagen und ihre Herzen öffnen, um zu empfangen, geschieht dies in der Kraft des Geheimnisses der Unbefleckten Empfängnis. Für unser persönliches Leben entstehen „tiefe innere Beziehungen“, wenn wir den Kommunionempfang in Verbindung setzen mit der Unbefleckten Empfängnis. Das Höchste kann nur empfangen werden. In der Menschheit träte eine gewaltige Umwälzung ein, wenn „sich der Gestus des ichbezogenen, selbstsüchtigen, rechthaberischen und sich zur Göttlichkeit emporsteigernden Menschen wandeln würde in die Haltung des liebend empfangsbereiten Geschöpfes“ (R. Graber, S. 63 f). Papst Paul VI. hat von Maria, der Immaculata, gesagt, sie sei „der Anfang einer besseren Welt“. Vergangenheit und Zukunft sind auf diese Weise in der Immaculata vereint. Wir sollten uns – so Bischof Graber – die Worte Papst Johannes Pauls II. zu eigen machen: „Totus Tuus ego sum et omnia mea Tua sunt. Accipio Te in mea omnia.“ („Ich bin ganz Dein, und alles, was ich besitze, gehört Dir. Ich nehme Dich auf in all das Meine.“) 


Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml, Leiter der Hauptabteilung Orden und Geistliche Gemeinschaften im Bistum Regensburg

(kw)



Nachrichten