Regensburg, 23. Mai 2024
Schon seit längerer Zeit ist der christliche Glaube in vielfältiger Weise herausgefordert. „Nicht allein die Weitergabe des Glaubens, sondern der Glaube selbst, nicht allein das Wie seiner Vermittlung, sondern das Was und Warum des Glaubens stehen heute in Frage“ (Walter Kardinal Kasper). Ein Beitrag von Prof. Josef Kreiml.
Beherzt für seinen Glauben einstehen
Der Glaube als Werk des Heiligen Geistes ist das Fundament des Christentums. Im Glauben wird die christliche Verkündigung „als Gottes Wort angenommen“ (1 Thess 2,13). Der glaubende Mensch schenkt dem sich in Jesus Christus offenbarenden Gott sein Vertrauen. Er bejaht Gottes Wort aus innerer Überzeugung und betrachtet es als Fundament für seinen gesamten Lebensentwurf. Heute muss man von ernstzunehmenden Schwierigkeiten der Glaubensvermittlung im Christentum der westlichen Welt sprechen. Mangelndem Glauben kann nur mit Glaubenszuversicht begegnet werden. „Die Chancen, die die Glaubenskrise ebenso wie jede andere Krise in sich birgt, können nur von dem genutzt werden, der nicht in Lethargie erstarrt, sondern entschieden und beherzt für seinen christlichen Glauben einsteht, sich den Herausforderungen stellt, den Dialog sucht und seine eigene Position erläutert“ (Christoph Böttigheimer, Glauben verstehen. Eine Theologie des Glaubensaktes, Freiburg 2012, S. 19).
Sein Herz geben
Mit dem Begriff des Glaubens in einem weiteren Sinn wird ein freier und verantworteter Akt der persönlichen Begegnung bezeichnet, der den ganzen Menschen – mit Verstand, Willen, Emotionalität usw. – umfasst. Das lateinische Wort credere („glauben“) ist abgeleitet von cor dare („sein Herz geben“). Eine solche Ganzhingabe in Form der Liebe (vgl. Sätze wie: „Ich glaube an dich.“ – „Ich vertraue dir.“ – „Ich baue mein Leben auf dich.“) bezieht sich auf eine andere Person. Der Mensch kann aber in der Ich-Du-Beziehung seine endgültige Erfüllung nicht finden. Aufgrund seiner Weltoffenheit überschreitet der Mensch jede endliche Beziehung. Er ist verwiesen auf einen Bereich, der über das konkrete Du eines Menschen, ja sogar über das Zwischenmenschliche insgesamt weit hinausgeht. In der Begegnung mit einem menschlichen Du kann das Streben des Menschen nicht an sein endgültiges Ziel gelangen. Nur Gott kann dieses endgültige Ziel sein. „Glaube ist eine Eröffnung der Wirklichkeit, die nur dem Vertrauenden, dem Liebenden, dem als Mensch Handelnden zukommt, und als solche nicht abkünftig von Wissen, sondern ursprünglich wie dieses, ja tragender und zentraler für das eigentlich Menschliche als dieses“ (Joseph Ratzinger / Benedikt XVI., Glaube und Zukunft, München 2007, S. 35).
Im Glauben erschließt sich unter dem Vorzeichen des Vertrauens eine Wirklichkeit, die sich in einer äußerlichen, distanzierten Betrachtungsweise entzieht. In einem von der Liebe durchformten Glauben vertraut sich der Mensch dem sich offenbarenden Gott an. Er weiß sich von der Liebe Gottes ergriffen, antwortet darauf in Form der liebenden Selbsthingabe und erkennt die christliche Botschaft als für sein eigenes Leben bedeutsam an.
Der Glaube als umfassende Sinnoption
Als Glaubender lässt sich der Mensch mit seiner ganzen Existenz auf eine umfassende Sinnoption ein. Ohne die Annahme von Sinn kann der Mensch nicht leben. Hätte er niemals Sinn erfahren, könnte er sein Handeln, das immer von der Bejahung von Sinn getragen ist, nicht verstehen. Zum menschlichen Lebensvollzug gehört ein – wenn auch nicht vollkommen durchschauter – Sinnentwurf und, damit verbunden, ein Glaube, der eine umfassende Auslegung des Lebens ermöglicht. Die Grundlage des christlichen Glaubens – und damit auch jeder theologischen Erkenntnis – ist die Selbstmitteilung Gottes. Das Wort „Glaube“ beschreibt die Haltung derer, die sich vom Handeln Gottes existentiell betreffen lassen und in Form der persönlichen Selbstübereignung auf das Wirken Gottes reagieren. Am Anfang des Glaubens steht nicht die Aktivität des Menschen, sondern ein Liebeserweis Gottes, der den Menschen zuerst geliebt hat (vgl. 1 Joh 4,10), der den Menschen anredet und ihm seine Gnade und seinen Segen schenkt. In den biblischen Schriften wird die glaubende Antwort des Menschen auf die Selbstmitteilung Gottes bezeugt. Dieses Glaubenszeugnis ist auch darauf ausgerichtet, bei anderen Menschen Glauben zu wecken. „Glauben“ bedeutet das bejahende Sich-Einlassen auf die Erfahrung Gottes, der sich in einer langen Glaubensgeschichte des Gottesvolkes als wirkmächtig gezeigt hat.
Sein Leben auf Gott bauen
Entscheidend für das Glaubensverständnis, wie es uns im Alten und Neuen Testament begegnet, ist der persönliche Akt des Vertrauens, der sich auf die Heilstaten Gottes bezieht und davon ausgeht, dass Gott seinem Volk auch in der Zukunft Heil und Gnade schenken wird. Der Glaube ist nach biblischem Zeugnis ein auf die Erfahrung göttlicher Offenbarung bezogener menschlicher Grundakt, der dem Leben Halt und Bestand verleiht. Im Glauben macht sich der Mensch in Gott fest. Er führt sein Leben mit und vor Gott. Glauben bedeutet, die Verheißungen Gottes für wahr zu halten, sich an ihnen auszurichten, auf Gott zu bauen, ihm zu vertrauen und die Inhalte seiner Offenbarung innerlich anzunehmen.
Der christliche Glaube ist zu verstehen als persönliche Selbstübereignung an Gott, als vorbehaltloses Sich-Gründen meines Lebens in Gott und als die höchste Entfaltung meiner persönlichen Existenz. Der Inhalt dieses Glaubens ist Gott selbst in seiner konkreten Selbstmitteilung in Jesus Christus. Treffend formuliert dies der „Katechismus der Katholischen Kirche“ (Nr. 150) so: „Der Glaube ist eine persönliche Bindung des Menschen an Gott und zugleich, untrennbar davon, freie Zustimmung zu der ganzen von Gott geoffenbarten Wahrheit.“ Glaube meint kein bloßes verstandesmäßiges Fürwahrhalten, sondern eine persönliche Lebensentscheidung, die den ganzen Menschen betrifft. Der Glaube – verstanden als persönliche Ganzhingabe an Gott – muss sich im Leben des Menschen widerspiegeln. Dieser Glaube „muss seine Fruchtbarkeit bekunden, indem er das gesamte Leben der Gläubigen ... durchdringt“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“, Nr. 21). Die wichtigste Ausdrucksgestalt des Glaubens ist dabei das Gebet. „Ja, ohne Gebet geht dem Glauben die Luft aus; ein Glaube ohne Gebet ist nicht möglich“ (Walter Kasper, Was alles Erkennen übersteigt. Besinnung auf den christlichen Glauben, Freiburg 1987, S. 53).
Die Freude am Glauben entdecken
Nur ein glaubwürdiges Lebenszeugnis der Christen kann für andere Menschen fruchtbar werden. Deshalb ist „heute ein überzeugterer kirchlicher Einsatz für eine neue Evangelisierung notwendig, um wieder die Freude am Glauben zu entdecken und die Begeisterung in der Weitergabe des Glaubens wiederzufinden“ (Apostolisches Schreiben „Porta fidei“ von Papst Benedikt XVI., mit dem das „Jahr des Glaubens“ ausgerufen wird, in: Osservatore Romano. Wochenausgabe in deutscher Sprache vom 21.10.2011, S. 10). Allen Gläubigen wünschte Papst Benedikt XVI. im „Jahr des Glaubens“ 2012/13, dass sie die Inhalte des Glaubens, die bekannt, gefeiert, gelebt und im Gebet ausgedrückt werden, wiederentdecken und über ihre persönliche Glaubensentscheidung nachdenken.
Die Suche nach dem tiefsten Sinn des Lebens
Der Evangelist Lukas (vgl. Apg 16,14) lehrt uns, dass es nicht genügt, den Glauben nur zu kennen. Vielmehr muss das Herz, das „Heiligtum“ des Menschen, durch die Gnade Gottes geöffnet werden. Das von der Gnade geöffnete Herz schenkt Augen, die in die Tiefe sehen. Es gelangt zum rechten Verständnis des Wortes Gottes. Echter Glaube führt zu einem öffentlichen Zeugnis und zur Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung. Das Bekenntnis des Glaubens ist einerseits ein ganz persönlicher und andererseits ein gemeinschaftlicher, kirchlicher Akt. In unserem heutigen kulturellen Umfeld gibt es viele Menschen, die zwar den Glauben nicht besonders gut kennen, aber ernsthaft nach dem tiefsten Sinn und der endgültigen Wahrheit ihres Lebens suchen. Diese Suche ist – so Benedikt XVI. – ein „Vorspiel“ zum Glauben, weil es die Menschen zum Geheimnis Gottes führt. Die menschliche Vernunft trägt in sich selbst das Bedürfnis nach dem „immer Gültigen und Bleibenden“ (Papst Benedikt XVI. am 12. September 2008 in Paris). Bei dieser Gottsuche ist der „Katechismus der Katholischen Kirche“ ein wertvolles Hilfsmittel. Er ermöglicht eine umfassende Kenntnis der Glaubensgeheimnisse.
Christen kennen die Erfahrung der Freude und des Leides. Auch in unseren Tagen werden viele Gläubige durch das Schweigen Gottes Prüfungen ausgesetzt, während sie auf die tröstende Stimme Gottes hoffen. In den Prüfungen des Lebens wird das Geheimnis des Kreuzes sichtbar. Der Blick wird auf die Leiden Christi gelenkt (vgl. Kol 1,24). Die Prüfungen des Lebens sind aber auch Vorboten der Freude und der Hoffnung, zu denen der Glaube führt.
Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml
(kw)