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Prof. Kreiml über das Vaterunser

Der Lebensgrund Jesu: Einssein mit dem Vater

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Regensburg, 16. April 2024

Worum geht es beim Beten? Prof. Josef Kreiml nimmt uns mit auf eine Reise zum wohl bekanntesten aller Gebete: das Vaterunser.

Vor einigen Jahren wurde ein lesenswertes Buch mit Meditationen von Benedikt XVI. über das Vaterunser veröffentlicht (vgl. Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Das Vaterunser. Meditationen über das Gebet des Herrn aus „Jesus von Nazareth“. Mit Bildern von Marc Chagall, Freiburg 2008). In dieser Publikation wird der Text des fünften Kapitels des Jesus-Buches von Papst Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung, Freiburg 2007, S. 161-203) präsentiert. Außerdem enthält der Band das „Vaterunser“ in 24 verschiedenen Sprachen und acht beeindruckende Bilder von Marc Chagall („Die Erschaffung des Menschen“, „Der brennende Dornbusch“, „Ostern“, „Mose empfängt die Gesetzestafeln“, „Mose schlägt Wasser aus dem Felsen“, „Die Vertreibung aus dem Paradies“, „Hiob im Gebet“ und „Befreiung“).

Rechtes Menschsein in der Beziehung zu Gott

Die Bergpredigt zeigt uns – so Benedikt XVI. – ein umfassendes Bild vom rechten Menschsein. Das Leben des Menschen wird nur recht, wenn er in der Beziehung zu Gott lebt. Insofern gehört zur Bergpredigt auch eine Lehre vom Gebet. Das eigentliche Gebet, das stille innere Mitsein mit Gott, bedarf ständig der Nahrung. Diese Nahrung ist das konkrete Gebet mit Worten oder Gedanken. Christliches Gebetsleben ist zuallererst Einswerden mit dem lebendigen Gott, der immer zugleich in uns und über uns ist. Nach Lukas, dem dritten Evangelisten, erscheinen wesentliche Ereignisse des Weges Jesu, in denen sich allmählich sein Geheimnis enthüllt, als Gebetsereignisse. Lukas stellt das Vaterunser in den Zusammenhang von Jesu eigenem Beten. Das Vaterunser will uns in die Gesinnung Jesu einüben und so unser Sein formen. In den sieben Bitten nach dem Evangelisten Matthäus ist deutlich entfaltet, was bei Lukas zum Teil nur angedeutet wird. Im Vaterunser wird der Vorrang Gottes aufgerichtet, aus dem von selbst die Sorge um das rechte Menschsein folgt. Mit Verweis auf die Vaterunser-Auslegung des Schriftstellers Reinhold Schneider (1903-1958; Das Vaterunser, Kolmar 1941) unterstreicht Papst Benedikt XVI. den „großen Trost“ des Wortes „Vater“. Dieser große Trost ist den Menschen von heute nicht ohne Weiteres spürbar. Im Beten geht es im Letzten nicht um dies oder jenes, sondern darum, dass Gott sich uns schenken will. Das ist „die Gabe aller Gaben“. Das Gebet ist ein Weg, um unsere Wünsche allmählich zu reinigen und langsam zu erkennen, was uns wirklich nottut: Gott und sein Geist.

Christus – das „Bild Gottes“

Die zweite Dimension der Vaterschaft Gottes besteht darin, dass Christus in einzigartiger Weise „Bild Gottes“ ist. Die Kirchenväter sagen, dass Gott, als er den Menschen „nach seinem Bild“ schuf, im Voraus auf Christus hingeblickt und den Menschen nach dem Bild des „neuen Adam“ Christus, des maßgeblichen Menschen, geschaffen hat. Jesus ist im eigentlichen Sinn „der Sohn“. Er will uns alle in sein Menschsein und so in seine Sohnschaft, in die volle Gottzugehörigkeit hineinnehmen (vgl. J. Ratzinger, Das Vaterunser, S. 33). So wird auch der Wahn der falschen Emanzipation überwunden, der am Anfang der Sündengeschichte der Menschheit stand. Adam wollte Gottes nicht mehr bedürfen. Im Vaterunser-Gebet wird sichtbar, dass Kindsein nicht Abhängigkeit, sondern „jenes Stehen in der Beziehung der Liebe ist, das die menschliche Existenz trägt, ihr Sinn und Größe gibt“ (ebd., S. 34 f).

Einssein mit dem Willen Gottes

Die Bitte „Dein Wille geschehe“ macht deutlich, dass es einen Willen Gottes mit uns und für uns gibt, der Maßstab unseres Wollens und Seins werden muss. Wo Gottes Wille geschieht, ist Himmel. Wie erkennen wir den Willen Gottes? Die Heiligen Schriften gehen davon aus, dass der Mensch in seinem Innersten – im Gewissen – um Gottes Willen weiß. Da das Mitwissen des Menschen mit dem Schöpfer in der Geschichte verdunkelt bzw. verschüttet ist, hat Gott – sozusagen als geschichtlichen „Nachhilfeunterricht“ – das „Zehnerwort“ vom Berg Sinai (Zehn Gebote bzw. zehn Weisungen) gegeben. Das Wort vom Sinai ist nichts dem Menschen von außen Aufgebürdetes, sondern „Auslegung der Wahrheit unseres Seins“ (ebd., S. 63). Mit Hinweis auf das Johannesevangelium (Joh 4,34: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat“) zeigt Benedikt XVI., dass das Einssein mit dem Willen des Vaters der „Lebensgrund“ Jesu ist. Insofern ist Jesus selbst im tiefsten und eigentlichsten Sinn „der Himmel“.

Das Geheimnis des Kreuzes

Im Blick auf die fünfte Vaterunser-Bitte („Vergib uns unsere Schuld“) betont Joseph Ratzinger, dass die Überwindung von Schuld „eine zentrale Frage jeder menschlichen Existenz“ (ebd., S. 85) ist. Was immer wir einander zu vergeben haben, ist gering gegenüber der Güte Gottes, der uns vergibt. Vergebung ist mehr als Ignorieren oder bloßes Vergessenwollen. Schuld muss aufgearbeitet, geheilt und so überwunden werden; Vergebung kostet etwas. Angesichts der Grenzen unserer Kraft, zu heilen und das Böse zu überwinden, stoßen wir auf das Geheimnis des Kreuzes Christi. Der Gedanke, dass Gott sich die Vergebung der Schuld, die Heilung des Menschen von innen her, den Tod seines Sohnes hat kosten lassen, ist uns heute sehr fremd geworden. Dem Verstehen des großen Geheimnisses der Sühne steht unser individualistisches Menschenbild im Weg. „Wir können Stellvertretung nicht mehr begreifen, weil für uns jeder Mensch in sich allein eingehaust ist; die tiefe Verflochtenheit aller unserer Existenzen und ihrer aller Umgriffensein von der Existenz des Einen, des menschgewordenen Sohnes, vermögen wir nicht mehr zu sehen“ (ebd., S. 92). Wenn wir von der Kreuzigung Christi sprechen, müssen wir diese Fragen aufgreifen. Die Vergebungsbitte ist mehr als ein moralischer Appell. Sie ist zutiefst – wie auch die anderen Bitten – ein auf Christus bezogenes Gebet.

Reinigungen und Verwandlungen

Bei der Bitte „Führe uns nicht in Versuchung“ verweist Papst Benedikt XVI. auf das Phänomen notwendiger „Prüfungen“: Wie der Saft der Traube vergären muss, um edler Wein zu werden, „so braucht der Mensch Reinigungen, Verwandlungen, die ihm gefährlich sind, in denen er abstürzen kann, aber die doch unerlässliche Wege sind, um zu sich selbst und zu Gott zu kommen“ (ebd., S. 101 f). Liebe ist immer ein Prozess der Reinigungen, der Verzichte, schmerzvoller Umwandlungen unserer selbst und so Weg der Reifung. In der sechsten Vaterunser-Bitte erinnern wir Gott an das „begrenzte Maß“ unserer Kraft.

Mit seinen Meditationen führt Benedikt XVI. die Leser mit großer sprachlicher Kraft und theologischer Klarsicht zu einem tieferen Verständnis des Herrengebetes hin. Joseph Ratzinger entfaltet – wie es schon Romano Guardini in seinem „zu wenig beachteten“ (Benedikt XVI.) Werk „Gebet und Wahrheit. Meditationen über das Vaterunser“ (3. Auflage 1988) getan hat – eine große Theologie der menschlichen Existenz. Wie die Beziehung zum himmlischen Vater den Personenkern Jesu bildete, so kann auch der Mensch nur als vor Gott Stehender, d. h. als Beter, existieren.

Text: Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml

(kw)



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