Priesterseminarist Noah Walczuch für Studienjahr im Heiligen Land

Wenn das Licht aus dem Grab bricht – Ostern in Jerusalem


Regensburg/Jerusalem, 07. Mai 2025

Der Regensburger Priesterseminarist Noah Walczuch verbrachte sein theologisches Studienjahr im Heiligen Land. In seinem Beitrag berichtet er über diese spannende und aufregenden Zeit.

Als ich an Weihnachten 2024 nach einer turbulenten Evakuierung aus dem kriegsgeschüttelten Heiligen Land in Rom endlich wieder in den Flieger nach Tel Aviv steigen durfte, war es wie eine Rückkehr zu einem unvollendeten Kapitel. Ich wusste: Die verbleibenden Monate meines Theologischen Studienjahres in Jerusalem würden besonders intensiv sein. Gerade die Karwoche. Seit September war ich Teilnehmer des 51. Theologischen Studienjahrs Jerusalem – ein traditionsreiches Programm, das jährlich von der Benediktinerabtei Dormitio in Kooperation mit der römischen Universität Sant‘Anselmo stattfindet. Etwa 20 Theologiestudierende verbringen dabei neun Monate auf dem Zionsberg, inmitten der drei abrahamitischen Religionen, im Schatten der Altstadt Jerusalems.

Ein Abend mit Matze und Lauch

Noch bevor die Heilige Woche im christlichen Kalender begann, durfte ich an einem der Höhepunkte des jüdischen Jahres teilnehmen: dem Sederabend zum Auftakt von Pessach. Ich wurde von der Familie Goldfarb eingeladen, einer mir zuvor unbekannten, jüdisch-orthodoxen Familie in Westjerusalem. Die Einladung kam über einen befreundeten jüdischen Kommilitonen zustande. Der Tisch war gedeckt, Matzen gestapelt, ein silberner Sederteller vorbereitet. Die Frau des Hauses, Toralehrerin, flüsterte mir während des Ritus immer wieder Erklärungen auf englisch ins Ohr. Es begann um 21 Uhr, getragen von Lesungen, Liedern, Fragen der Kinder und symbolischen Speisen: Bitterkräuter, Salzwasser, Charosset. Eine familiäre Tradition war das humorvolle Schlagen mit Lauch – zur Erinnerung an die Versklavung der Israeliten in Ägypten. Das Haus war penibel gereinigt worden, denn kein Krümel gesäuerten Brotes darf zu Pessach übrig bleiben. In orthodoxen Vierteln Jerusalems werden diese Brotreste öffentlich verbrannt – ein beeindruckender Anblick in der engen Altstadt. Der Abend endete erst gegen zwei Uhr morgens.

Hosanna vom Ölberg

Am Palmsonntag kehrte ich in meine vertraute Liturgie zurück – mit einem feierlichen Gottesdienst in der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg. Am Nachmittag aber wurde es lebendig. Aus allen Richtungen strömten Pilger auf den Ölberg, zur traditionellen Prozession, die das Lateinische Patriarchat jedes Jahr organisiert. Die Route beginnt an der Kirche von Betfage, dem Ort, von dem Jesus laut Evangelien seinen Einzug in die Stadt antrat. Etwa 8000 Gläubige – aus Afrika, Europa, Asien, Nord- und Südamerika – bewegten sich mit Palmen, Liedern und Gebeten durch das Kidrontal zur Altstadt. Der Nieselregen störte niemanden. An jeder Ecke sangen andere Gruppen: französische Chöre, afrikanische Rhythmen, philippinische Trommler. Besonders die Philippinos, die ich aus Migrantengottesdiensten kannte, trugen eine ansteckende Freude in sich. Die Prozession endete an der Kirche St. Anna mit einer Rede des Patriarchen – die Karwoche hatte für mich begonnen.

Gründonnerstag: Grab und Garten

Der Morgen begann mit einem der symbolträchtigsten Riten: der Fußwaschung in der Grabeskirche, zelebriert von Patriarch Pierbattista Pizzaballa. Parallel dazu fand vor der Kirche auch die orthodoxe Fußwaschung statt – ein seltenes Nebeneinander der Riten. Die Kirche war überfüllt, der Blick auf das eigentliche Geschehen fast unmöglich. Umso eindrücklicher war die große Prozession: mehr als hundert Priester, alle in Weiß, zogen mit Kerzen drei Mal um das Grab. Am Nachmittag stand der Abendmahlsaal auf dem Zionsberg mit einer Messe auf dem Programm. Unter ihm, so glauben viele Juden, befindet sich das Grab König Davids. Immer wieder kommt es zu Spannungen, wenn Christen dort Messe feiern. Dieses Jahr blieb es ruhig. Doch mein persönlicher Höhepunkt war die nächtliche Ölbergstunde im Garten Getsemani. Dort, zwischen über tausendjährigen Olivenbäumen, lauschte ich durch meine Kopfhörer der Motette „In Monte Oliveti“ von Palestrina – ein musikalisches Echo meiner Jugendzeit mit den Regensburger Domspatzen. Die Kirche selbst war überfüllt, aber draußen war Raum für Stille. In der Nacht schlossen sich arabisch-christliche Jugendgruppen aus Galiläa, Bethlehem und Ramallah an – viele von ihnen dürfen nur in der Karwoche nach Jerusalem. Es folgte eine anschließende Prozession, zur Kirche an deren Ort Jesus nach seiner Verhaftung gewesen sein soll. Nur einen Steinwurf von meinem Zimmer auf dem Zion entfernt.

Karfreitag: Via Dolorosa, Wort und Kreuz

Der Karfreitag begann musikalisch: Morgens sangen wir die Johannespassion in der evangelischen Erlöserkirche, am Nachmittag in der Dormitio. Dazwischen wollte ich zum traditionellen Kreuzweg auf der Via Dolorosa. Die Altstadt war überfüllt, Wege gesperrt. Auf der Via Dolorosa begegnete ich äthiopischen Christen – weiß verhüllt, ihre Kreuze kunstvoll bemalt, begleitet von alten Gesängen in Ge’ez. Ich schloss mich der Prozession an. Hinter ihnen: eine spanische Pilgergruppe und wiederum dahinter die Gruppe, die ich suchte: die Franziskaner. Am Abend dann die Grablegung. Am Salbungsstein, direkt am Eingang der Grabeskirche, wurde eine Christusfigur gesalbt – anschließend in das Grab gelegt. Kein symbolischer Ort, sondern das echte Hl. Grab. Und dann kam der Anruf: Der Regens des armenischen Priesterseminars, mit dem ich seit Wochen in Kontakt war, hatte es geschafft – eine der etwa 2000 Eintrittskarten zum Heiligen Feuer war für mich reserviert, die ich am selben Abend noch bei ihm abholen konnte.

Karsamstag: Licht in der Dunkelheit

Der Karsamstag in Jerusalem ist kein stiller Tag des Wartens, wie man ihn aus den meisten deutschsprachigen Gemeinden kennt. Hier ist er der lebendigste, der lauteste, der aufgeladenste Tag der ganzen Heiligen Woche. Das hat historische Gründe: Seit dem sogenannten Status-Quo-Vertrag aus dem Jahr 1852, der die Rechte und Liturgiezeiten der verschiedenen Konfessionen in der Grabeskirche regelt, feiern die katholischen Christen Ostern bereits am Samstagmorgen. Hintergrund ist, dass die orthodoxe Liturgie – und vor allem das Spektakel um das Heilige Feuer – den Rest des Tages beansprucht. Und so kommt es, dass hier die Osterbotschaft schon im Morgengrauen erschallt.

Doch bevor ich überhaupt zur Ostervigil in der Grabeskirche konnte, musste ich erst einmal in die Altstadt gelangen. Die israelischen Sicherheitskräfte hatten das gesamte Areal großräumig abgesperrt. Nur wer einen triftigen Grund hatte (wie einen Gottesdienst) konnte überhaupt passieren. Ich stand vor dem New Gate, zusammen mit Hunderten anderen. Plötzlich durchbrach ein Ruf das Gedränge: „Catholics here!“ Ein Priester rief alle katholischen Gläubigen zu sich. Die Soldaten öffneten die Absperrung, wir wurden als Gruppe durchgelassen – mit militärischer Begleitung. Der Weg durch die Gassen war wie ein Pilgerzug unter Aufsicht. Aber: Wir waren drin.

Die Messe in der Grabeskirche war gefühlt kurz. Vielleicht lag das auch daran, dass ich innerlich längst auf das vorbereitet war, was am Nachmittag folgen würde: das Heilige Feuer, der spektakulärste Moment des orthodoxen Kirchenjahres. Ich ging durch das Armenische Viertel, zum Priesterseminar, das mir tags zuvor eine Karte reserviert hatte. Sie ist gelb, aus Plastik, ein schlichtes Bändchen – und doch heiß begehrt. Nur etwa 2000 solcher Bändchen werden jedes Jahr verteilt. Katholiken sind in der Regel unerwünscht. Im Seminar zog ich meinen Ost-Kirchen-Talar an, den ich für den Anlass ausgeliehen hatte. „Zieh dich um und reih dich ein“, sagte der Regens trocken. Und so stand ich auf einmal als scheinbar selbstverständlicher Teil der armenischen Seminaristen. Um 10.30 Uhr formierten wir uns. Armenische Bischöfe, Diakone, Priester, Seminaristen – eskortiert von Polizei. Gemeinsam zogen wir zur Grabeskirche. Drinnen wartete eine Atmosphäre wie im Stadion, aber nicht profan, sondern aufgeladen mit Erwartung und Geschichte. Man spürte förmlich, dass etwas geschehen würde.

Meine Aufgabe war es, den armenischen Bereich zu sichern – zu schauen, dass niemand unberechtigt hineinrutschte, dass Ordnung blieb in diesem heiligen Chaos. Und dann kam der Moment. Gegen 14 Uhr zogen ein griechisch-orthodoxer und ein armenischer Priester, jeweils aufwendig überprüft, ohne technische Hilfsmittel, ins Grab. Dort bleiben sie etwa eine halbe Stunde. Alle Blicke waren auf das kleine, dunkle Gebäude gerichtet. Es war still. Und dann – ganz plötzlich – Jubel, Glocken, Schreie. Das Feuer war entfacht. Unmittelbar nach dem Entzünden reichte der griechisch-orthodoxe Patriarch das Feuer durch eine Öffnung nach draußen. Sofort verbreiteten sich die Flammen in Windeseile durch die gesamte Kirche. Menschen liefen, schrien, weinten, lachten. Priester gaben den Segen mit lodernden Kerzen. Innerhalb von Minuten war das Heilige Feuer – dieses Zeichen der Auferstehung – in jedem Winkel der Grabeskirche angekommen. In die Ukraine, nach Russland, Armenien, Ägypten, Griechenland – von hier aus geht es in alle Richtungen der orthodoxen Welt. Nach zwanzig Minuten war die Kirche vollständig im Rauch. Das Licht hatte sich verteilt – die Luft war dick, die Stimmung surreal. Nach dreißig Minuten war alles vorbei. Die Kirche leerte sich. 

Ostern: Am Ziel angekommen

Und Ostern für mich damit erst wirklich angebrochen. Am Abend kehrte ich zurück zur Dormitio – zur Osternacht, die in lateinischem Ritus gefeiert wurde, mit Exsultet und Taufwasser, mit Osterkerze und Gloria. Nach allem, was hinter mir lag, fühlte sich diese Liturgie auf eine besondere Weise ruhig an. Am Ostermontag machte ich mich auf den Weg nach Emmaus. Danach blieben mir noch sieben Tage. Tage des Packens, des Abschiednehmens, des inneren Sortierens. Neun Monate Jerusalem gingen zu Ende. Eine Zeit, die mich mehr geprägt hat als jede andere zuvor. Am 28. April, frühmorgens, hob mein Flugzeug in Tel Aviv ab. Die Sonne stand tief hinter uns, als wir nach Westen flogen. Unter mir das Land der Bibel. Vor mir Regensburg.

Text und Fotos: Noah Walczuch



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