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Person der Woche: Dr. Gabriel Weiten

Was heißt denn nun Synodalität bei Papst Franziskus?

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Regensburg, 16. Mai 2023

Im Interview "Person der Woche" sprachen wir mit Dr. Gabriel Weiten, dem theologischen Referenten von Bischof Dr. Voderholzer, über das Thema Synodalität.

Herr Weiten, Sie wurden über eine Arbeit mit dem Thema „Synodale Communio – Papst Franziskus und Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. im Vergleich“ promoviert. Der Begriff „synodal“ wird in aktuellen kirchenpolitischen Fragen immer wieder unterschiedlich akzentuiert. Aber was meint der Begriff wirklich?

Es ist in der Tat so, dass man davon ausgehen muss, dass die kirchlichen Akteure in Rom und diejenigen in Deutschland ein völlig unterschiedliches Verständnis von Synodalität haben. Man muss also von einer Äquivozität des Begriffs Synodalität ausgehen. Nur so ist die offensichtliche Kommunikationsstörung zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gemeinsam mit dem Präsidium des „synodalen Weges“ erklärbar, die zuletzt in den Reaktionen auf den Brief der Kardinäle Parolin, Ouellet und Ladaria bezüglich des synodalen Rates deutlich wurde. Das Präsidium sieht sich als „Musterknabe“ in der Umsetzung der Forderung des Papstes nach mehr Synodalität und der Papst ist der Überzeugung, dass der „sogenannte synodale Weg“, wie er immer sagt, eher einem weltlichen Kompromissfindungsprozess in der Art eines Parlamentes gleicht.

Vielleicht könnten Sie uns die unterschiedlichen Vorstellungen zum Begriff Synodalität kurz darlegen.

Synodalität ist grundsätzlich zunächst einmal eine Praxis der Alten Kirche. In der evangelischen Kirche bedeutet es kurz gesagt: Beteiligung an der Leitung, in der orthodoxen Kirche: Leitung, und in der katholischen Kirche bisher „nur“ Beratung. Papst Franziskus ist es ein Anliegen, dass die Haltung, die dahinter steckt, die vor allem im gemeinsamen Hören aufeinander und auf Gottes Wort verwirklicht wird, intensiver in der Kirche gelebt wird. Viele Befürworter des „synodalen Weges“ verstehen Synodalität als Beteiligung von Laien an der Leitung der Kirche, was sich z.B. im Beschluss „Synodalität nachhaltig stärken“ zeigt, in dem ein nationaler „synodaler Rat“ gefordert wird, der „Grundsatzentscheidungen von überdiözesaner Bedeutung“ treffen soll.

Welches Synodalitätsverständnis hat Papst Franziskus und welches Kirchenverständnis kann als Grundlage dafür verstanden werden? Sie betonen, dass Kritiker bezüglich seines Synodalitätsverständnisses ihm unterstellen, widersprüchliche Signale zu senden.

Ich möchte es mit einem Vergleich verdeutlichen: In der „synodalen Kirche“ nach Papst Franziskus wird die „participatio actuosa“– die tätige Teilnahme, die die Liturgiekonstitution für die Gläubigen in der Liturgie, vor allem und besonders in der Eucharistiefeier anstrebt, auf alle Bereiche des kirchlichen Lebens ausgedehnt. Die „participatio actuosa“ führt in der Eucharistiefeier nicht dazu, dass die Gemeinde die Rolle des Zelebranten übernimmt. Genauso will der Heilige Vater mit der Synodalität keine neuen Strukturen schaffen, sondern die vorhandenen Strukturen mit neuem Leben füllen, eben so, dass jeder spüren kann, dass das kirchliche Leben ihn existenziell betrifft. Franziskus ist auch nicht bereit, die Lehre der Kirche zur Disposition zu stellen, sondern er möchte vielmehr zu einer Verlebendigung und „Verheutigung“ der Lehre beitragen. Auffällig ist, dass er sein Synodalitätsverständnis sowohl gegen „progressistische“, wie auch gegen „traditionalistische“ Engführungen verteidigt. Papst Franziskus hat, so muss man nach meinem Dafürhalten sagen, ein im wahrsten Sinne des Wortes „katholisches“ Synodalitätsverständnis. Dieses speist sich aus der Heiligen Schrift und der Tradition der Kirche und will die kirchliche Lehre und ihre hierarchische Struktur nicht abschaffen, sondern neu mit Leben füllen.

Der Heilige Vater setzt ein Verständnis von Kirche voraus, welches Joseph Ratzinger, der Ende letzten Jahres verstorbene Papst emeritus Benedikt XVI. als Communio-Ekklesiologie bezeichnet hat. Die Kirche wird dabei als eine sakramentale Institution verstanden. Das Zeugnis der Heiligen Schrift und der Kirchenväter sind für dieses Kirchenverständnis prägend. Diese lebendige Gemeinschaft ist rechtlich geordnet und baut sich auf aus der eucharistischen Versammlung des Volkes Gottes, die allen Mitfeiernden gleicher Maßen Anteil an dem einen Leib Christi schenkt. Von ihr her entsteht die „Communio“ der Menschen mit Gott und untereinander, also das, was das Wesen der Kirche ausmacht: Sammlung der Menschen und ihre Vereinigung mit Gott. Die Eucharistiefeier ist dabei also nichts, was die Kirche neben vielem anderen eben auch noch tut, sondern sie ist der Ort, an dem die Kirche „Kirche“ wird.

Sie betonten, dass Franziskus drei Formen von Synodalität unterscheidet. Welche sind das und wie variieren diese von den Vorstellungen vom Synodalen Weg in Deutschland?

In den Äußerungen des Papstes lassen sich meiner Ansicht nach folgende Formen von Synodalität unterscheiden: Synodalität der Kirchenleitung, Synodalität der Pastoral und Synodalität des Lebens. Was die Synodalität der Kirchenleitung betrifft, sieht der Heilige Vater einen großen Nachholbedarf auf der regionalen Ebene, also z.B. bei den Metropolien. Vorstellbar wäre demnach, um ein konkretes Beispiel zu nennen, eine regelmäßige Beratung und Absprache des Metropoliten der Kirchenprovinz München und Freising, Kardinal Marx, mit den Suffraganbischöfen Stefan Oster, Bertram Meier und Rudolf Voderholzer. In den Bereich „Synodalität der Pastoral“ gehören die vorhandenen Beratungsgremien auf den unterschiedlichen Ebenen der Kirche. Hier ist es Papst Franziskus wichtig, dass die Hirten das Volk Gottes anhören und dass jeder, der in einem kirchlichen Gremium sitzt, weiß, wie und was die einfachen Gläubigen denken, damit die kirchliche Lehre als echte Antwort auf heutige Fragen verkündet werden kann. Die dritte Form, also die Synodalität des Lebens, soll dazu führen, dass der synodale Stil der darin besteht, Gemeinschaft zu pflegen, aufeinander zu hören und gemeinsam auf den Heiligen Geist zu hören, auf die Welt ausstrahlt und zeigt, dass die Einheit einer Gemeinschaft trotz vorhandener Unterschiede gewahrt werden kann. Dem „synodalen Weg“, bzw. der Mehrheit in der Synodalversammlung, war, kurz gesagt, im Gegensatz dazu daran gelegen, Leitungsstrukturen und wichtige Lehrinhalte der Kirche zu verändern und einen demokratisch-politischen Stil von außen in die Kirche „einstrahlen“ zu lassen.

Papst Franziskus lehrt auf der Basis des Ersten und Zweiten Vatikanischen Konzils, dass die Synodalität die hierarchische Verfassung der Kirche weder in Frage stellt noch beschneidet. Warum wird der Papst hier immer wieder falsch verstanden?

Über die Motive einer Fehlinterpretation könnte ich nur Mutmaßungen anstellen, womit ich mich aber zurückhalten will. Tatsache ist, dass die Rezeption der päpstlichen Äußerungen zu Synodalität in Deutschland Tendenzen zeigt, Kirche im Anschluss an Hans Küng eher als „Concilium“zu begreifen, flapsig gesagt, als eine Art Debattierclub. Ein solches Kirchenverständnis muss automatisch zu Missverständnissen führen, wenn es darum geht, Synodalität zu definieren. Forderungen beispielsweise, die Autorität der Bischöfe zu beschneiden oder die sakramentale Struktur der Kirche zu verändern, sind mit dem Communio-Verständnis, das Papst Franziskus voraussetzt, nicht kompatibel. Sie setzen ein konziliares Kirchenverständnis voraus, welches Hans Küng mit seiner Antrittsvorlesung in Tübingen grundgelegt hat. Ihm war es ja, vor allem in seinen Arbeiten vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, ein großes Anliegen, solche Reformen in der Kirche voranzubringen, die die Ökumene mit den aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionen erleichtern würden.

In welchem Verhältnis sieht der Heilige Vater die Synodalität zur Lehre der Kirche? Ist seine Vorstellung eine Alternative zu der von den deutschen Synodalen kritisierten „hierarchischen Kirche“?

Ich will Ihnen hierzu ein Beispiel nennen. In der vielzitierten Rede des Papstes anlässlich der 50-Jahr-Feier der Errichtung der römischen Bischofssynode im Jahr 2015 zitierte der Heilige Vater den Kirchenvater Johannes Chrysostomus mit den Worten „Kirche und Synode sind Synonyme“. Dieses Zitat wurde in Deutschland als Aufruf zu Strukturreformen, vor allem im Hinblick auf Leitung und Partizipation, verstanden. Unmittelbar vor diesem Zitat lehrt Papst Franziskus allerdings auf der Basis des Ersten und Zweiten Vatikanischen Konzils unmissverständlich, dass die Synodalität die hierarchische Verfassung der Kirche weder infrage stellt noch beschneidet. Die Apostolische Autorität des Bischofskollegiums und des Papstes bleiben strukturell von der Synodalität unberührt. Man muss also von einer stark selektiven Rezeption der päpstlichen Aussagen ausgehen.

Gabriel Weiten am 23. September 2022 gemeinsam mit Bischof Dr. Rudolf Voderholzer zu Besuch bei Papst em. Benedikt XVI. im Kloster "Mater ecclesiae" im Vatikan.

Gabriel Weiten am 23. September 2022 gemeinsam mit Bischof Dr. Rudolf Voderholzer zu Besuch bei Papst em. Benedikt XVI. im Kloster "Mater ecclesiae" im Vatikan.

Sie zeichnen in Ihrer Promotion eine inhaltliche Kontinuität zwischen der Rede Bergoglios und der Freiburger Konzerthausrede von Papst Benedikt XVI., in der er eine „Entweltlichung“ der Kirche forderte. Anders gesagt: Sie betonen, dass das Synodalitätsverständnis von Papst Franziskus ein Verständnis von Kirche voraussetzt, welches Joseph Ratzinger, der kürzlich verstorbene Papst emeritus Benedikt XVI. als Communio-Ekklesiologie bezeichnete. Immer wieder wird in den Medien von zwei sehr verschiedenen Theologien zwischen Papst Franziskus und dem verstorbenen Papst emeritus Benedikt XVI. gesprochen. Ist diese Differenz wirklich so groß?

Am 23. September 2022 konnte ich Benedikt XVI. im Kloster „Mater ecclesiae“ besuchen und durfte ihm meine Doktorarbeit kurz vorstellen. Ich berichtete ihm, dass ich darin die These vertrete, dass das Synodalitätsverständnis von Papst Franziskus seine Communio-Ekklesiologie voraussetze und von ihr her verstanden werden müsse. Der 95-Jährige Papa emerito antwortete mit nur einem Wort: „Kontinuität!“

Natürlich wird heute niemand mehr leugnen, dass Papst Franziskus und Papst Benedikt XVI. sehr unterschiedliche Arten haben, das Papstamt auszuüben. Sie sind ja auch vor ihrer Papstwahl völlig verschieden geprägt worden. Wenn man aber ihre Äußerungen zu Synodalität einerseits und zur Communio-Ekklesiologie andererseits vergleicht, wird man die Parallelen nicht übersehen können: neben anderen inhaltlichen Aspekten besonders auffällig der immer wiederkehrende Hinweis auf horizontalistische Fehldeutungen von Synodalität und der Communio-Ekklesiologie.

Bei den beiden von Ihnen angesprochenen Ansprachen kann man auch eine inhaltliche Ähnlichkeit erkennen. Beide beinhalten die Aufforderung, dass die Kirche in ihrer Verkündigung zum Kern der christlichen Botschaft zurückkehren müsse, Stichwort: Evangelisierung. Man wird sicher viele solcher einzelnen inhaltlichen Bezüge zwischen beiden Päpsten herstellen können. Das liegt ja auch ein wenig in der Natur der Sache. Wichtiger ist mir aber die grundsätzliche Vergleichbarkeit des Synodalitätsverständnisses von Papst Franziskus einerseits und der Communio-Ekklesiologie Joseph Ratzingers / Benedikts XVI. andererseits, weil sie zeigt, auf welcher Basis sich Franziskus mit seiner Forderung nach einer „synodalen Kirche“ bewegt.

Derzeit polarisiert der „Synodale Weg“ Deutschlands sowohl im eigenen Land als auch in der Weltkirche die Geister. Was würden Sie den Akteuren nach ihrer Promotion entgegnen?

Diese Polarisierung ist, das ist mittlerweile erkennbar, ein vielschichtiges Problem. In inhaltlicher Hinsicht würde ich sagen: Eine Verwirklichung von Synodalität, die mit Änderungen der Verfassungsstruktur der Kirche oder mit einer vermeintlichen Weiterentwicklung, bzw. einer Beschneidung der Lehre einhergeht, kann sich nicht auf Papst Franziskus berufen. Diejenigen, die dies weiterhin propagieren, müssen redlicherweise klarmachen, dass sie damit in Frontstellung gegen den Petrusnachfolger und somit gegen die Einheit der Kirche gehen.

Interview: Stefan Groß

Titelbild: Gabriel Weiten (Mitte) nach der erfolgten Promotion durch den Magnus Cancellarius der Theologischen Fakultät Trier, Bischof Dr. Stefan Ackermann (2. v. l.), gemeinsam mit dem Doktorvater, Bischof Dr. Rudolf Voderholzer, (4. v. l.) sowie dem Zweitkorrektor, Prof. Dr. Walter Andreas Euler (5. v. l.) und dem damaligen Rektor der Theologischen Fakultät Trier, Prof. Dr. Johannes Brantl (1. v. l.)



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