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Person der Woche: Diözesankonservatorin Dr. Maria Baumann

„Die Kirchensteuermittel sind für uns ganz wichtig“

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Regensburg, 27. April 2023

Im Interview "Person der Woche" mit der Diözesankonservatorin und Leiterin der Abteilung Kunst und Denkmalpflege. Dr. Maria Baumann, sprachen wir darüber, wie wichtig die Kunst ist, um die Freude des Sehens neu zu entdecken, die eigene kulturelle Identität zu ergründen und die tiefe Bedeutung unserer Existenz zu verstehen.

Über Jahrtausende hinweg war Kirchengeschichte zugleich Kunstgeschichte und umgekehrt. Mit ganz unterschiedlichen Ausstellungsprojekten wie „Zwei Türme für den König. 150 Jahre Vollendung der Regensburger Domtürme“ mit über 35.000 Besuchern und der überregional wahrgenommenen Schau „Der göttliche Funke II“ mit den Werken von Markus Lüpertz, einem der international bedeutendsten zeitgenössischen Künstler, führen Sie diese Tradition in die Gegenwart weiter. Wie wichtig sind derartige Veranstaltungen für die heutige Zeit?

Im Mittelpunkt aller unserer Ideen und Konzepte stehen heute die Besucher. Sie sollen bereichert, inspiriert aus dem Museum gehen. Die Intention der kirchlichen Museen hat sich mit der Geschichte gewandelt. Doch es gibt ein Verbindendes mit den Ursprüngen. Der Aufbau kirchlicher Museen geschah in einer Zeit der Krise, einer neuen Standortbestimmung. Mit der Eröffnung eines Museums antiker Skulpturen auf dem Kapitol 1734 und der Vatikanischen Museen in Rom gehörte die Katholische Kirche im 18. Jahrhundert zu den Gründern der ersten öffentlichen Museen Europas. Das Museum ist ein Ort der Zeit. Historische Kulturzeugnisse erzählen uns, wie die Generationen vor uns gedacht, gelebt und geglaubt haben. Dieses Vermächtnis und Potential zu bewahren, ist unser Auftrag. Dabei stehen zu bleiben würde den heute immer lauter schallenden Vorwurf einer rückwärtsgewandten, statischen Kirche bestätigen. Kirchliche Kulturangebote können mehr: Wir wollen, auch und besonders mit dem neuen Museumsquartier am Dom, nichtalltägliche Orte des Staunens gestalten. Sie überbrücken Grenzen, sind partizipativ, offen, enttäuschen Erwartungen hoffentlich positiv, um zu überraschen, stellen Fragen in den Lebenswelten, öffnen der Kunst neue Räume.

Sie sprechen von unserer abendländischen Identität, vom christlichen Erbe, das unsere Wertekultur bis heute prägt. Welchen Auftrag hat die Kirche gerade mit Blick auf die Kunst und die Kulturvermittlung?

Auch die Kunst in kirchlichen Museen kann natürlich keine letztgültigen Antworten geben. Im Dialog können die historischen Zeugnisse aber wieder ihre Bedeutung in Situationen, die uns heute bewegen, entfalten. Ein ästhetisches Kunstwerk, das für ein biblisches Ereignis steht, kann in seiner spirituellen Dimension wieder Gesprächspartner in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit christlichen Inhalten und menschlichen, ganz existentiellen Lebenserfahrungen werden. Es kann vielleicht Trost spenden, den eigenen Schmerz, Verlustängste, Trauer, Vergänglichkeit ebenso wie Geborgenheit, Liebe, Vertrauen, Hoffnung, Angenommensein spüren lassen, berühren in einem augenblicklichen Bedeutungskontext. Die Kunst bringt immer wieder etwas Neues, Ungewohntes, Fremdes als eine sie auszeichnende Qualität in unsere Wirklichkeit, der wir im Museum schauend und hörend begegnen können. Kirchliche Häuser sind vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen besonders herausgefordert, ihre Botschaft glaubhaft und anziehend zu vermitteln und den Menschen ein offenes Angebot zu machen.

Das Kunst und Kirche zusammengehören, ist Ihr Credo, da es sowohl beim Glauben als auch bei der Kunst um existentielle Themen geht. Was unterscheidet die Kunstsammlungen von staatlichen Sammlungen und was ist der Mehrwert, den Sie mit über 40.000 Exponaten bieten können?

Unser Kölner Kollege Dr. Joachim Plotzek hat bei der Festrede zu 150 Jahre Kunstsammlungen des Bistums Regensburg 2004 die Chance beschrieben, die heute umso mehr gilt: Das Diözesanmuseum „könnte gerade in seiner – gegenüber einem Kirchenraum – größeren `Neutralität´ des Ortes das weitgefächerte Experimentierfeld eines in der Kunst sich manifestierenden Gesprächs von religiösen und künstlerischen Fragestellungen und Sichtweisen sein, die dem Einzelnen ein Spielraum der Nachdenklichkeit werden kann und der Kirche insgesamt ein Energiefeld der Sinnstiftung von höchster Aktualität.“ Im Idealfall vereinen wir ganz Vieles, das Eintauchen in die Geschichte, das ein kulturhistorisches Museum bietet, und das Entdecken eines Kunstmuseums und bieten darüber hinaus an, dass die Besucher Impulse für ihre eigenen Lebensfragen bekommen. Kunst im kirchlichen Museum hat keinen missionierenden, doch durchaus einen pastoralen, seelsorgenden Anspruch. Wir wünschen uns, dass wir mit Ausstellungen dazu beitragen können, die Freude des Sehens neu zu entdecken, die eigene kulturelle Identität zu ergründen und die tiefe Bedeutung unserer Existenz zu verstehen.

Die Kunstschätze des Bistums sind nicht nur wertvoll, sondern müssen gepflegt und versichert werden. So kosten Restaurierung und Sicherung der Kunstgegenstände jährlich 50.000 Euro. 20.000 Euro geben Sie jedes Jahr für pädagogische Konzepte, didaktisches Material, Führungen und die Vermittlung der Kunst aus. Welche Rolle spielen hier die Kirchensteuern?

Ohne die Beiträge so vieler Menschen wäre unsere Arbeit nicht möglich. Wissenschaft gehört zu den originären Aufgaben. Sammeln, Bewahren und Forschen sind die Grundlage für Ausstellen und Vermitteln – und damit für das öffentliche Erleben der Museumssammlungen. Das Erbe der Generationen zu erhalten und in die Zukunft zu führen, ist ein unglaublich spannendes Arbeitsfeld. Wir sind sowohl im Bereich Denkmalpflege mit der Inventarisation der Kunstobjekte in den rund 2400 Kirchen unseres Bistums als auch im Bereich der musealen Sammlungen immer auf Spurensuche von der Vergangenheit in die Gegenwart und darüber hinaus. Der Regensburger Domschatz zählt zu den berühmtesten mittelalterlichen Schatzkammern Europas. Wir haben ganz besondere Kirchen in der Oberpfalz und Niederbayern, die auch als touristische Ziele viele Besucherinnen und Besucher anziehen. Die vielen ehrenamtlich engagierten Frauen und Männer in den Pfarreien beim Erhalt und der Pflege der Kunst zu unterstützen, gehört ebenso selbstverständlich zu unseren Aufgaben. Wir verstehen uns hier als Serviceeinrichtung und Ansprechpartner. Ohne Kirchensteuermittel wären die vielfältigen Tätigkeitsbereiche nicht zu erfüllen. Wir sind dankbar, dass wir die Möglichkeiten, auch die finanziellen, haben, unsere Arbeit gut zu machen.

Bislang war es für die Besucherinnen und Besucher immer ganz selbstverständlich, die Kunstschätze des Bistums zu bewundern. Bei immer knapper werdenden Einnahmen seitens der Kirche stellt sich die Frage: Kann man das in Zukunft alles weiter finanzieren, selbst wenn man eine Vielzahl von ehrenamtlichen Mitarbeitern hat?

Wir bemühen uns um Fördermittel, um Projekte verwirklichen zu können. Die neuen Glasfenster von Markus Lüpertz, die noch in diesem Jahr den frühgotischen Raum von St. Ulrich am Dom wieder in einem ganz neuen Licht erstrahlen lassen, wurden ausschließlich von privaten Spendern finanziert. Wir erhalten beim Neubau des Museumsdepots und der Umsetzung des neuen Museumsquartiers am Dom vielfältige Fördermittel, unter anderem vom Staat aus einem Programm für national bedeutsame Kultureinrichtungen. Das Bistum Regensburg sieht in der Kultur eine einladende Brücke zu Begegnung und Auseinandersetzung, zu neuen Zugängen und offenen Fragestellungen, sieht auch die Verpflichtung, die Tradition als Kulturträger vieler Jahrhunderte fortzuführen. Dennoch sind Einsparungen notwendig. Wir gehen sehr bewusst mit den Finanzmitteln um und hoffen, dass wir noch lange den Menschen Vieles und Außergewöhnliches anbieten können. Denn die Kultur(landschaft) wäre ohne den kirchlichen Beitrag ärmer. Wenn man sich zum Beispiel vorstellt, dass in Bayern eben nicht mehr selbstverständlich große Barockbasiliken in ihrem Glanz offenstehen, weil die Mittel zum Erhalt der Gebäude und Kunstausstattung fehlen könnten. Oder wenn Kirche als Auftraggeber und Partner für Künstler und Kulturanbieter ausfallen würde.

Sie haben in einem Interview einmal betont: „Wir versuchen, den Kirchensteuerzahlern möglichst viel zurückzugeben.“ Wie sieht das konkret aus? Kann man heute durch die Kunst Menschen erneut zum Glauben bewegen? Sie betonen ja ausdrücklich, dass Ihre Angebote nicht auf Kirchenmitglieder beschränkt sind.

Es ist uns wichtig, vielfältige Angebote für unterschiedlichste Zielgruppen zu machen. Ein Schwerpunkt der Vermittlung liegt bei museumspädagogischen Aktionsführungen für Familien, Schulklassen, Erstkommunion- und Firmgruppen aus dem ganzen Bistum. Wir zeigen und vermitteln mit Meisterwerken sakraler Hochkunst an authentischen Orten die historischen Entwicklungen des Bistums Regensburg, des Glaubenslebens im Spiegel der bildenden Künste und der Architektur. Ebenso wichtig ist uns die religiöse Volkskunst. Dabei ist es ein Anliegen, Kostbarkeiten und handwerkliche Zeugnisse in der ganzen Bandbreite und Fülle des Brauchtums vor dem Verschwinden zu retten, sie der Nachwelt zu erhalten und den kommenden Generationen aufzuschließen. Unsere Sammlung reicht von Lichtmesskerzen bis zur zeitgenössischen Bildhauerarbeit. Mit Leihgaben unterstützen wir Ausstellungen in ganz Deutschland und international. In Kooperationen mit Hochschulen, z. B. mit der Universität Regensburg und dem Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der TH Köln, bieten wir Studenten ein breites Forschungsfeld und neue Zugänge zu Objekten, die Menschen über Jahrhunderte aus ihrem Glauben geschaffen haben. Unsere Projekte, Ausstellungen, Lesungen, Konzerte, Führungen sind natürlich offen für alle. Kirchensteuerzahler ermöglichen in der Solidargemeinschaft auch Menschen, die sich von der Kirche abgewandt haben, kulturelle Angebote und Möglichkeiten. Die Deutsche Bischofskonferenz hat in ihrem Schreiben „Kirche und Kultur“ formuliert: „Mitunter sind die Künste das einzige Scharnier zu Menschen, die religiös nicht (mehr) sozialisiert sind.“

Was kann man tun, dass die uralte Verbindung zwischen Kirche, Kunst und Gesellschaft nicht verloren geht?

Untersuchungen zeigen, dass viele Menschen, auch bei einem kritischen Blick auf die Institution, die christlichen Kirchen als kulturhistorische Pfeiler, als soziale und künstlerische Kraft schätzen. Das reiche Erbe, das wir heute in christlicher Kunst haben, hat zwei starke Säulen. Die Kirche hat in allen Jahrhunderten im Stil ihrer Zeit gebaut und gestaltet, ja manchmal auch rigoros das Vergangene zurückgelassen. Und Kirche hat immer die besten Künstler ihrer Zeit beauftragt. Es begann mit hoch qualitätvollen Werken in der Frühzeit. Seit der Renaissance kennen wir die Namen der Künstler, der Bogen reicht weit: Lorenzo Ghiberti, Da Vinci, Michelangelo, Carravagio, Raffael, Stefan Lochner, Grünwald, die Asams. Wenn diese Spur heute mit Künstlern wie Gerhard Richter und Markus Lüpertz, um nur zwei der bekanntesten zu nennen, weiterverfolgt wird, gibt es Diskussionen, die aber unbedingt geführt werden müssen. Wir wollen Kirche als Kulturträger in einer reichen Geschichte und mit zeitgenössischen Angeboten als offenen Gastgeber für Einheimische und Fremde, für Gläubige und Fernstehende wahrnehmbar machen. Kirchliche Kunsträume können Orte des Kennenlernens, der Freude, der Katechese und der Spiritualität sein, lebendige Begegnungsräume der Auseinandersetzung und der Überraschung. Kulturelle Angebote können Momente schenken, in denen Besucher das große Ganze erahnen und sich aufgehoben fühlen, in denen sie mit allem, was sie bewegt, mit Zweifeln, ihren Sorgen und Sehnsüchten, im Glück und in ihrer Liebe einfach da sein können.

Interview: Stefan Groß

(kw)

 

Weitere Infos

Zur Person:

Dr. Maria Baumann ist seit August 2016 Diözesankonservatorin und Leiterin der Abteilung Kunst und Denkmalpflege im Bistum Regensburg mit den Kunstsammlungen und Diözesanmuseen. Baumann studierte Volkskunde/Kulturwissenschaften, Kunstgeschichte und Religionswissenschaften.



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