Papst Benedikt XVI. 2011 in Deutschland
Erneuerung des Glaubens und der Kirche
Regensburg, 9. Januar 2023
Im September 2011 hat Papst Benedikt XVI. eine Apostolische Reise nach Deutschland unternommen. Er hat in seinen damaligen Ansprachen wichtige theologische Fragen aufgegriffen. Gerade heute – in einer Zeit, die im Zusammenhang mit dem Synodalen Weg der deutschen Diözesen durch heftige, auch theologische Essentials betreffende Auseinandersetzungen bestimmt ist, – lohnt es sich, die theologische Wegweisung Benedikts XVI. aus dem Jahr 2011 noch einmal intensiv zu bedenken.
Erneuerung der Kirche durch einen erneuerten Glauben
Bei der sonntäglichen Eucharistiefeier auf dem City-Airport in Freiburg hat der Papst damals auf das Evangelium des 26. Sonntags im Jahreskreis (Mt 21,28-32) Bezug genommen: Jesus erzählt das Gleichnis von den ungleichen Söhnen, die vom Vater eingeladen werden, im Weinberg zu arbeiten. Die Botschaft dieses Gleichnisses ist klar. Nicht auf das Reden, sondern auf das Tun kommt es an, auf die Taten der Umkehr und des Glaubens. Jesus richtet diese Botschaft an die religiösen Experten seines Volkes. Sie sagen zunächst ja zu Gottes Willen. Aber ihre Religiosität wird Routine, und Gott beunruhigt sie dann nicht mehr. Die drastischen Worte Jesu „Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr“ könnten – in der Sprache der Gegenwart – so lauten: „Agnostiker, die von der Frage nach Gott umgetrieben werden; Menschen, die unter ihrer Sünde leiden und Sehnsucht nach dem reinen Herzen haben, sind näher am Reich Gottes als kirchliche Routiniers, die in ihr nur noch den Apparat sehen, ohne dass ihr Herz ... vom Glauben berührt wäre“ (Apostolische Reise Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. nach Berlin, Erfurt und Freiburg 22.-25. September 2011. Predigten, Ansprachen und Grußworte, Bonn 2011, 134). Dieses Wort Jesu muss uns erschüttern. Fragen wir uns: Wie steht es um meine persönliche Gottesbeziehung – im Gebet, in der sonntäglichen Messfeier, in der Vertiefung des Glaubens durch die Betrachtung der Heiligen Schrift und das Studium des Katechismus der Katholischen Kirche? „Die Erneuerung der Kirche kann letztlich nur durch die Bereitschaft zur Umkehr und durch einen erneuerten Glauben kommen“ (ebd., 135).
Die Herausforderungen der Zukunft annehmen
Die Kirche in Deutschland wird die großen Herausforderungen der Zukunft bestehen und Sauerteig in der Gesellschaft bleiben, „wenn Priester, Gottgeweihte und christgläubige Laien in Treue zur jeweils spezifische Berufung in Einheit zusammenarbeiten; wenn Pfarreien, Gemeinschaften und Bewegungen sich gegenseitig stützen und bereichern; wenn die Getauften und Gefirmten die Fackel des unverfälschten Glaubens in Einheit mit dem Bischof hochhalten und ihr reiches Wissen und Können davon erleuchten lassen. Die Kirche in Deutschland wird für die weltweite katholische Gemeinschaft weiterhin ein Segen sein, wenn sie treu mit den Nachfolgern des heiligen Petrus und der Apostel verbunden bleibt … und sich dabei auch von der Glaubensfreude der jungen Kirchen anstecken lässt“ (ebd., 136 f). Christliche Existenz ist Pro-Existenz: Dasein für die anderen, demütiger Einsatz für den Nächsten und für das Gemeinwohl (vgl. Phil 2,3-4). Demut ist eine Tugend, die oft nicht hoch im Kurs steht. Aber sie ist gleichsam das Öl, das Gesprächsprozesse fruchtbar, Zusammenarbeit möglich und Einheit herzlich macht. Demütige Menschen hören auf Gottes Wort, das die Kirche und jedes Glied in ihr unaufhörlich erneuert.
Ansprache an die Priesteramtskandidaten
In seiner Ansprache bei der Begegnung mit den Seminaristen in Freiburg hat der Papst mit Bezugnahme auf die Berufung der Zwölf durch Jesus (vgl. Mk 3,14) auf die Paradoxie des Jüngerseins verwiesen: Wenn die Jünger wirklich mit Jesus sind, dann sind sie immer auch unterwegs zu den anderen, dann müssen sie weitergeben, was sie gefunden haben, dann müssen sie Gesandte sein. „Und umgekehrt, wenn sie rechte Gesandte sein wollen, dann müssen sie immer bei ihm sein“ (ebd., 111). Als Priester müssen wir zu den Menschen gehen, aber wir können es nur, wenn wir dabei immer bei Christus bleiben. Dieses Miteinander von Sendung und Mit-ihm-Sein zu erlernen, ist ein wesentliches Element der Vorbereitung auf den priesterlichen Dienst.
Treue ist möglich, weil Christus uns trägt
Will mich Christus als Priester haben? Die Sendung muss geprüft werden. Wenn mich Christus wirklich will, dann darf ich mich ihm ohne Zögern anvertrauen. In der heutigen Welt, in der menschliche Bindungen zerfallen, wird es immer schwerer zu glauben. Werde ich durchhalten? Wenn mich Christus auf diesem Weg haben will, dann wird er mich in der Stunde der Not stützen. Treue ist möglich, weil Christus „immer da ist, und weil er ... in jeder Stunde uns tragen kann“ (ebd., 112 f). Die Vorbereitungszeit im Priesterseminar ist auch eine Zeit des Betens, des Hörens auf Christus – im Wort der Heiligen Schrift, im Glauben und in der Liturgie der Kirche. Im Studium der Heiligen Schrift lernen wir viel über die Vergangenheit. Aber noch wichtiger ist, dass wir in diesem Gestern das Heute erlernen, dass wir erkennen, dass Christus jetzt spricht. Wenn ich mit dem Wort Gottes lebe, dann sehe ich, dass es höchst aktuell ist, dass es mich und die anderen angeht. Ich lerne, es auszulegen; dazu ist ein beständiger innerer Weg mit dem Wort Gottes notwendig. Wir können immer nur im „Wir“ glauben. Der Glaube kommt vom lebendigen Wort, vom Zuspruch der anderen, vom Zuspruch der Kirche in allen Zeiten. Der Glaube ist nicht eine „Gefühlsnebenwelt“, sondern „er ist das, was das Ganze umgreift und ihm Sinn gibt und es deutet und ihm auch die innere ethische Weisung gibt: dass es auf Gott hin und von Gott her verstanden und gelebt sei“ (ebd., 115). Deshalb ist es wichtig, kritisch mitzudenken und dazu beizutragen, dass im Denken das Licht Gottes uns erleuchtet. „Studieren ist wesentlich: Nur so können wir dieser Zeit standhalten und in ihr den Logos unseres Glaubens verkünden“ (ebd.).
Begegnung mit Vertretern des Zentralkomitees der deutschen Katholiken
Bei der Begegnung des Papstes mit dem Präsidium des Zentralkomitees der deutschen Katholiken sagte Alois Glück, der damalige Präsident des Zentralkomitees, dass die in diesem Gremium vertretenen Laien die Frage bewegt, wie wir Jesus Christus und seine Botschaft den Menschen von heute vermitteln können. Dabei gehe es nicht um eine „vordergründige Modernisierung oder Anpassung der Kirche“. Die „Anziehungskraft und Strahlkraft unserer Kirche wird auf Dauer von ihrer geistlichen Ausstrahlung abhängen“ (A. Glück; zit. nach: ebd., 118). Alois Glück hält einen „neuen Aufbruch aus Christi Geist und zu ihm hin“ für notwendig. Ein solcher Aufbruch sei für unsere Gesellschaft und für die ganze Zivilisation unverzichtbar. „Unsere heutige Art zu leben ist nicht zukunftsfähig. Wir erleben bei uns und weltweit eine immer dichtere Folge von Krisen, deren Quelle eine einseitige Ausrichtung auf materielle Werte und ein egoistischer Anspruch auf Freiheit ohne Verantwortung ist“ (zit. nach: ebd., 120). Wir wollen – so Alois Glück – „in dieser Umbruchzeit im Sinne des Weltdienstes der Christen unseren Beitrag leisten und Botschafter unseres Glaubens sein“ (ebd.).
Die Erfahrung der Güte Gottes
Papst Benedikt XVI. lädt in seiner Begegnung mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken zu einem Gedankenexperiment ein: Stellen wir uns vor, Experten aus einem fernen Land würden sich aufmachen, um eine Woche lang bei einer deutschen Durchschnittsfamilie zu leben. Sie würden vieles bewundern: den Wohlstand, die Ordnung und die Effizienz. Aber sie würden auch viel Armut feststellen: Armut im Hinblick auf menschliche Beziehungen und Armut im religiösen Bereich. Wir leben in einer Zeit, die weithin durch einen unterschwelligen, alle Lebensbereiche durchdringenden Relativismus bestimmt ist. Manchmal wendet sich dieser Relativismus kämpferisch gegen Menschen, die sagen, sie wüssten, wo die Wahrheit oder der Sinn des Lebens zu finden ist. Dieser Relativismus übt immer mehr Einfluss auf die menschlichen Beziehungen und die Gesellschaft aus. Er schlägt sich auch in der Unbeständigkeit vieler Menschen und in einem übersteigerten Individualismus nieder. Manche scheinen überhaupt keinen Verzicht mehr leisten oder ein Opfer für andere auf sich nehmen zu können. Das selbstlose Engagement für das Gemeinwohl oder für Bedürftige nimmt ab. Andere sind nicht mehr in der Lage, sich uneingeschränkt an einen Partner zu binden. Eine gemeinsame Reflexion über diese Analyse muss das Ganze der menschlichen Person in den Blick nehmen – auch ihre Beziehung zum Schöpfer. Vielen Menschen in der reichen westlichen Welt mangelt es an der Erfahrung der Güte Gottes.
Aus der Kraft des Glaubens leben
In Deutschland ist – so Benedikt XVI. – die Kirche bestens organisiert. Aber steht hinter den Strukturen auch die Kraft des Glaubens an den lebendigen Gott? Ehrlicherweise muss man zugeben, dass es einen Überhang an Strukturen gegenüber dem Geist gibt. „Die eigentliche Krise der Kirche in der westlichen Welt ist eine Krise des Glaubens. Wenn wir nicht zu einer wirklichen Erneuerung des Glaubens finden, werden alle strukturellen Reformen wirkungslos bleiben“ (ebd., 123). Die Menschen, denen die Erfahrung der Güte Gottes fehlt, brauchen Orte, wo sie ihr „inneres Heimweh“ zur Sprache bringen können. Hier müssen neue Wege der Evangelisierung gesucht werden. Einen solchen Weg können kleine Gemeinschaften weisen, in denen Freundschaften gelebt und in der regelmäßigen gemeinsamen Anbetung vor Gott vertieft werden. Es gibt Menschen, die im Bekanntenkreis von ihren Glaubenserfahrungen erzählen und so eine neue Nähe der Kirche zur Gesellschaft bezeugen. Ihnen wird immer klarer, „dass alle dieser Nahrung der Liebe bedürfen, der konkreten Freundschaft untereinander und mit dem Herrn“ (ebd.). Entscheidend für den Weg der Neuevangelisierung bleibt die Rückbindung an den Kraftstrom der Eucharistie.
Domkapitular Prof. Dr. Josef Kreiml
Bild: Das Bild zeigt die Freiburger Altstadt aus der Vogelperspektive. Bildautor ist Thomas Berwing.
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Das Werk wurde leicht zugeschnitten, ohne damit eine Aussage treffen zu wollen.