Neuevangelisierung: Bischof besucht charismatische Gemeinschaften
Nicht uns, sondern den Herrn verkündigen
Lambach, 10. August 2022.
„Es gibt keine schnellen Erfolge. Wirklich Großes beginnt immer im Kleinen.“ Das sagte Bischof Dr. Rudolf Voderholzer während einer Konferenz charismatischer Gemeinschaften mit Blick auf die Herausforderungen der Neuevangelisierung in Lambach. Wie schon 2019 fand auch in diesem Jahr die Konferenz für Leiter von Gemeinschaften aus Europa statt, die aus der charismatischen Erneuerung entstanden sind. Etwa 100 Teilnehmer aus Belfast, Dublin, London, Glasgow, Brüssel und München, darunter viele Familien, trafen sich für eine Woche, um sich auszutauschen, zu beten, miteinander Gemeinschaft zu erfahren. Sie beschäftigten sich mit dem Thema „Bekehrung“, das in mehreren Vorträgen biblisch, theologisch und praktisch behandelt wurde. Den Großteil der Vorträge hielt Professor Daniel Keating aus Detroit, selbst Mitglied einer internationalen Bruderschaft.
Die Organisatoren der Konferenz, die Gemeinschaft „Brot des Lebens“ aus München, hatten wie letztes Mal erneut Bischof Rudolf Voderholzer eingeladen, einen Vortrag zu halten. Er sprach über die Neuevangelisierung, ein Thema, das sowohl Benedikt XVI. als auch erst vor kurzem Papst Franziskus der katholischen Kirche in Deutschland eindringlich nahegelegt haben, leider immer noch ohne große Resonanz.
Der Vortrag, den Bischof Rudolf Voderholzer auf Englisch hielt, orientierte sich an einem Vortrag von Kardinal Joseph Ratzinger vor etwa 25 Jahren in der Diözese Velletri. Ausgangspunkt war die Frage, die jeden Menschen schon immer existenziell beschäftigt: Wie finde ich ein glückliches, gelungenes, erfülltes Leben? Viele versuchen das auf verschiedensten Wegen als ein Ziel in sich zu erreichen – sie jagen dem Glück nach, aber das Glück läuft hinter ihnen her und erreicht sie nicht mehr, wie ein Sprichwort sagt. Glück und ein erfülltes Leben aber erlangt man nur als „Nebeneffekt“, als Geschenk von außerhalb meiner selbst, wenn man sich für etwas anderes, Größeres, oder auch für andere hingibt.
Im Letzten kommt dieses Geschenk des erfüllten Lebens von dem, der der Urheber allen Lebens ist, von Gott. Mehr noch: Jesus Christus, der von sich sagt „Ich bin das Leben“, ist selber dieses Leben. „Die Kunst zu leben ist nicht eine Frage der Wissenschaften, sondern den zu finden, der das Leben ist“ (Joseph Ratzinger). Jede Evangelisation ist daher nichts anderes, als den Menschen dieses wahre Leben zu verkünden und sie damit in Verbindung zu bringen.
Sodann ging Bischof Rudolf auf einige wichtige Kennzeichen der Neuevangelisation ein: Es gibt keine schnellen Erfolge. Wirklich Großes beginnt immer im Kleinen; der „große Baum der Kirche“, der über Jahrhunderte gewachsen ist, hat als eine winzige Saat – als ein Senfkorn – begonnen. Gott selbst hat Israel nicht „erwählt, weil ihr groß seid; im Gegenteil, ihr seid sogar eines der Geringsten unter den Erdenvölkern“ (Dtn 7,7). Und ebenso sind es vielleicht die noch kleinen Samenkörner von neuen Bewegungen und Gemeinschaften, aus denen die Zukunft der Kirche erwächst.
Evangelisation heißt immer auch, nicht sich selbst zu verkündigen, sondern den Herrn – Jesus selbst ist gekommen „im Namen des Vaters“, während der Antichrist im eigenen Namen spricht. Daher ist auch nicht das Reden wichtig, sondern das Leben, durch das hindurch der Herr und der Geist wirken. Natürlich sollen die Christen auch alle modernen Mittel und Methoden studieren und einsetzen, aber sie können das Wirken Gottes nicht ersetzen. Und schließlich hat die Verkündigung des Evangeliums auch mit dem Weg des Kreuzes zu tun – neues Leben entsteht nur dort, wo jemand bereit ist, sein eigenes Leben hinzugeben: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt …“
Vier wichtige Punkte führte Bischof Rudolf zum Weg der Evangelisation auf: Sie hat mit Bekehrung zu tun, mit einer Umkehr des Lebens und Denkens, einem Herausbrechen aus der Selbstgenügsamkeit. Johannes der Täufer, der gleichsam die Pforte vom Alten zum Neuen Testament darstellt, beginnt seine Botschaft mit dem Aufruf: „Kehrt um“. Zweitens geht es um das Reich Gottes: nicht eine politische oder soziale Utopie, sondern die lebendige Gegenwart und das Eingreifen und Wirken Gottes in unser Leben. „Das wahre Problem unserer Zeit ist die Krise Gottes“ (J.B. Metz) – ein Deismus, für den Gott zwar existiert, aber er hat keinerlei Einfluss auf unser Leben und die Geschichte. Drittens geht es um einen Glauben an den einen Jesus Christus – der historische Jesus der Heiligen Schrift und der Christus des Glaubens sind ein und derselbe. Alle Versuche, sie auseinander zu halten, führen letztlich in die Irre. Und es geht darum, ihm nachzufolgen und in Einheit mit ihm zu leben, nicht nur geht es um eine Nachahmung. Und schließlich geht es um ein Leben, das über dieses irdische Leben hinausreicht, eine ewige Perspektive.
Ein lebhafter Austausch mit einer kleineren Gruppe von Verantwortlichen schloss sich an: über die Erfahrungen während der Pandemie, über die Bedeutung des Gebets und der Glaubensunterweisung in den Familien, über den Umgang der Kirche mit den Missbrauchsfällen. Am Ende besuchte Bischof Rudolf noch eine kleine Kunstausstellung, die von Künstlern aus den verschiedenen Gemeinschaften zusammengestellt wurde.
Die Gruppe bedankte sich sehr herzlich bei Bischof Rudolf Voderholzer für seinen Besuch und den inspirierenden Vortrag. Der Vater einer Teilnehmerin ist ein bekannter Krippenbauer in Tirol, und aus dessen Werkstatt versprach sie ihm eine Schneekrippe als Dankeschön – diese wird ihm noch bei einem Besuch seiner Krippensammlung überreicht werden.
Bernhard Stock