Regensburg, 11. September 2024
In diesen Tagen steht das südostasiatischen Osttimor, ein mehrheitlich christliches Land, im Mittelpunkt des Interesses der katholische Welt: Papst Franziskus ist dort! Anlässlich dieses Besuches wird auch ein Vierteljahrhundert zurückgeblickt: Der Jesuitenpater Karl Albrecht, ein Deutscher mit indonesischem Pass, starb in der Nacht vom 11. auf dem 12. September 1999 dort den Märtyrertod.
1999 war ein bewegtes Jahr für Osttimor. Am 30. August fand ein Referendum über die Unabhängigkeit des kleinen Inselstaates statt, bei dem 78,5 Prozent der Bevölkerung für die Loslösung von Indonesien stimmten. Armee und Zivilverwaltung der Indonesier verfolgten fortan nur noch eine „Politik der verbrannten Erde“. Sie unterstützten dazu Milizen, die fast 2.000 Menschen ermordeten und mehr als drei Viertel der gesamten Infrastruktur zerstörten; weit mehr als 200.000 Einwohner wurden vertrieben. Das war der Hintergrund für die Gewaltorige, in der auch der Jesuitenpater Karl Albrecht, ein Deutscher mit indonesischem Pass, ermordet wurde.
Der Jesuit und Philosophie-Professor Pater Franz Magnis-Suseno schreibt im „Deutschen Martyrologium des 20. Jahrhunderts“ über seinen vor nunmehr einem Vierteljahrhundert ermordeten Mitbruder Pater Karl Albrecht, er sei Zeuge seines christlichen Glaubens dadurch geworden, „dass er im Augenblick höchster Gefahr nicht davon lief, sondern bei den Menschen blieb, die ihn nötig hatten, trotz des Risikos, über das er sich völlig im Klaren war.Ihnen hielt er die Treue bis in den Tod. In den geängstigten, hungrigen, obdachlosen Flüchtlingen Osttimors hatte er Christus gefunden“.
Von Pater Magnis-Suseno erfahren wir in demselben Lebensbild, dass Pater Albrecht Augenzeuge des Santa-Cruz-Massakers am 12. November 1991 war und dieses Erlebnis seine Einstellung entscheidend bestimmte. Das war damals ein Tiefpunkt der Unterdrückung der nach Freiheit strebenden Bevölkerung Osttimors durch die indonesischen Besatzer und ein Wendepunkt in der Geschichte der ehemaligen portugiesischen Kolonie. Der Massenmord ist benannt nach dem Friedhof, wohin sich an dem Tag ein Gedenkzug von mehreren Tausend Osttimoresen für den in der Nacht vom 27. auf 28. Oktober 1991 in einer Kirche erschossenen Verfechter der Unabhängig, Sebastiao Gomes, bewegte. Unter den Trauernden befanden sich viele Kinder und alte Menschen. Einige Einheiten eines indonesischen Bataillons folgten ihnen schließlich, während andere Einheiten zusammen mit der Militärpolizei schon auf sie am Friedhof warteten.
Als sich die Menschen dort versammelt hatten, um Blumen am Grab niederzulegen, eröffneten die Soldaten an diesem 27. Oktober 1991 das Feuer. Mindestens 271 Menschen kamen dabei ums Leben, wobei einige der Opfer angeschossen und wehrlos danieder lagen und mit Bajonetten erstochen oder zusammen mit Leichen in einem Massengrab erstickt wurden. Weitere Verletzte, die sich im Krankenhaus einfanden, wurden später noch mit Giftkapseln ermordet; junge Frauen wurden in die Obhut des Militärhospitals verschleppt und vielfach vergewaltigt. Weitere 270 Menschen verschwanden spurlos, was die osttimoresische Kommission für Empfang, Wahrheit und Versöhnung (CAVR) in ihrem Report bestätigte. Tod und Terror sollten Beobachter zum Schweigen bringen. Filmaufnahmen des mutigen britischen Journalisten Max Stahl brachten Belege ans Tageslicht, dass es sich um eine minutiös vorbereitete Militäraktion handelte. Angesichts dieser Ereignisse, deren Zeuge Pater Albrecht war, kommt es einem Wunder gleich, dass er noch Jahre lang Mut und Kraft aufbrachte, diesem von Leid geplagten Volk beizustehen.
Eine Erklärung für seine Stärke ist sicherlich sein tiefer Glaube, von dem Magnis-Suseno berichtet und der ihn zudem als gütigen, ruhigen, weise-diskreten und humorvollen Menschen beschreibt. Albrecht wurde am 19. April 1929 in eine im katholischen Glauben verwurzelte Bauernfamilie im oberallgäuischen Altusried bei Kempten hineingeboren und wuchs mit drei Schwestern und einem Bruder auf. Knapp 16-jährig wurde er gezwungen, seine Gymnasialzeit zu unterbrechen, weil das NS-Regime ihn während des Zweiten Weltkriegs zum Militärdienst einzog und als Flakhelfer einsetzte. Am 16. September 1949 trat er in das Noviziat der Jesuiten in Pullach bei München ein. Er spürte bald die Berufung für die Mission in Indien. Im Orden ging man darauf ein. Damit er zunächst seine notwendigen Englischkenntnisse vertiefe, wurde er zunächst nach Irland entsandt, wo er anfangs Philosophie und schließlich Theologie studierte.
Nach der Priesterweihe 1957 in München und einer weiteren Station in Österreich zum letzten Teil der Ausbildung im Jesuitenorden kam Albrecht im Dezember 1958 nach Mitteljava in Indonesien: Das Ziel Indien blieb unerreichbar, da die indischen Behörden Missionaren keine Visa mehr erteilten. Er lernte auf Java Indonesisch und kam bald als Kaplan in die Hauptstadt Jakarta, wo er - mit kurzer Unterbrechung - rund 30 Jahre lang blieb. Neben dem Dienst in Pfarreien war seine Zeit dort sehr vom Sozialdienst geprägt; er gründete katholische gewerkschaftliche und genossenschaftliche Initiativen und die Caritas, der er als Direktor vorstand. Um nicht die Nähe zu den Gläubigen missen zu müssen, ließ er sich nochmals in den Pfarrerdienst versetzen, wo er zehn Jahre wirkte, bis er nach Osttimor kam.
Pater Albrecht kam im Januar 1990 in das seit 1975 indonesisch besetzte Land. Ein Vierteljahr zuvor war Papst Johannes Paul II. dort zu Besuch und gab dadurch den Freiheitsbestrebungen starken Aufwand: Katholische Pfadfinder stürmten bei einem öffentlichen Auftritt des katholischen Kirchenoberhauptes das Podium und entrollten ein Protestplakat gegen die indonesische Besatzung. Das Besatzer-Regime reagierte mit Verhaftungen und Folter. Pater Albrecht konnte wissen, wohin er sich begab, aber seine Entscheidung erschütterte dies offenbar nicht. Er war zunächst in der Ausbildung und später - nach einem Sabbatjahr 1996 in Deutschland - im Sozialdienst eingesetzt, insbesondere auch für die Förderung von Frauen bei der Dorfentwicklung.
Angesichts der Zuspitzung der Unterdrückung durch die indonesischen Zivil- und Militärangehörigen wurde Pater Albrecht zu Beginn 1999 Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Osttimor. Er war zudem der örtliche Verbindungsmann der deutschen Hilfsorganisation „Ärzte für die Dritte Welt“. Im Juli 1999 schrieb der Pater an den Altusrieder Pfarrer Gebhard Schneider und schilderte in dem Brief die Lage als „hochbrisant“. Viele Menschen müssten „schuldlos unendliches Leid ertragen“, wie der Pfarrer der Lokalpresse mitteilte.
Die Ereignisse der Nacht vom 11. auf den 12. September 1999 lassen sich im Nachhinein wie folgt rekonstruieren: Tagelang schon hielten sich bei der Jesuitenresidenz in Osttimors Hauptstadt Dili, wo der 70-Jährige wohnte, bewaffnete paramilitärische, pro-indonesische Kämpfer auf. Die Jesuiten vermuteten zunächst, dass sie es auf die Fahrzeuge des Flüchtlingsdienstes abgesehen hatten. Der Pater hatte sich schon zum Schlafen gelegt, sei dann aber durch Geräusche im Haus aufgeschreckt worden und habe mit der Taschenlampe nachgesehen. Er überraschte die Einbrecher, vermutlich waren es indonesische Soldaten. Sie schossen sofort auf den unbewaffneten Geistlichen. Ein Schuss traf ihn im Bauch. Das Auswärtige Amt nannte die Tat „eine feige und grausame Ermordung eines Mannes, der sich seit Jahren für den Schutz gerade der Armen und Verfolgten einsetzt“ habe; und eine schweren Schlag „für alle, die für die universelle Geltung der Menschenrechte kämpften“.
Wenige Tage später hätte Pater Albrecht ein rundes Ordensjubiläum begehen wollen: „Nun hat er seine fast 50-jährige Zugehörigkeit zum Jesuitenorden mit seinem Blut besiegelt“, schreibt Mitbruder Magnis-Suseno.
Michaela Koller
(sig)