„Jeder kriegt von Gott seinen Weg gezeigt, deiner ist eben Missionar zu Hause zu sein.“ - Sternsinger-Aktion für Bolivien: Für Dekan Johann Ammer eine Herzensangelegenheit
Pilsting. Es ist das ärmste Land Südamerikas und des gesamten lateinamerikanischen Gebietes: Bolivien ist geprägt von Armut und Ungleichverteilung. „Segen bringen, Segen sein. Respekt für dich, für mich, für andere!“ heißt das Leitwort der 58. Sternsingeraktion mit dem Beispielland Bolivien. Bolivien? „Bolivien ist ein Land, das liegt bei uns nicht im Bewusstsein“, sagt Dekan BGR Johann Ammer. Es ist ein Land ohne Meerzugang, weit, weit weg und die wirtschaftlichen Interessen Europas seien dort sekundär. „Und es hat nie gelernt auf sich aufmerksam zu machen“, ergänzt er. Ammer kennt das fünfärmste Land der Welt, kennt die Menschen und Probleme: sein Freijahr verbrachte er in Bolivien. Und zurück in der Industrienation Deutschland saß er danach auf gepackten Koffern.
Auszeit
Die „traditionellen“ Hochschulstandorte wie Rom, Innsbruck, Freiburg, die haben ihn nicht gereizt. „Die waren mir zu klein.“ Um die eigene Bereitschaft prüfen und die Berufung zu überdenken, da wollte er etwas Größeres – weiter weg. Weg von allem Bekannten, weg von allem Gewohnten. Eine „kontrollierte Auszeit“, zwei Semester lang – für Ammer waren das exakt 364 Tage. Über das Priesterseminar in Regensburg hatte er den Missionszirkel kennen gelernt, der Missionare in aller Welt unterstützt und Kontakt zu ihnen hält.: „Unter anderem auch in Bolivien. Und irgendwie hat mich das gereizt.“ So sollte es also die Universidad Católica Boliviana San Pablo sein. „Der Regens hat ein bisschen geschluckt, meine Eltern haben bisschen geschluckt“, sagt er und schmunzelt.
„Üblich“ war das nicht, schon gar nicht vorgesehen, dass ein Freijahr außerhalb von Europa verbracht wird. Doch Ammer setzte sich durch, auch mit Unterstützung von Außerhalb. Er schrieb den Franziskanerprovinzial Michael Brems an, der die Mission in Chochabamba bereits Jahrzehnte leitete. Seine Antwort, frei übersetzt: „Kein Problem, kannst kommen.“ So absolvierte Ammer in Deutschland noch einen Spanisch-Sprachkurs und machte sich dann auf nach Bolivien.
Leben im Glauben
Dort lebte er sich im Konvent gut ein, hatte Kontakt zu den Franziskaner-Studenten. Er wurde in den Tagesablauf involviert, und auch bei den Arbeiten eingesponnen. Er war fasziniert von der Arbeit der Franziskaner: oft ist ein Pfarrer für 50 Dörfer zuständig. Die Konsequenz: Die Gläubigen haben gelernt selbst die Kirche zu tragen, und sich nicht „Priesterzentriert“ von den Geistlichen tragen zu lassen. Der Glaube wird innerhalb der Gemeinschaft weiter gegeben und gefeiert. Die Unterschiede sind – natürlich – gravierend. Die Mentalität prägt auch den Glauben, die kulturellen und lokalen Tradition nehmen Einfluss auf das Glaubensleben: Festumzüge werden „gefeiert“, es wird getanzt und gesungen.
Auch arbeitete Ammer seinerzeit im Kinderheim mit und noch heute unterstützt er „Amanecer Bolivia“ wo es nur geht: Amanecer (Tagesanbruch) wurde 1981 von Schwester Estefania Murray, vom Orden der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul, in Cochabamba, Bolivien, gegründet. Sie kümmerte sich, zuerst in einer angemieteten Garage, um die vielen verwaisten, verlassenen oder von zu Hause weggelaufenen Straßenkinder. Amanecer ist ein Hoffnungsschimmer für Frauen, Jugendliche und Kinder im Hochland. Spenden, die er in Pilsting für Amancer sammelt, gehen zu 100 Prozent an das Kinderheim in Bolivien. Wollte er Bolivien erkunden, sorgten die gut vernetzten Franziskaner dafür, dass er unterwegs auch immer eine Anlaufstelle hatte.
Ein Jahr war schnell um. „Ich wollte ursprünglich gar nicht mehr Heim“, sagt Ammer. Doch Padre Miguel lief ihm quer. Er schickte ihn nicht fort, sondern gab ihm einen freundschaftlichen Anstoß – einen Rat, den man eben annehmen muss: „Nein, du gehst wieder Heim.“ Er solle sein Studium beenden, ein paar Jahre Praxis in Deutschland machen – und dann könne er wieder kommen. „Ich war hin und her gerissen: gehst du rüber, gehst du nicht rüber?“
Gepackte Koffer
Er saß, wie er heute sagt, auf gepackten Koffern. Im wahrsten Sinne: in dem Koffer war alles, was er zum Leben brauchte, und er hätte jederzeit einen Flug buchen und zurück nach Bolivien können. Das Leben in Deutschland, der Überfluss in dem die Industrienation lebt, setzte ihm zu. Monatelang. Er hielt sich an Miguels Rat, machte seinen Abschluss, seine Kaplanszeit in Gangkofen. „Eines schönes Tages war klar: Ich mache nicht nur die Kaplanszeit, ich bleibe da.“ Vor drei oder vier Jahren sagte Padre Miguel, mittlerweile 90 Jahre alt: „Wir haben ja immer gehofft, dass der Hans doch zu uns kommt“.
Bolivien im Wandel
Er habe einen sehr guten Kontakt in seine zweite Heimat, sagt Dekan Ammer. Und es sei eine gewisse Sehnsucht da: „Ich muss wieder rüber.“ In unregelmäßigen Abständen besucht er seine bolivianischen Brüder. Gerne möchte er wieder etwas zurück geben – ohne Verpflichtung. Einfach, weil ihm die Menschen und Priester am Herzen liegen. Deshalb ist ihm auch die Sternsingeraktion dieses Jahr eine besondere Herzensangelegenheit. Er weiß um die Probleme des Wandels in Bolivien. Auch Bolivien möchte eine moderne, fortschrittliche Gesellschaft sein. „Dazu passen die dörfliche Traditionen nicht mehr“, sagt er. Ponchos zeigen die Zugehörigkeit zum Dorf. Doch die Menschen in der Stadt, die seien in ihren eigenen Augen die „besseren“ Leute, im Gegensatz zu den Bauern auf dem Land: das seien „die schlechteren Menschen.“ Menschen mit Poncho, also solche die offensichtlich vom Land kommen, werden verspottet, sogar verachtet und manchmal sogar angespuckt. Man wolle „westlicher“ sein, so wie die Medien – auch westliche – einem zeigen, dass man sein solle. „Das ist für die Kinder eine große Identitätskrise“, sagt Ammer.
Auf dem Land sind sie mit Stolz auf ihre Ponchos unterwegs. „In der Stadt trauen sie es nicht mehr sie zu tragen.“ Der Respekt vor dem, was die Wurzeln sind, was die Eltern und Großeltern geleistet haben, auf die Herkunft – das alles zeige auch dieser Poncho. Und der sollte wieder erwachen. Ein Respekt, der auch zwischen den Menschen herrschen sollte. Es sei mitunter eine wichtige Aufgabe der Kirche, sagt Ammer, diesen Respekt wachzurütteln. In Kirchen, in Schulen und Kinderheimen. Franziskaner und Franziskanerinnen leben es vor und zeigen es auch, beispielsweise in Krankenhäusern: Barmherzigkeit und Respekt jedem gegenüber – egal ob er eine Behandlung zahlen könnte oder nicht. Seine Aufgabe hat er in Deutschland gefunden. Padre Miguel sagte zu ihm: „Jeder kriegt von Gott seinen Weg gezeigt, deiner ist eben Missionar zu Hause zu sein.“
Text und Foto: Sabrina Melissa Melis