Regensburg, 29. Oktober 2024
Die innere Sicherheit ist für Joachim Herrmann die zentrale Aufgabe. Im Gespräch mit der Tagespost erklärt der bayerische Innenminister, dass ihm aber auch die Ehrfurcht vor Gott wichtig ist.
Herr Minister, Oktoberfest, Fußball-Europameisterschaft, Münchner Sicherheitskonferenz – Großereignisse mit besonderer Bedrohungslage. Ganz persönlich gefragt: Wie angespannt sind Sie in solchen Zeiten?
Ich gehe grundsätzlich mit großer Zuversicht an diese Herausforderungen heran, weil ich Vertrauen in meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter habe, dass sie diese Ereignisse bestmöglich vorbereiten. In diesem Jahr habe ich wieder erleben dürfen, dass diverse Großereignisse ohne nennenswerte Störungen verlaufen sind. Dann kam umso überraschender der islamistische Anschlag auf das israelische Generalkonsulat. Da durften wir erleben, dass alle Polizisten, die zum Einsatzort kamen, einfach alles richtiggemacht haben. Deshalb versuche ich während solcher Ereignisse gelassen zu bleiben.
Sie haben es angesprochen: Die terroristische Bedrohung hat in letzter Zeit eine andere Dimension erreicht als das früher der Fall war. Den absoluten Schutz, auch durch bestausgebildete Polizei kann es nicht geben. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.
Verbrechen begleiten die Menschheitsgeschichte seit Kain und Abel und natürlich spiegelt sich das auch in den Kriminalitätsbelastungen aller Art. Dennoch ist Bayern mit Abstand das Bundesland mit der niedrigsten Kriminalität aller Bundesländer. Das zeigt, dass es sich lohnt, sich um die Sicherheit zu kümmern und in sie zu investieren. Man kann die Kriminalität zwar nicht auf Null bringen, aber es ist schon ein großer Unterschied zwischen München und anderen Großstädten in Deutschland wie etwa Berlin, wo sie weit mehr als doppelt so hoch ist.
Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus - hat man das alles gleich intensiv im Auge gehabt in der Vergangenheit?
Wir in Bayern haben da immer einen Rundum-Blick gehabt und versuchen, allen Bedrohungen, von welcher Seite auch immer, gerecht zu werden. Wir sehen seit dem 7. Oktober letzten Jahres, wie auf Deutschlands Straßen, palästinensischer Antisemitismus und massiver Hass auf Israel ausgelebt werden. Für manche politischen Kräfte in Deutschland war in den letzten 20 Jahren Antisemitismus immer nur beim Rechtsextremismus verortet worden. Der ist schlimm genug. Wir müssen aber leider feststellen, dass er auch andere Urheber hat.
Würden Sie also sagen: Bei der inneren Sicherheit ist Deutschland nicht Bayern und Bayern nicht Deutschland?
Ja. Dass das so ist, hat Gründe. In Bayern treten wir Straftätern konsequent entgegen. Es gibt null Toleranz gegenüber Vergehen und Verbrechen. Wir haben die Polizei in den letzten 15 Jahren deutlich aufgestockt. Der Rechtsstaat und unsere Sicherheitsbehörden haben die klare politische Rückendeckung von der gesamten bayerischen Staatsregierung.
Nun muss man sagen, viele Hinweise auf bevorstehende terroristische Anschläge kommen von ausländischen Diensten und nicht von unseren. Das ist doch ein Armutszeugnis für unsere Dienste.
Wir haben insgesamt eine sehr gute Zusammenarbeit auf internationaler Ebene zwischen den Nachrichtendiensten – vor allem in der EU und innerhalb der NATO – und das ist gut so. Wir haben das jetzt wieder bei dem geplanten Anschlag auf das Taylor-Swift-Konzert in Wien erlebt. Von ausländischen Nachrichtendiensten kamen Hinweise und das ist im Prinzip auch in Ordnung. Aber ich muss aktuell kritisieren, dass es in Deutschland einige politische Kräfte gibt, die die Arbeit der eigenen Nachrichtendienste sehr skeptisch und kritisch sehen. Ich kann auch manche Gerichtsurteile etwa zum Datenschutz nicht nachvollziehen. Manchmal sind die sehr weltfremd. Die Sicherheitsbehörden müssen rechtzeitig darüber informiert sein, was an Kommunikationsaustausch stattfindet. Nur auf diese Weise kann man ja auf Personen aufmerksam werden, die eben bisher noch nicht aufgefallen sind.
Es sieht nicht so aus, als seien die Sicherheitsbehörden da schon auf Augenhöhe mit den Tätern.
Wir müssen hier noch deutlich besser werden. Es ist natürlich eine besondere Situation, wenn sich jemand, im Internet selbst radikalisiert. Auf den kann man nur sehr schwer aufmerksam werden, aber es ist möglich. Manche tauschen sich per E-Mail oder über Social Media aus, und machen so womöglich auf sich aufmerksam. Das ist alles gut und wichtig. Aber wenn ich dann sehe, dass die Weitergabe von Informationen vom Verfassungsschutz an die Polizei erst erfolgen darf, wenn schon ein konkreter Anschlag geplant ist, dann ist das überzogen. Gerade Situationen wie beim Anschlag damals auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin legen offen, dass es doch darum geht, Verdachtsmomente schon zu einem frühen Zeitpunkt auszutauschen. Nämlich dann, wenn man noch nicht alles mit Sicherheit wissen kann.
Das Asylproblem ist ungelöst!
Das hat eine Reihe von Gründen. Die Kontrollen an den EU-Außengrenzen funktionieren nicht. Zehntausende Flüchtlinge sind nach Deutschland gekommen. Sie sind ja auf dem Landweg gekommen und nicht mit dem Fallschirm abgesprungen. Sie sind, bevor sie zu uns kamen, von niemandem kontrolliert oder registriert worden. Davor kann und darf Deutschland nicht die Augen verschließen. Das ist die Realität und deshalb müssen wir bis auf weiteres unsere eigenen Grenzen wieder kontrollieren. Das müssen wir solange tun, bis es dann hoffentlich eines Tages in Europa funktioniert.
Wenn man sich im Land umhört, fragen die Leute: Warum dauert das alles so lange? Warum lösen die das nicht schneller? Warum dauern die Abstimmungsprozesse in der Ampel in Berlin so lang und warum knirscht es in Europa? Es ist ja ein existenzgefährdender Prozess für die etablierten Parteien der Mitte!
Es ist ganz offenkundig, dass gerade in solchen Fragen der Sicherheit Deutschlands und der Migration überhaupt keine gemeinsame Linie in dieser Ampel-Koalition vorhanden ist. Die FDP versucht noch, richtige Positionen zu vertreten. Innerhalb der SPD und innerhalb der Grünen gibt es intern schon Streit – und erst recht miteinander. Wir haben beim Thema Grenzkontrollen von Bayern aus Ende 2015 durchgesetzt, dass die Grenze zu Österreich kontrolliert wird. Die jetzige Innenministerin, Frau Faeser, erklärte diese Maßnahmen lange als völlig unsinnig und nutzlos, Grenzkontrollen brauche man nicht. Dann wurden die Grenzkontrollen zu Tschechien und Polen vor einem Jahr im Oktober 2023 eingeführt. Siehe da: Ein Jahr später sagt die Bundesregierung, das sei richtig und wichtig gewesen und man wolle das ausdehnen auf die anderen deutschen Außengrenzen nach Frankreich, nach Belgien, die Niederlande, Luxemburg und auch noch Dänemark. Das ist alles noch nicht genug, aber immerhin ist die illegale Migration zurückgegangen und es sind erfreulich viele Schleuser festgenommen worden. Aber man sieht an diesen Abläufen: Es gibt kein Konzept in dieser Bundesregierung. Es gibt nur Streitereien und es wird nichts mit Überzeugung vorangebracht. Wir brauchen einen grundlegenden Politikwechsel in puncto Sicherheit und Migration.
Vieles, was die Bundesregierung in Angriff genommen hat, ist ja erst auf Druck der Union und des CDU-Vorsitzenden Merz passiert. Herr Herrmann, ist das Asylrecht noch zeitgemäß, müssen wir das Asylrecht ändern?
Wer offenkundig keinen wirklichen Anspruch auf Schutz hat, der muss von vorne herein möglichst an der Einreise gehindert werden. In Deutschland gilt ja seit 1992 eine Änderung des Grundgesetzes. Die besagt, dass jemand, der aus einem Nachbarland Deutschlands einreisen will und der dort schon Sicherheit gefunden hat, keinen Anspruch auf Asyl in Deutschland hat. Das ist 1992 so eingeführt worden und hat auch funktioniert. Danach hat die Europäische Union andere Regeln getroffen für genau diese Konstellation – das komplizierte Dublin-Abkommen, das diese Regelung wieder zurückdreht. Deshalb muss ich sagen: Ja, wir müssen zu Regelungen kommen, die die Asylverfahren beschleunigen und in vielen Fällen schon an der Grenze die Zurückweisung ermöglichen.
Aber es ist doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit, eine Frage des politischen Willens, das durchzusetzen…
Das Problem ist, dass in der Ampel-Koalition im Moment nicht einmal nur ansatzweise Bewegungen in eine klare Richtung zu finden sind. Die Widersprüche zu diesem Thema tun sich ja gerade bei den Grünen und der SPD-Basis auf.
Im Moment führen wir ja wieder eine Diskussion über ein AfD-Verbot. Wie ist dazu Ihre Haltung?
Ich halte es für notwendig, dass die AfD als Partei mit verfassungsfeindlichen Elementen konsequent beobachtet wird. Dann müssen daraus die Schlüsse gezogen werden. Vor der Bundestagswahl würde es aber kein Urteil des Bundesverfassungsgerichts mehr geben. Daher glaube ich, dass es wichtiger ist, wenn die politischen Parteien der Mitte die Wähler davon überzeugen, warum es besser ist, demokratische Parteien zu wählen. Gleichzeitig können sich parallel dazu die Fachleute vom Verfassungsschutz damit beschäftigen. Wir dürfen auch nicht den Eindruck entstehen lassen, als wolle man sich unliebsame Konkurrenten mit einem Verbot vom Hals halten. Wir müssen zusehen, dass die überwältigende Mehrheit der Wahlberechtigten wirklich für demokratische Parteien stimmt.
Sie haben ein besonderes Thema in die Diskussion gebracht. Das ist sehr bemerkenswert. Sie haben den Verfassungsartikel „Ehrfurcht vor Gott“, der in der bayerischen Verfassung steht, reanimiert. Wenn ich das richtig verstehe, wollen Sie diese Ehrfurcht vor Gott auch als Erziehungsziel definieren. Was war Ihr Motiv, dieses Thema jetzt zu setzen?
Wir haben keine Staatskirche und keine Staatsreligion, aber die christliche Tradition ist ganz elementar für unser Leben. Wir feiern in diesem Jahr 75 Jahre Grundgesetz. Wir haben keine laizistische Ausrichtung wie die französische Republik. Die ersten Worte des Grundgesetzes lauten in der Präambel: Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen hat sich das deutsche Volk dieses Grundgesetz gegeben. In der Bayerischen Verfassung heißt es, für unsere Schulen, für die Erziehung unserer Kinder, dass diese in der Ehrfurcht vor Gott zu erziehen sind und in der Achtung vor religiöser Überzeugung. Das ist ein Schlüsselsatz für die aktuellen Auseinandersetzungen, über die wir gerade gesprochen haben. Im 21. Jahrhundert geht es vor allen Dingen auch um diesen gegenseitigen Respekt. Ich darf meine Religion leben und habe aber auch Respekt vor anderen Weltanschauungen und Religionen. Es geht natürlich um die Grundwerte des christlichen Glaubens auf der Basis gegenseitiger Toleranz. Es geht auch um die friedliche Entwicklung unserer Heimat. Ich finde, das ist auch für eine junge Generation wichtig, ohne sie indoktrinieren zu wollen. Es geht – wohl gemerkt – immer um den Respekt dem anderen gegenüber, auch demjenigen gegenüber, der an Allah glaubt. Das sollte die Lebensgrundlage in unserem Land sein. Entsprechend kann ich auch Respekt vor meinem christlichen Glauben einfordern.
Also interpretiere ich das richtig, dass Sie diese Frage nicht als eine konfessionelle Frage begreifen, aber schon als christliche Frage und auch als Frage der Toleranz und damit also auch als kulturelle Frage.
Ja, das prägt die Kultur unseres Landes und wir müssen aktiv auch den Dialog der Religionen vorantreiben. Es gibt in Frankreich teilweise Ansätze, quasi Frieden zu schaffen, indem Religionen ausgeklammert werden. Ähnliches gibt es ansatzweise auch bei uns. Dann machen wir keinen St.-Martins-Umzug, keine Nikolaus-Feier mehr, weil da ja auch Vertreter anderer Religionen dabei sind. Das wird unsere Gesellschaft auf Dauer nicht besser machen. Es wird eher Missverständnisse und Aggressionen schüren.
Kann man das so interpretieren, dass Sie damit auch einen Fingerzeig in Richtung Schulbetrieb geben wollen? Bitte kümmert Euch um dieses Thema - und wenn es in Vergessenheit geraten sein sollte, dann kümmert Euch wieder darum. Ist das so zu verstehen?
Ja, wir müssen vor allem die junge Generation darüber informieren, was der Inhalt des christlichen Glaubens ist. Das ist in den vergangenen Jahren einfach zu kurz gekommen. Die Mehrzahl der Menschen in Deutschland lebt immer noch in der Tradition des Christentums. Das gilt es zu berücksichtigen, auch wenn manche aus der Kirche ausgetreten sind.
Antisemitische Hetze und Übergriffe nehmen in Deutschland auf beängstigende Weise zu. Der Staat, die Politiker, besonders in Bayern tun alles, um Juden zu schützen. Auf der anderen Seite sind Juden in Deutschland in großer Sorge.
Die Sorgen unserer jüdischen Bürgerinnen und Bürger kann ich sehr gut verstehen. Wir müssen doch sehen, was nach dem Terroranschlag vom 7. Oktober vergangenen Jahres, bei dem mehr als 1.300 Jüdinnen und Juden bestialisch abgeschlachtet wurden, auch in Deutschland passiert ist. Wie viele mit radikal-islamischen Vorstellungen auf Deutschlands Straßen unterwegs sind! Die radikalen Vorstellungen werden ja auf offener Bühne artikuliert bis hin zu der Forderung eines Kalifats in Deutschland. Wir können diese Entwicklungen nicht ernst genug nehmen! Wenn ich zum Beispiel mit Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, spreche, dann schildert er mir seine ganz persönliche Wahrnehmung, mit welchen Gefühlen er als jüdischer Mitbürger über Deutschlands Straßen geht. Es ist für ihn schon ein großer Unterschied, ob er sich in Berlin aufhält oder in seiner Heimatstadt Würzburg. Ich will gar nichts beschönigen. Natürlich gibt es auch Ereignisse in Bayern, die Juden besorgt machen und die wir nicht hinnehmen dürfen. Aber insgesamt können wir für uns in Anspruch nehmen, dass die Situation in Würzburg oder München besser ist als anderswo. Übergriffe gegen jüdische Studenten, wie sie an Berliner Universitäten passiert sind, gibt es in Bayern nicht. Wenn man von palästinensischer Seite auf die Idee käme, Universitätsräume zu besetzen, dann würde die Polizei im Einvernehmen mit dem Wissenschaftsminister ganz schnell eingreifen. Das ist wieder ein Beispiel dafür, warum es in Bayern anders läuft. Wir machen eine klare Ansage und dann unternehmen wir alle Anstrengungen, dass es möglichst gar nicht zu solchen Vorfällen kommt wie in Berlin.
Das Interview mit Inneminister Herrmann wurde am 28. Oktober 2024 von der Tagespost veröffentlicht. Hier kommen Sie zum Originalartikel auf der Website der Tagespost.
Text: Siegmund Gottlieb
(mw)