Waldsassen, 11. Oktober 2023
Die Pressestelle traf Dekan Dr. Thomas Vogl in Waldsassen. Im Interview betonte er: „Unsere Aufgabe als Kirche muss es daher sein, mit der Botschaft Jesu diesen Anker in die Welt zu werfen, und Hilfen anzubieten, diesen Anker für das eigene Leben zu wählen.“
Warum sind Sie Priester geworden?
Als Kind war ich von der Liturgie fasziniert. Das war ein sehr prägendes Kindheitserlebnis und hat den Wunsch geweckt, Priester zu werden. Neben der Familie, die „normal“ katholisch war und mit der regelmäßig die Sonn- und Feiertage gefeiert wurden, war die Zeit im Bischöflichen Studienseminar und der Besuch des Humanistischen Gymnasiums in Straubing für meinen Wunsch eine ganz wichtige Horizonterweiterung. Vor allem durfte ich da überzeugende und menschliche Priester erleben und auch als Novum damals eine Erzieherin, die ebenso eine wichtige Rolle für diese prägende Phase gespielt hat. Ich durfte erfahren, wozu Kirche da ist und wie sie ihren Auftrag wahrnehmen und erfüllen kann. Auch die Kirchenmusik hat eine große Anziehungskraft auf mich gehabt, so dass dieser Weg auch denkbar gewesen wäre, aber schließlich bin ich in Regensburg ins Seminar eingetreten und habe dort und in Brixen Theologie studiert. Diese Phase war sowohl im Studium als auch in den Praktika eine wichtige Formung und Reifung bis zur Priesterweihe 1994.
Was schätzen Sie am meisten nach der Corona-Pandemie?
Große Dankbarkeit dafür, dass menschliche Begegnungen und die Feier der Gottesdienste wieder wie gewohnt möglich sind. Vor allem schätze ich, dass das pfarrliche Leben in den Gruppen, in den Gremien und in den Verbänden wieder „normal“ funktioniert. Sicherlich hat es bei den Kontakten Abbrüche gegeben, aber letztendlich überwiegt das Positive, die Chance zu nutzen, wieder aufeinander zugehen zu können, Kirche in ihrer ganzen Breite und Vielfalt und Buntheit zu gestalten und erlebbar zu machen. Wichtig ist aber auch, sich mit den Erfahrungen aus der Pandemie weiterhin bewusst auseinanderzusetzen, denn so manche Selbstverständlichkeiten sind infrage gestellt worden. Es gibt den Versuch, so weiterzumachen wie bisher, aber die Realitäten fordern uns ganz neu heraus. Das mit Maß, aber hoffentlich auch viel innovativem Geist zu tun, ist jetzt dran.
Wie kann man aktuell junge Menschen für die Kirche gewinnen?
Ich glaube, dass nach wie vor das gilt, was schon immer gegolten hat. Über ein gutes personales Angebot entsprechende Beziehungen zu schaffen und jungen Leuten Erlebnisräume möglich zu machen, in denen sie Menschen der Kirche begegnen können. Es gilt dabei die jungen Menschen mit ihren Fragen ernst zu nehmen, sich für sie zu interessieren und ihre Lebenswelten kennenzulernen und dafür Verständnis zu entwickeln. Die Ministrantenarbeit ist ein daher wichtiges Moment in unserer kirchlichen Jugendarbeit. Aber was in den Verbänden geschieht, ist ebenfalls von großer Bedeutung. Mir persönlich ist es wichtig, die Schulgottesdienste der verschiedenen Schulen zusammen mit den Religionslehrkräften gut zu gestalten und vor allem die Chance der Verkündigung dort zu nutzen. Bei den Schülern stößt das auf Wohlwollen und Interesse und man spürt doch auch die Bereitschaft, zuzuhören. So hat eine Realschulklasse darum gebeten, mit dem Pfarrer eine Gesprächsrunde „über Gott und die Welt“ zu führen. Dass wir eine Beichtgelegenheit vor Weihnachten und Ostern direkt in der Schule anbieten, stößt auf großes Interesse und die Schüler nutzen diese. Also, wie gesagt, das Fundament muss dieses personale Angebot bleiben und diese persönliche Beziehung so gut als möglich aufrechtzuerhalten oder eben zu entwickeln und mit Leben zu erfüllen.
Wie ist die Zusammenarbeit mit den Ehrenamtlichen? Welche Rolle spielen diese in Zukunft?
Es gibt (noch) viele Ehrenamtliche und es finden sich auch immer wieder neue Menschen, die mitgehen und sich einbringen. Aber auch hier bleibt die Aufgabe, echte Wertschätzung entgegenzubringen, sie entsprechend zu begleiten und zu qualifizieren und ihnen das Vertrauen zu schenken, dass sie das verantwortungsbewusst und mit ihren eigenen Ideen und Kompetenzen können. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei allen bedanken, die in ihrer Freizeit diesen Dienst oft schon sehr lange tun. Ihr Beitrag wird in Zukunft noch viel mehr ein wesentlicher Baustein im vielfältigen Gefüge einer Gemeinde sein, damit „Kirche vor Ort“ vital und nahe an den Menschen dranbleibt.
Welche Rolle spielt das Thema Neuevangelisierung?
Evangelisierung hat immer schon stattgefunden und wird weiter stattfinden. Man sieht natürlich, wie die letzten Jahrzehnte und aktuell das Glaubenswissen und die Glaubenspraxis geschwunden sind, um so mehr ist es wichtig, weiter die jeweiligen Situationen zu analysieren, Akzente zu setzen und Zugänge zu schaffen. So wie es im Evangelium heißt, muss der Hausherr das Alte und Neue im Blick behalten und damit arbeiten. Ich denke, dass für das hauptamtliche Personal in einer Pfarrei eine Haltung sehr notwendig ist, die vor kurzem der Paderborner Pastoraltheologe Herbert Haslinger mit dem Begriff „Verlässlichkeit“ auf den Punkt gebracht hat. Wenn Menschen Kontakt suchen, Begleitung und Hilfe brauchen, dann sollte „Kirche“ erreichbar und nahe sein, gerade in Krisen- und Notfallsituationen. Aber auch die anderen Angebote der Gottesdienste, der Sakramentenvorbereitung und -feier, der Arbeit in Gruppen und Gremien brauchen diese Verlässlichkeit und sind für mich eben bereits Evangelisierung. Letztlich ist es eine Weise der Hingabe, wie sie Jesus vorgelebt hat. Mit den Menschen wie er einst unterwegs zu sein, auf sie zuzugehen, sie anzuschauen und sie nach ihren Ängsten und Sorgen zu befragen. Dies muss der Maßstab sein, der uns immer wieder antreibt, aus der Frohen Botschaft heraus neu zu leben. Hinzu kommt eine gewisse Gelassenheit, dass wir nicht alle und alles erreichen müssen und können, und das Gottvertrauen, das er schon längst das seinige getan hat und weiterhin tun wird, so dass Menschen in eine Beziehung mit Jesus kommen, ihn kennenlernen und ihr Leben an ihm ausrichten.
Welche Angebote machen Sie im Dekanat älteren Menschen?
Das passiert auf vielen Ebenen. Klassisch sind es weiterhin die Seniorennachmittage, Ausflüge, Nachbarschaftshilfen, persönliche Kontakte besonders auch im Bereich der Verbandsarbeit, aber es gibt auch viele Kooperationen auf kommunaler Ebene oder weiteren Gruppen, so dass durchaus ein Netzwerk besteht oder wächst, das Sorge trägt für die älteren Menschen. Als Kirche Präsenz zu zeigen, ist hier einfach wichtig und sich auch auf anderen Ebenen als Kooperationspartner anzubieten, eine Chance. In der ländlichen Struktur ist es wichtig, Mobilität zu ermöglichen, allen die Hilfe brauchen, diese auch zugänglich zu machen und daher insbesondere Alleinstehende und Kranke einzubinden. Ein wichtiges Ereignis sind Geburtstagsbesuche, denn hier wird die Wertschätzung der Person noch einmal besonders wahrgenommen. Damit wird gezeigt, dass sie ein ganz wesentlicher Teil unserer Gemeinde und Gesellschaft sind. Papst Franziskus betont immer wieder, dass die Generationen voneinander lernen sollen, und bringt den Großeltern mit ihrer Lebenserfahrung und Weisheit, die sie mit den Jüngeren teilen, große Wertschätzung entgegen. Der Tag der Großeltern ist da beispielsweise eine gute Gelegenheit, dies in den Gemeinden zu verorten und zu gestalten.
Wird der Glaube in den Familien noch gelebt – und wie unterstützen Sie die Familien?
Mit den Taufgesprächen beginnen wir den ersten Kontakt zu den Familien. Weiterhin laden wir alle Taufeltern nach einem Jahr wieder ein, um dieses Sakrament noch einmal in das Bewusstsein zu rufen und einen weiteren Austausch zu ermöglichen. Dann gibt es seitens des Pfarrgemeinderats die Angebote der „Kinderkirche“ und der „AbenteuerKirche“, so dass wir die Heranwachsenden zwischen der ersten bis zur dritten Klasse ansprechen können und einen regelmäßigen Kontakt schaffen. Dann setzen wir einen großen Schwerpunkt auf die Sakramentenvorbereitung, auf Erstkommunion und auf Firmkatechese. Aber auch die Elternkatechese bildet einen Schwerpunkt, um die Eltern noch intensiver in diesen Prozessen zu begleiten, um sie sprachfähig zu machen, damit die Fragen, die die Kinder stellen, schon in der Familie besprochen werden können. Die Zeiten haben sich geändert und so versuchen wir, diesen Wandel zu gestalten. Es muss aber auf diesem Weg jedem bewusst werden, dass ich mehr und mehr selbst gefordert bin, mein Leben als Christ in dieser Welt zu führen. Das kann ich nicht delegieren. Freilich braucht es auch die Gemeinschaft, in der ich meinen Platz habe, die mich dadurch auch immer wieder bestärkt. Aber ohne ein gesundes religiöses wie kirchliches Selbstbewusstsein, das jedoch nicht rechthaberisch oder gar fundamentalistisch bzw. in einem Lamento über die böse Welt und schlechte Zeit daherkommen darf, wird es nicht gehen. „Schwarzbrotspiritualität“ (Fulbert Steffensky) und „geerdeter Himmel“ (Wilhelm Wilms) sind für mich Bilder für einen gelebten Glauben in den Familien.
Welchen Mehrwert hat die Kirche gegenüber dem Staat?
Wenn ich es etwas verkürzt sagen möchte:Der Staat versorgt mich – und die Kirche hilft mir zu leben und nicht nur zu existieren, zur Tiefe und Mitte zu finden. Meines Erachtens kommt es aber auf dieses „und“ an und es geht nicht um ein „aber“ oder gar ein Gegeneinander. Außerdem braucht es für diese Fragestellung die Bereitschaft des Menschen, das Leben in all seiner Vielfalt zu sehen, zu reflektieren und dann und wann eben auch über das allzu Vordergründige hinauszudenken. Den Mehrwert, den die Kirche oder doch besser gesagt das Evangelium als Botschaft von der Rettung und Erlösung des Menschen in sich trägt, kann bei der Begegnung mit den Menschen aufbrechen – aber auch, wenn ein Kind zur Welt kommt, wenn man als Jugendlicher seinen Weg ins Leben sucht, wenn man eine Beziehung eingeht und heiratet, wenn man krank wird und in eine Krise gerät. Es gibt in allen diesen Situationen die Ahnung und Hoffnung, dass etwas da ist, was mir Halt gibt – und das kann dann die Kirche nicht aus sich selbst, sondern nur mit dieser Zusage des Evangeliums sein. Der Soziologe Hartmut Rosa hat in einem Interview unlängst betont, dass dieses sichere Gefühl einen Anker in der Welt zu haben, abhandengekommen ist. Es hat mich nachdenklich gemacht, wenn ein Soziologe das so konstatiert und auch noch ergänzt, dass er die Sorge hat, dass zum Beispiel seine Studenten diese Haltepunkte – einen sicheren Beruf zu erlangen, die Bereitschaft eine Familie zu gründen und auch die Religion für das Leben zu finden – nicht mehr oder nur schwer finden werden. Unsere Aufgabe als Kirche muss es daher sein, mit der Botschaft Jesu diesen Anker in die Welt zu werfen, und Hilfen anzubieten, diesen Anker für das eigene Leben zu wählen. Ja, wir müssen die Menschen dafür aufmerksam machen, ein Gespür für die Mehrdimensionalität des eigenen Daseins zu entwickeln. Als Kirche müssen wir ein glaubwürdiges Zeichen dafür sein, dass dieser Gott in seinem menschgewordenen Sohn Jesus Christus Sinn und Orientierung anbietet. Da ging leider in letzter Zeit viel davon verloren. Umso mehr heißt es nun, überzeugend und verlässlich für die Menschen da zu sein.
Interview: Stefan Groß
(kw)