News Bild In der Integration zurückgeworfen: Die Pandemie trifft junge Zugewanderte hart.

In der Integration zurückgeworfen: Die Pandemie trifft junge Zugewanderte hart.

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Nach einem Jahr Pandemie weiß Anja Grundei: Der Jugendmigrationsdienst ist für junge Migrantinnen und Migranten systemrelevant. Anja Grundei leitet das Referat Migration und Integration der Katholischen Jugendfürsorge Regensburg (KJF) und den Jugendmigrationsdienst der KJF. Sie blickt auf die letzten Monate zurück.

„Es ist mir ein Anliegen, die Situation der jungen Zugewanderten in den Blick zu nehmen. Unsere Arbeit wird öffentlich wenig wahrgenommen, weil wir im Hintergrund agieren“, so Grundei. Viele junge Zugewanderte und darunter gerade diejenigen, die in prekären Wohn-, Aufenthalts- und Arbeitsverhältnissen leben, haben während der Pandemie das Angebot der Jugendmigrationsdienste der Katholischen Jugendfürsorge an den Standorten Regensburg, Schwandorf, Windischeschenbach und Cham intensiv wahrgenommen.

 

Ohne Lobby strukturell und finanziell benachteiligt

Die Probleme der jungen Menschen sind drängend, gesteckte Ziele werden unerreichbar. Sie verlieren ihre Arbeit – zum Beispiel in der Gastronomie und bei Zeitarbeitsfirmen. Sie können die für Anträge erforderlichen Bescheinigungen nicht beibringen, bekommen keine Termine bei Behörden, weil sie Formulare nicht downloaden, ausfüllen und die Termine online buchen können. Viele, die noch zur Schule gehen, sind für das Homeschooling nicht gut genug ausgestattet. Und mit dem Smartphone kann man dem Unterricht einfach nicht folgen. Der fehlende digitale Zugang macht sich insbesondere bei den (Berufs-)Schülerinnen und -Schülern stark bemerkbar. Wer kann sich unter diesen Umständen gut auf Prüfungen vorbereiten? So schnitten einige der Absolventen letztes Jahr bei den Abschlussprüfungen schlecht ab. Diese jungen Menschen sind von den Auswirkungen der Pandemie besonders betroffen, da um die wenigen Ausbildungsplätze noch stärkere Konkurrenz herrscht.

„Eine unserer Mitarbeiterinnen des Jugendmigrationsdienstes der KJF Regensburg hat sich im Frühjahr letzten Jahres sehr bemüht, um an Fördermittel und Leihgeräte zu kommen, damit die Jugendlichen überhaupt eine Chance haben, am Distanzunterricht teilzunehmen“, erzählt Anja Grundei. Sie sieht ihre Klientinnen und Klienten strukturell und finanziell benachteiligt. Sie hätten keine starke Lobby und oft fehle die elterliche Unterstützung. Hinzu kämen Einschränkungen während der Pandemie: Die von Flüchtlingsorganisationen angeprangerte Unterbringung in großen Gemeinschaftsunterkünften sowie fehlende Schutz- und Testkonzepte führten im Beratungsgebiet der Jugendmigrationsdienste zu mehreren größeren Corona-Ausbrüchen. Die mehrwöchigen Quarantänen trafen Auszubildende, Berufstätige und alle Bewohner. Eine selbstständige Versorgung war nicht mehr möglich und der Jugendmigrationsdienst (JMD) organisierte im Frühjahr 2020 in Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen Grundnahrungsmittel, Obst und Gemüse, Windeln und Babynahrung sowie Hygieneartikel.

 

Zukunftsperspektiven gehen verloren

Hochmotivierte und teils gut beschulte Geflüchtete mit schlechter Bleibeperspektive oder nicht geklärter Identität erhalten keine Ausbildungserlaubnis, teilweise auch keine Arbeitserlaubnis. Viele junge Menschen, aktuell vor allem aus Afghanistan, sind von Widerrufen der Aufenthaltserlaubnis und Abschiebung betroffen oder bedroht. Dadurch haben viele der jungen Menschen keine Zukunftsperspektive. Dies führt häufig zu Depressionen, Suizidgefährdung, Suchterkrankungen, Aggressionen und Kriminalität. Die Fachkräfte im JMD werden von dieser Problemlage vor kaum lösbare Aufgaben gestellt und sind durch die belastenden Umstände selbst psychisch belastet. Für die Ratsuchenden ist eine zeitaufwändige psychosoziale Beratung und Begleitung nötig. Die Pandemie-Situation mit den Ausgangsbeschränkungen und gleichzeitiger Enge der Unterkünfte hat die psychische Situation bei vielen jungen Menschen noch verschärft.

Der Jugendmigrationsdienst kritisiert, dass in aktuellen, politischen Debatten die humanitären und christlichen Aspekte zu kurz kommen. Anja Grundei nennt Beispiele: „Insbesondere Afghanistan, zum Teil auch andere Länder, in die junge Menschen abgeschoben werden, sind nicht sicher. Wir begleiten häufig junge afghanische Geflüchtete, die von Abschiebung bedroht sind. Die fortwährende Belastung schädigt die jungen Menschen psychisch nachhaltig. Wir sind immer wieder mit der Äußerung von Suizidabsichten konfrontiert. Diese Abschiebungen sind in höchstem Maße menschenverachtend.“ Hinzu käme, dass Familienzusammenführungen verhindert werden. „Dabei ist die besondere Schutzwürdigkeit von Ehe und Familie im Grundgesetz verankert und wird von den Kirchen in Deutschland sehr ernst genommen“, stellt Grundei heraus. Insbesondere für Eritreer sei die Beschaffung erforderlicher Papiere aus der Heimat häufig unmöglich, so dass Familien auf Lebenszeit getrennt bleiben oder gezwungen sind, den illegalen Weg der Einreise zu gehen. „Residenzpflicht, Arbeitsverbot, Massenunterbringung der Menschen mit Sachleistungsversorgung und die verweigerte Aufnahme in regulären Schulen sind gerade in der Corona-Pandemie ein humanitäres Desaster“, so Grundei weiter. Vor diesem Hintergrund sind die Jugendmigrationsdienste deutschlandweit gefordert, damit junge Menschen mit Migrationshintergrund eine Zukunft haben.

 

Text: Anja Grundei, Christine Allgeyer



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