Regensburg, 12. September 2024
Pfarrer Dr. Christoph Seidl ist Leiter der Dienststelle „Seelsorge für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen“ und Beauftragter für die Krankenseelsorge im Bistum Regensburg. Mit Eindrücken aus seinem Urlaub auf der Insel Amrum geleitet er Sie heute in den langsam beginnenden Herbst.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Vom Urlaub auf der Insel Amrum habe ich einen besonderen Eindruck mitgebracht. In der kunstvoll angelegten Dünenlandschaft gibt es weitläufige Heideflächen, durch die lange Holzbohlenwege führen. Zunächst scheinen diese künstlichen Wege sich nicht ganz harmonisch in die Natur einzufügen, aber bei genauerem Hinsehen sind sie gar nicht so unschön (Holz ist ja auch Natur), vor allem sind sie sehr umweltschonend. Durch sie werden die Tritte der Menschen auf einen bestimmten Raum reduziert und verhindert, dass sich Trampelpfade bilden und Lebensraum von Pflanzen und brütenden Vögel durch Touristen gestört wird. Mir gefallen Plakate und Spruchkarten auf der Insel, auf denen ein Bohlenweg zu sehen ist und dazu der Schriftzug:
„Manchmal ist der Holzweg gar nicht so verkehrt. Vor allem, wenn er zum Meer führt.“
Ich bin stundenlang auf diesen Wegen gegangen und konnte mich gar nicht satt sehen an Flora und Fauna, an vielen Stellen waren lehrreiche Tafeln aufgestellt, um noch mehr über die Vielfalt der Natur zu erfahren. Und wenn der Kopf frei wird, haben die Gedanken freien Lauf: Wie ist das denn mit den Wegen meines Lebens? Die sind nicht immer so schön vorbereitet wie in dieser Dünenregion. Oft muss ich mir meine Wege erst suchen, nicht selten sind sie holprig oder ich trete in eine Pfütze. Auch im Hinblick auf die Begegnung mit anderen Menschen ist es gar nicht so einfach – davon können alle pflegenden, sozialen und helfenden Berufe ein Lied singen: Wie schwer ist es, zu manchem Menschen einen Zugang zu finden, da tritt man schon mal schnell in ein Fettnäpfchen. Und wie schwer ist es manchmal in Beratung und Begleitung, gemeinsam nach dem besten weiteren Stück Weg zu suchen, wenn alle Türen wie verschlossen scheinen oder alle bekannten Pfade wie nach einem schweren Gewitter weggespült wurden. Da würde ich mich schon gelegentlich nach einem solchen Bohlenweg sehnen.
Welchen Weg wir auch wählen - Gott begleitet und führt ihn!
Eine Zeitschrift, die ich regelmäßig bekomme, trägt den Titel Wege zum Menschen. Es gibt sie bereits seit über 70 Jahren. Da werden Themen diskutiert, die Berufsgruppen betreffen, die gezielt mit Menschen zu tun haben, z.B. Pflege, soziale Dienste, Seelsorge etc. Wege zum Menschen werden da überlegt, besprochen und gezeigt. Mir kommt es so vor, als würden mit solchen Überlegungen Bohlen gelegt auf unwegsamem Gelände, könnten Wege eröffnet werden, wo grade keine zu sein scheinen. Dabei ist es aber dennoch wichtig zu lernen: Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg finden – möglicherweise mithilfe anderer, die zur Seite stehen – und jeder muss seinen eigenen Weg selbst gehen.
Aber wie ist das eigentlich für gläubige Menschen, wenn es da heißt:
„Gott, zeig mir den Weg, den ich gehen soll…“ (Psalm 25,4)
Legt Gott gleichsam Bohlen für mich aus? Während meines Studiums gab es ein wichtiges geistliches Lesebuch des Münsteraner Spirituals Johannes Bours mit dem Titel Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt. Dabei handelt es sich um ein Zitat aus dem Talmud, einem jüdischen Weisheitsbuch. Gemeint ist, dass der Mensch sehr wohl von Gott geführt wird, dass er aber dennoch keine Marionette ist, sondern dass er selbst bestimmt, welchen Weg er gehen möchte. Und egal, welchen Weg er schließlich wählt: Gott begleitet ihn und führt ihn. Der persönliche Weg wird mit Gott zum Bohlenweg!
Und damit hat dieser Bohlenweg tatsächlich mit jedem und jeder von uns zu tun: Wir müssen alle täglich Entscheidungen treffen, alltägliche und weitreichende. Manchmal könnte einem schon Angst davor werden. Aber wofür wir uns auch entscheiden, Gott wird uns auf diesem Weg begleiten, er wird uns führen, er wird – um bei dem Bild des Bohlenweges zu bleiben – für den Weg, den wir wählen, einen begehbaren Untergrund schaffen, damit wir nichts zertrampeln, nicht im Morast stecken bleiben und schließlich genügend Kraft haben, um an unser Ziel zu kommen. Symbolisch steht dafür für mich der Leuchtturm auf unserem Bild. Er zeigt mir gerade in wolkigen und nebligen Phasen die Richtung an. Und besonders gut gefällt mir beim Leuchtturm der nautische Begriff der Tragweite: Er gibt an, wie weit ein Leuchtfeuer zu sehen ist. Im übertragenen Sinn könnte man sagen: Der Leuchtturm meines Lebens, mein inneres Licht, hat für mich eine große Tragweite. Ich darf eine Kraft erleben, die mich auf unwegsamem Gebiet trägt und mich weiterführt.
Ich wünsche Ihnen in Ihrem beruflichen Tun wie auf privatem Gelände die Erfahrung, dass Sie Wege finden, die Sie gehen können, und dass Sie im Dickicht mancher Ratlosigkeit immer wieder ein Orientierungslicht entdecken. Einen farbenfrohen Herbst mit ausreichend Erholungs- und Stärkungsmomenten wünscht Ihnen
Christoph Seidl
Text: Pfarrer Dr. Christoph Seidl
(SSC)