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Glauben und zweifeln in Corona-Zeiten

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Covid-19 stürzt uns in eine paradoxe Welt. Nicht nur das Virus, auch der Verbotswirrwarr grassiert. Skepsis ist Pflicht, meint Marianne Sperb von der <link http: www.mittelbayerische.de external-link-new-window internal link in current>Mittelbayerischen Zeitung.

Wenn am Montag im Regensburger Dom wieder Messe gefeiert werden darf, geht für Gläubige ein inniger Wunsch in Erfüllung. So drängend ist das Bedürfnis nach „communio“, nach Kirchengemeinschaft und Kommunion, dass Katholiken im oberpfälzischen Eschenbach keine fünf Minuten länger warten möchten als nötig. In St. Laurentius beginnt die Eucharistiefeier deshalb noch in der Nacht zu Montag, um 00.05 Uhr. Das Beispiel zeigt: Der Glaube entwickelt in Zeiten der Krise starke Kraft.

 

Die Pflicht zu Mundschutz ist kein Maulkorb

Der Glaube ist in Corona-Zeiten auch oft das Wenige, woran wir uns halten können, denn die Wissenschaft wankt. Die Datenbasis ist interpretationsbedürftig, der Empfehlungskatalog widersprüchlich. Dass die Kurve der Neuinfektionen, die die Regierung zum Maß aller Dinge erklärt, die Lage grotesk überdramatisiert, stellte zuletzt sogar die Leopoldina fest, die Nationale Akademie der Wissenschaften.

Jüngstes Beispiel für grassierenden Wirrwarr: die Reproduktionszahl R, also die Quote, wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt. Das Robert-Koch-Institut, offizieller Berater der Regierung, bezifferte R am 22. April für Bayern auf 0,9, Ministerpräsident Markus Söder am 23. April auf 0,57. Was wissen wir also? Und was sollen wir glauben?

Nicht nur Politik und Wissenschaft widersprechen sich, auch Mediziner und Regierende untereinander. Beispiel Nasen-Mund-Schutz: Er wird von Virologen erst als nutzlos eingestuft, dann als empfehlenswert gelobt, dann vom Gesetzgeber strafbewehrt angeordnet und gleichzeitig, immerhin vom Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery, als Virenschleuder verdächtigt.

Ähnlich inkonsistent präsentiert sich der Wall an Eindämmungen, der sich parallel zum Virus im Land fortpflanzt. Beispiel Sport: Fans sollen bald wieder Gott Fußball feiern, in einer TV-Fernbeziehung, obwohl das bedeutet, dass anderweitig dringend benötigte Tests in großer Zahl für Spieler verwendet werden, weil die sich bei der Jagd nach dem Ball sehr nahe kommen. Für Golf dagegen fehlt eine Perspektive, obwohl es, außer Segeln vielleicht, kaum eine infektionsgeschütztere Sportart gibt. Ein Fußballplatz ist rund 7000 Quadratmeter groß, ein Golfplatz im Mittel 75 Hektar. Welche Logik herrscht hier?

Die Politiker folgen der Sorge um das Leben der Bürger. Das stimmt sicherlich im Grunde, und das möchten wir auch gern glauben. Bei den Verboten geht es aber keineswegs allein um Gesundheit, sondern auch um Geld. Beispiel NRW: Möbelhäuser durften dort, unabhängig von der Größe, im April früh öffnen, und zwar „aus klarem wirtschaftlichem Interesse“, wie NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann sagte.

Was wir wissen: Covid-19 ist eine ernste, eine todernste Bedrohung. Deutschland blieb die Katastrophe bislang erspart; das bestätigt, wie gerechtfertigt die Maßnahmen sind, argumentieren Mediziner und Politiker. Das Gegenteil stimmt genauso: Nur weil der schlimmste Fall ausbleibt, müssen nicht alle Verbote richtig sein.

Die Pandemie stürzt uns in eine paradoxe Welt. Die Rufe, auf eine komplexe Lage auch komplex zu reagieren, also alle Aspekte – medizinische, soziale, wirtschaftliche, rechtliche – abzuwägen, werden drängender. Zuletzt betonte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der demokratiefeindlicher Verschwörungstheorien unverdächtig ist: Hinter dem Schutz von Leben dürfen nicht alle anderen Werte zurückstehen. Ethik-Experten stimmen ihm zu.

Vieles wissen wir nicht, vieles müssen wir glauben. Aber die Pflicht zu Mundschutz ist kein Maulkorb, die Demokratie keine Virokratie und keine Diktatur. Was wir keinesfalls aufhören dürfen, gerade in diesen Zeiten, sind zweifeln und fragen. Beten muss übrigens nicht schaden.



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