Kreuzigungsgruppe in einer mit Korkeiche und Rinde verkleideten Grotte

Eremitorium am Obermünsterplatz Regensburg

Juwel im Dornröschenschlaf


Regensburg, 11. September 2025

Dunkle, von knorriger Rinde und Wurzelstöcken geformte Grotten mit erstarrten Figuren darin, elegante Deckengemälde, eine um ihr von Dornen durchbohrtes Kind trauernde Königin. Wo befinden wir uns? Im von Gestrüpp überwucherten Schloss von Dornröschen, wo alles in einen tiefen Schlaf versunken ist, nachdem sich die Prinzessin mit einer Spindel in den Finger gestochen hat? Nicht ganz. Statt im Märchen finden wir uns in einem mystisch anmutenden Raum wieder, der die Kreuzigung Christi und einige große Gestalten unter den Heiligen zum Leben erweckt: Das Eremitorium am Obermünsterplatz in Regensburg. Einst im 18. Jh. als Andachtsort im Garten des Regensburger Kapuzinerklosters St. Matthias erbaut, wurde es im Jahr 1975 an seinen heutigen Ort versetzt. Doch auch dieser Ortswechsel hat der mystischen Atmosphäre im Inneren der Eremitage keinen Abbruch getan. Nach fast 50 Jahren, die es am neuen Platz fernab der Öffentlichkeit stand, wurde das Eremitorium letztes Jahr aus seinem Dornröschenschlaf geweckt und wartet darauf, in seiner einzigartigen Schönheit entdeckt zu werden.

Einmalig in ganz Bayern

Das Eremitorium ist eine der wenigen noch in Deutschland erhaltenen Klausen dieser Art. Es ist gestaltet in Form einer dreischiffigen Basilika, die von außen recht schlicht anmutet. Innen jedoch entfaltet sie dank der großflächigen Verkleidung mit Rinden und Wurzelhölzern eine naturverbundene, stille Pracht, die in Bayern ihresgleichen sucht. Der Blick wird unmittelbar auf die große Kreuzigungsszene im kleinen Chorraum der Klause gelenkt. Dort ist in Lebensgröße eine geschnitzte Figur Christi am Kreuz vor einem Gemälde zu sehen, das den sich wegen des Todes Jesu verdunkelnden Himmel über Jerusalem zeigt. Auf der einen Seite des Kreuzes ist Dionysius Areopagita dargestellt, auf der anderen kniet der in Ketten auf die Erlösung wartende Adam. Diese Gegenüberstellung des alten und neuen Adam – Jesus, der durch seinen Tod am Kreuz die Ketten des Todes sprengt – ist in der Kunst ein eher seltenes Motiv. Vor dem Kreuz steht eine Figur der Schmerzensmutter Maria, der ein Schwert durch das Herz dringt. Flankiert wird die Szene von Engeln, die mit Posaunen in den Händen das Jüngste Gericht ankündigen. Unterhalb der Kreuzigungsgruppe geben zwei Nischen den Blick auf Fegefeuer und Hölle frei. Von einem Deckengemälde herab folgen Gott Vater und der Heilige Geist dem Geschehen am Kreuz.

 

Hölzerne Grotten und ausdrucksstarke Figuren

Eindrucksvoll sind auch die mit Korkeiche, Rinde und Wurzelgehölz verkleideten Grotten in den Seitenschiffen. In Form lebensgroßer, bemalter und bekleideter Figuren blicken von dort aus ein Apostel sowie große Einsiedlergestalten und Ordensgründer auf ihren Heiland am Kreuz: der reuige Petrus, der ägyptische Wüstenvater Paulus von Theben, Hieronymus, Bruno „der Kartäuser“, Franz von Assisi und Benedikt, der von Romanus von Subiaco Brot gereicht bekommt. Auch Johannes der Täufer als Kind und der heilige Augustinus sind in den Nischen zu entdecken. Auf einer Galerie entlang der Wände befinden sich allegorische Darstellungen der vier Erdteile als Reiter auf verschiedenen Reittieren: für Europa ein Pferd, für Amerika ein Krokodil, für Asien ein Kamel und für Afrika ursprünglich ein Elefant, der jedoch verloren gegangen und durch einen Löwen ersetzt worden ist. Vor dem Chor prangt an der Decke das Zeichen des Stifters der Grotte, Weihbischof Albert Ernst Graf von Wartenberg. Die Decke der Klause zeigt wiederum ein Gemälde, auf dem Christus, von Engelsköpfen umrahmt, eine Schriftrolle in der Hand hält.

Bewegte Geschichte – im wahrsten Sinne des Wortes

Die sogenannten Eremitorien waren beliebte Bauwerke, die seit dem 17. Jh. sowohl im höfischen als auch im klösterlichen Bereich weite Verbreitung fanden. So wurde beispielsweise auch im Garten des Schlosses Nymphenburg in München eine solche Einsiedelei errichtet. Besonders im Kapuzinerorden, der als Eremitenorden gegründet worden und naturverbunden war, erfreuten sich Eremitorien in den Klostergärten großer Beliebtheit. Das Regensburger Eremitorium wurde 1712 von einem Kapuzinerbruder namens Lucianus im Garten des Kapuzinerklosters St. Matthias erbaut. Dazu suchte er im Wald Baumrinden, Wurzeln und Stöcke zusammen. Die Klause war jedoch nicht ständig bewohnt, sondern vielmehr ein Andachtsort. Nachdem die Kapuziner 1811 das Kloster aufgrund der Säkularisation aufgeben mussten, siedelten sich Klarissen dort an. Diese nutzten die Klause auch als Friedhofskapelle. 1974 mussten auch die Klarissen ihr Kloster, das mittlerweile St. Klara hieß, verlassen. Als das Eremitorium aufgrund von Baumaßnahmen in Gefahr stand, abgerissen zu werden, wurde es im Jahr 1975 an seinen heutigen Ort auf das Gelände der zerstörten Obermünsterkirche neben die Mercherdach-Kapelle verlegt. Dabei wurden tragende Teile vollständig erneuert und das Gebäude auf ein Betonfundament gesetzt. Zudem mussten zum Brandschutz einige Fenster des dahinter liegenden alten Parkhauses St. Peter zugemauert werden. Nicht alles lief bei der Versetzung nach Plan: So wurden beispielsweise die beiden Ölgemälde, die Fegefeuer und Hölle darstellten, während der Bauarbeiten entwendet und mussten durch Kopien ersetzt werden. Im Jahr 2006 wurde das Bauwerk als Teil der Regensburger Altstadt zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Nach Konservierungsmaßnahmen wieder zugänglich

Nach 50 Jahren in der Verborgenheit ist das Eremitorium seit einem Jahr wieder der Öffentlichkeit im Rahmen von Führungen zugänglich. Die nächste Führung findet am 28.09.2025 von 16-17 Uhr statt. Treffpunkt ist am Eisentor der Obermünsterruine (Obermünsterplatz). Weitere Informationen zu Tickets und Anmeldung gibt es auf der Homepage der KEB Regensburg.

Text und Fotos: Frater Thomas Müller
(chb)

Impressionen vom Eremitorium

Weitere Infos

Die nächste Führung findet am 28.09.2025 von 16-17 Uhr statt. Treffpunkt ist am Eisentor der Obermünsterruine (Obermünsterplatz). Weitere Informationen zu Tickets und Anmeldung gibt es auf der Homepage der KEB Regensburg



Nachrichten