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Ein Jahr als „Missionarin auf Zeit“ in Ruanda

Veronikas Mission

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Masaka/Ruanda, 13. Oktober 2022

Veronika Wetzel ist 22 Jahre alt und stammt aus Waltenhofen im Oberallgäu. Direkt nach dem Abitur absolvierte sie ein Volontariat bei der katholischen Wochenzeitung Die Tagespost. Ihre Familie ist eng mit den Comboni-Missionaren verbunden. Daher war es schon ein Kindheitstraum als „Missionarin auf Zeit“ zu wirken. „Mein Wunsch war bereits damals dafür nach Afrika zu gehen – ich hatte schon immer eine Faszination für den Kontinent. Meine Motivation für dieses Jahr war und ist vor allem durch das Mitleben im Konvent in meinem Glaubensleben zu wachsen, durch die Konfrontation und den Austausch mit einer anderen Kultur zu lernen, meine eigenen Perspektiven zu hinterfragen, aber auch meine Ideen und Talente einzubringen, um so konstruktives internationales Zusammenleben zu lernen“, beschreibt Veronika ihre Motivation für diesen Schritt. Seit Anfang September ist sie nun tatsächlich als „Missionarin auf Zeit“ in Ruanda bei den Passionisten. Regelmäßig nimmt uns Veronika nun mit auf ihre Reise und berichtet in den nächsten 12 Monaten über ihre Erfahrungen und Gedanken bei diesem außergewöhnlichen Einsatz für die Menschen und die katholische Kirche.

Das Zimmer meiner Mit-Freiwilligen und mir. Geschlafen wird wegen des Malaria-Risikos nicht ohne Mückennetz.

Erster Monat: Alles neu, alles anders

4. September, Flughafen Istanbul: Ich warte auf meinen Anschlussflug nach Kigali, Hauptstadt von Ruanda. Ein Jahr als Missionarin auf Zeit in dem ostafrikanischen Land liegt vor mir. Ich bin nur noch eine von wenigen Weißen. Noch nie war ich mir meiner Hautfarbe so bewusst. Was eigentlich keine Rolle spielen sollte, spielt doch eine. Ich komme mit einer afrikanischen Frau ins Gespräch. Als ich ihr erzähle, dass ich in Ruanda in einer Schule arbeiten werde, aber noch nicht weiß, in welchem Fach und in welcher Klasse sagt sie: "You must have many talents if you can teach any grade any subject." Sprich: Immer die Weißen, die meinen, uns Afrikaner belehren zu müssen. Es ist verletzter Stolz, der aus ihren Worten spricht. Es sind die offenen Wunden einer schwierigen Vergangenheit, die aus ihren Worten sprechen. Ruanda war einst eine deutsche Kolonie. Die Begegnung ist für mich zum Maßstab meines Einsatzes geworden: Mir bewusst zu sein, dass ich nicht hier bin, um zu belehren, sondern um erst einmal wahrzunehmen, was da ist, um voneinander zu lernen.

Eine relativ typische ruandische Mahlzeit: Reis, Kochbananen und Rote Beete.

Der Kopf als Transportmittel

Rund einen Monat bin ich jetzt schon hier in Masaka, einem Vorort von Kigali, bei acht Pallottinerinnen. Ein Jahr werde ich mit meiner Mit-Freiwilligen Emma hier sein und unter dem Motto „Mitleben, Mitbeten und Mitarbeiten“. Konkret bedeutet das: Den Schwestern in der Küche beim Kochen helfen, an den verschiedenen Schulen der Pallottinerinnen im Unterricht helfen (inzwischen weiß ich, dass ich Kunst in den Klassen 1 bis 6 unterrichten werde und hatte auch schon meine ersten Unterrichtsstunden) und an den Gebetszeiten und Gottesdiensten der Schwestern abends teilnehmen. Vieles ist hier anders als zu Hause, einiges erinnert mich auch an zu Hause. Zu den Unterschieden, die mir am meisten aufgefallen sind: Es gibt Fahrradtaxis, bei denen man sich auf den gepolsterten Gepäckträger hockt und dann vom Radler durch die Gegend kutschiert wird. Die Busse fahren zu keinen festen Zeiten, sondern man stellt sich einfach in die Warteschlange, die für ein bestimmtes Reiseziel gebildet wird, wartet, bis der Bus irgendwann kommt, der wiederum wartet, bis er voll ist – und dann fährt man los. Die Leute tragen hier außerdem wirklich ALLES auf dem Kopf: von Obstschüsseln über Schuhe und zusammengebundenes Zuckerrohr bis hin zu Sofas! Wie sie das anstellen, bleibt mir wirklich ein Rätsel.

 

Zwei Frauen auf der Straße mit Schüsseln auf dem Kopf: Alles wird hier auf dem Kopf getragen: Von Obstschüsseln über Zuckerrohrstangen bis hin zu Sofas.

Eine Kirche voller Geistlicher

Aber an zu Hause erinnert mich, dass es viel regnet (die Regenzeit hat begonnen) und die Landschaft deswegen von grünen Hügeln geprägt ist – ich sage zum Spaß auch gern afrikanisches Allgäu. :D Außerdem grasen in unserem Garten ein paar Kühe, was mich auch sehr an zu Hause erinnert. Zum Frühstück gibt es außerdem ein Brot, das quasi wie Dampfnudeln schmeckt. Neben den Erinnerungen an zu Hause hat mir der herzliche Empfang der Schwestern das Einleben erleichtert: Gleich an meinem ersten Abend wurden die acht Postulantinnen (werdende Schwestern in der "Probephase") verabschiedet, weil sie für ihre nächste Station nach Tansania entsandt wurden und ich habe mich sofort als Teil der Gemeinschaft gefühlt: Es wurden traditionelle Tänze zusammen getanzt, gesungen und ein Highlight: Es gab sogar Fanta und Cola :D. In der ersten Woche sind wir auch zur ersten Profess von drei Schwestern in Ruhango eingeladen worden, zu der Pallottiner aus ganz Ruanda und auch aus dem Kongo gekommen sind. Der ganze Altarraum war voller Priester und die ersten Reihen nur mit Schwestern besetzt. Ich glaube, das war mein erster Gottesdienst, in dem mehr Geistliche als Laien waren – ein beeindruckendes Bild! Es war außerdem ein Kirchenchor da, der wunderschön gesungen und – natürlich – traditionell getanzt hat. Nach dem dreistündigen Gottesdienst gab es ein großes Festessen.

Die erste Profess von drei Schwestern in Ruhango, bei der mehr Geistliche als Laien in der Kirche waren.

Alleine vor 42 Kindern

Weil die Schule bisher noch nicht begonnen hatte – nur der internationale Schulzweig Cambridge, in dem ausschließlich auf Englisch unterrichtet wird, habe ich die Zeit auch noch genutzt, um mit meiner Mit-Freiwilligen Emma und zwei ehemaligen Freiwilligen und einem Freund von ihnen, die zu Besuch waren, zu reisen und auch so das Land ein bisschen kennenzulernen. Im Akagera-Nationalpark haben wir Zebras, Giraffen und Nilpferde beobachtet, im Virunga-Nationalpark einen Vulkan von 3.711 Meter bestiegen und auf dem Kivu-See, der halb zu Ruanda, halb zum Kongo gehört und rund zehnmal größer ist als der Bodensee, eine Bootstour gemacht. Leider habe ich mir auf der Reise auch wohl durch schlechtes Trinkwasser eine Lebensmittelvergiftung eingefangen, die sich letztendlich so verschlimmert hat, dass ich hier in die Klinik musste und Antibiotika einnehmen musste. In der Klinik war ich – zu meinem Beschämen – überrascht, was für kompetente Fragen der Arzt gestellt hat und dass es überhaupt die richtigen Medikamente zu meiner Behandlung gab. Welche Vorurteile man hat, merkt man oft erst, wenn sie widerlegt werden. Es werden in dem Jahr wohl noch viele Vorurteile abgebaut werden – bei mir, aber auch bei anderen. Denn auf der Straße fallen wir als Weiße schon auf, klar: Wir sind die einzigen hier. Und besonders Kinder fragen schon öfter nach Geld, vereinzelt auch Erwachsene. Es ist wohl auch das Denken, dass Weiße alle reich sind und es deswegen ihre Verpflichtung ist, den "armen" Leuten hier Geld zu geben. Es ist ein Denken, das Abhängigkeit statt Selbstständigkeit fördert. Es ist ein Denken, das wohl vor allem von den vielen Hilfsorganisationen, die hier nach dem Völkermord waren, genährt wurde.

Die neue Schule der Pallottinerinnen. Hier sind die Grundschulklassen 1-6 des nationalen und internationalen Zweigs (Cambridge) untergebracht, sowie der englischsprachige Kindergarten.

Naja, ich bin wieder auf den Beinen und diese Woche hat die Schule (der nationale Zweig) begonnen. Mit einer Sache hat die Frau am Flughafen Recht behalten: "They are just going to let you take over class." Den Kunstunterricht mache ich alleine, in der Vorschule soll ich eigentlich nur helfen, aber weil die Lehrerin (eine Schwester aus der Gemeinschaft) zu einer Behörde musste, war ich dann am ersten Schultag doch mit einer anderen neuen Hilfskraft alleine – und hatte die Verantwortung. 42 Kinder zwischen 4 und 6 Jahren haben mich mit großen Augen angeschaut – und ich habe versucht, irgendwie Englischunterricht zu machen, was aber nicht so recht geklappt hat. Erst als ich Bilder an die Tafel gemalt habe, und die Kinder auf Englisch die Begriffe nennen und gemeinsam wiederholen sollten, konnte ich sie halbwegs zum Mitmachen begeistern. So müde wie nach dem Unterricht war ich bisher selten in meinem Leben. Aber ich weiß: Mit jeder Herausforderung wächst man …

Text und Fotos: Veronika Wetzel und privat/jas



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