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Ein Gespräch mit Jugendpfarrer Christian Kalis

Jugendpastoral und Pandemie

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Domvikar Christian Kalis ist Jugendpfarrer und Leiter des Bischöflichen Jugendamtes im Bistum Regensburg. Welchen Einfluss hat die nun schon fast zwei Jahre anhaltende Corona-Pandemie auf die Jugendarbeit? Was macht das mit den jungen Menschen? Was geht noch und was nicht mehr? Und wie geht es weiter, wenn wieder Normalität einkehrt? Wir haben uns mit Christian Kalis unterhalten!

Die Pfarrgemeinden unseres Bistums, kirchliche Jugendverbände und das Bischöfliche Jugendamt leisten mit ihren Angeboten einen wichtigen Beitrag für ein erfülltes Leben junger Menschen. Herr Jugendpfarrer, wie schätzen Sie die aktuelle Situation der jungen Generation nach 20 Monaten Corona-Pandemie ein?

Unbestritten leiden Kinder und Jugendliche aus psychosozialer Sicht deutlich unter der Pandemie, psychische Erkrankungen sind in dieser Altersklasse erheblich angestiegen. Es braucht keine Einschätzung, das Thema ist inzwischen vielfach wissenschaftlich erforscht: In der von der Universität Salzburg im Februar/März dieses Jahres durchgeführten Studie „Jetzt sprichst Du!“[1] gaben z.B. von den 5.483 befragten Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren bezüglich ihrer Gefühle, Ängste und Sorgen 54,4% an, sie hätten Angst davor „dass es noch lange dauert, bis das Leben so wie vorher wird“ oder „dass das Leben gar nicht mehr so wie vorher wird“ (50,1%). Dass Angst ein sehr wichtiges Gefühl ist, das jeder von uns kennt, nutzen und schätzen sollte, wissen wir. Aber gerade junge Menschen macht Angst krank, wenn sie ihr zu viel Raum geben und sie als Blockade im Leben vor sich herschieben. Diese vierte massive Corona-Welle weckt leider in niemandem die Hoffnung, dass es bald vorbei sein könnte.

 

Was fehlt den Kindern und Jugendlichen denn am meisten von der Normalität?

Am häufigsten (71,4%) wird in der zitierten Studie genannt: „Freunde ohne Einschränkungen treffen können“, gefolgt von „keine Maske mehr tragen zu müssen und die Gesichter der Menschen sehen zu können“ (58,7%). Dabei sind es ausgerechnet diese Faktoren, die den Kindern und Jugendlichen gut durch die Pandemie helfen würden, die aufgrund der Coronamaßnahmen unmöglich gemacht werden oder nur sehr bedingt möglich sind. Die bayerische Staatsregierung verwehrt einem Großteil der nicht oder noch nicht geimpften 12- bis 17-Jährigen die Gruppenstunde mit Gleichaltrigen, mit denen sie vormittags im Klassenzimmer sitzen, sie dürfen das Pfarrheim nicht aufsuchen – „aber essen gehen und im Hotel übernachten könnten sie“, kritisiert der Bayerische Jugendring.

Pastorale Mitarbeiter/innen, Ehrenamtliche vor Ort und Pädagogen/Pädagoginnen des Bischöflichen Jugendamtes haben Quantensprünge im Einsatz von Technik gemacht: Alle haben wir mit viel Kreativität und Spontanität Zoom, Teams und Webex als Videokonferenzsysteme entdeckt, arbeiten mit Tools wie Paddlet oder Jamboard und programmieren Actionbounds, aber bestimmte Dinge lassen sich digital nicht kompensieren: Gruppenstunden, Ferien- und Wochenendfreizeiten mit Gleichaltrigen allen voran. Gerade in der Anfangszeit trugen analoge Formate wie das Überbringen von Briefen und Aktionsmaterial, die von Jugendlichen organisierte Nachbarschaftshilfe, Treffen in Kleinstgruppen an der frischen Luft, Rallyes wesentlich zum Zusammenhalt bei. Trotzdem mangelt es heute noch immer an vielen Ecken. Darunter leiden sowohl die persönliche Motivation wie die Dynamik in Leiter/innenrunden oder Gruppen.

 


 

Domvikar Christian Kalis ist Jugendpfarrer und Leiter des Bischöflichen Jugendamtes im Bistum Regensburg.

Sind Entwicklungen in der Kinder- und Jugendpastoral zu beobachten, die auf diese Erfahrungen schließen lassen?

Dr. Patrik C. Höring, Professor für Religionspädagogik an der Phil.-Theol. Hochschule SVD Sankt Augustin und Mitarbeiter des Erzbistums Köln (Religio Altenberg) hat uns bei der Jahreskonferenz der Arbeitsstelle für Jugendpastoral (afj) seinen Forschungsbericht „Jugendarbeit in Coronazeiten. Auswirkungen der Corona-Krise auf die Verbandliche und Gemeindliche Jugendarbeit“[2]vorgestellt. Danach sind die Mitglieder- und Teilnehmendenzahlen deutlich rückläufig. Während bei den kirchlichen Jugendverbänden mit vereinbarter Struktur etwas stabilere Entwicklungen unter den Mitgliedern und den Mitarbeitenden wahrzunehmen sind, werden z.B. beim Ministrantendienst, der auf freiwilliger und eher unverbindlicher Teilnahme beruht, doch stärkere Verluste benannt. Es verwundert mich auch nicht: Ministrant/innen durften lange Zeit ihren Dienst nicht verrichten, weil Sakristeien oder Altarräume zu klein sind, um sich dort aufzuhalten, weil Gabenprozessionen zur Vermeidung von Schmierinfektionen verboten waren. Der Livestream der Sonntagsmesse konzentrierte sich ausschließlich auf den Priester. Die „volle und tätige Teilnahme des ganzen Volkes“, von der das II. Vatikanische Konzil spricht, die vielfältigen „Aufgaben und Dienste in der Messfeier“, konnten bzw. können über einen langen Zeitraum nicht wahrgenommen werden.

 

Aber Ministranten- bzw. Jugendpastoral ist doch mehr als der liturgische Dienst bei der Meßfeier? Die neuen „Leitlinien für die Jugendpastoral der Deutschen Bischofskonferenz“ betonen „Jugendpastoral ist Beziehungspastoral“.

Richtig! Jugendpastoral agiert dort, wo junge Menschen sind und fördert Jugendliche mit ihren jeweiligen Charismen. Sie gibt jungen Menschen Freiraum, in dem sie sich ohne große Vorgaben, Kontrollen und Regeln entfalten können. Junge Menschen zu begleiten und mit ihnen Glaubens- und Lebenserfahrungen zu teilen, ist übergreifender Inhalt und Kennzeichen von Jugendpastoral. Sie schafft Events und Ereignisse, die Erfahrungen ermöglichen und bietet Orte und Kontaktmöglichkeiten, in denen junge Menschen sie selbst sein können und um ihrer selbst willen angenommen werden, ohne Schwellen und Vorbedingungen kommen und gehen können. Dies können Freizeitfahrten sein, Weltjugendtage oder andere Glaubensfestivals oder auch die reguläre Gruppenstunde.

All diese Möglichkeiten wurden und werden jungen Menschen durch Kontaktverbote bzw. -beschränkungen genommen. Ihr Dasein beschränkt sich auch nach neuester Rechtslage größtenteils auf Schule und Familie. Dort, am heimischen Küchentisch, der während der Pandemie die Schulbank, das „Bushäus‘l“ und den Jugendtreff ersetzen musste, krachte es immer wieder. Der Übergang vom Kind-Sein ins Jugendalter ist herausfordernd und oft konfliktreich. Jugendliche wollen und müssen sich emotional vom Elternhaus ablösen, sie müssen sich Gleichaltrigen nähern und wichtige Bindungen aufbauen. Die eigene Peergroup zählt als sehr wichtige Bezugsgröße. Hier begegnen Jugendliche anderen Menschen in ihrem Alter mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen. Sie erkunden ihre eigene Sexualität und viele probieren sich in ersten intimen Beziehungen aus. Dabei steigt bei vielen jungen Menschen das Bewusstsein um den Zusammenhang von förderlicher Persönlichkeitswerdung und der Kostbarkeit der eigenen sexuellen Selbstbestimmung. Einer meiner Lieblingssätze dieser neuen Leitlinien drückt es so aus: „Der Weg zur authentischen Persönlichkeit basiert auf der Grundbereitschaft, das eigene Glück nur zusammen mit dem Glück der Anderen erlangen zu wollen; mit ihnen das Leben zu teilen und es erst so zu finden; und gemeinsam mit ihnen auch am Fremden, Widerständigen und Herausfordernden des Lebens zu wachsen.“ All diese, für die Entwicklung junger Menschen so wichtigen Beziehungen funktionieren nicht mehr, das bringt auch unsere Jugendpastoral an massive Grenzen.

 


 

Online-Angebote sind in der Zeit der Pandemie eine gute Möglichkeit, um mit den Jugendlichen in Kontakt zu bleiben. Sie ersetzen aber nie die persönliche Begegnung (Bildnachweis: Winfried Brandmaier).

Das hört sich für junge Menschen wie auch die Akteure der Jugendpastoral gleichermaßen wenig erfreulich an. Wie stellen Sie sich Jugendarbeit nach der Pandemie vor? Gibt es Überlegungen, wie der Neustart zu einer Zeit - die noch niemand kennt - doch gelingen kann?

Es zeichnet sich leider ab, dass eine ganze Generation von qualifiziert ausgebildeten Jugendleitern/
-leiterinnen fehlen wird. Aber ich möchte dennoch betonen – auch das hat die Studie von Religio Altenberg festgestellt: „Glaube hat in der Pandemie Kraft gegeben“. Das ist wohl auch die Ursache, warum sich die meisten einig sind: Wir kehren zurück zu dem, wie Jugendarbeit vor der Pandemie gemacht wurde, damit auch hier „das Leben wieder so wie vorher wird“.

In den kirchlichen Jugendverbänden, in Gruppenstunden werden wir auch in Zukunft Erlebnisse mit Freundinnen und Freunden ermöglichen. Ein echter Freund, eine echte Freundin zu sein, und einen echten Freund, eine echte Freundin zu haben, das ist für viele die Umschreibung für geglücktes Leben oder biblisch gesprochen für ein „Leben in Fülle“ (Joh 10,10), das uns Jesus Christus versprochen hat. Hier geht es um einen fundamentalen Grundwert für Lebenssinn. In die Anbahnung, Ausgestaltung und sensible Pflege von Freundschaft gehen sehr viele jugendliche Ressourcen, sowohl Zeit oder Geld, aber auch seelische Ressourcen wie Ängste, Wünsche und Erwartungen. Junges Leben ohne Freundschaft ist wie ein Haus ohne Tür und Fenster. Wir müssen durch unsere jugendpastoralen Bemühungen Türen und Fenster in diese verschlossenen Mauern schlagen, sie öffnen. Vor allem in selbstbestimmt gewählten Freizeitaktivitäten bildet sich jugendliche Identität. Dieses Vertrauen müssen wir den Jugendlichen schenken: Sie wissen am besten, was sie brauchen. Papst Benedikt XVI. hat es einmal so gesagt: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.“ Die deutschen Bischöfe betonen in den neuen Leitlinien, für die ich sehr dankbar bin, dass es die Aufgabe der ganzen Kirche ist, allen jungen Menschen Raum zu geben und ein Klima zu schaffen, in dem sie sich willkommen und ernst genommen fühlen. „Wenn es auch nicht immer einfach ist, die jungen Menschen anzusprechen, so treten zwei Aspekte deutlicher hervor: das Bewusstsein, dass die ganze Gemeinschaft sie evangelisieren muss, und die Dringlichkeit, dass die jungen Menschen bei den pastoralen Angeboten eine größere Rolle spielen müssen.“[3], zitieren die Bischöfe Papst Franziskus. Dieser Herausforderung werden wir uns zuversichtlich stellen.




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